Ausgebranntes Auto nach einem Waldbrand in Kalifornien
AFP – JOSH EDELSON
AFP – JOSH EDELSON
Klimaerwärmung

„Das Schlimmste kommt noch“

Großbrände, Hochwasser, Hitzewellen: Die Folgen der mit der Industrialisierung begonnenen Klimaerwärmung sind allgegenwärtig. Am Montag wird ein neuer Bericht des Weltklimarats IPCC die dramatische Situation zusammenfassen – die Wahl seiner Formulierungen ist eine Gratwanderung.

Sollte das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens nicht erreicht werden, hätte das „irreversible Auswirkungen auf Menschen und ökologische Systeme". Und „das Schlimmste kommt erst noch“. So steht es im Entwurf eines IPCC-Berichts, den die Nachrichtenagentur AFP vor einigen Wochen öffentlich machte. Dabei handelt es sich um einen Teilbericht des Weltklimarats (Arbeitsgruppe 2), der offiziell erst im Februar 2022 erscheinen wird.

Der Weltklimarat betonte in einer Reaktion, unveröffentlichte Berichte nicht zu kommentieren. Das will auch Douglas Maraun nicht, Klimawissenschaftler an der Uni Graz und Leitautor eines Kapitels des aktuellen IPCC-Berichts. „Generell bin ich überzeugt, dass auch die Arbeitsgruppe 2 die kalibrierte Sprache des IPCC sehr sorgfältig verwendet. Übertreibungen kommen dann eher von bestimmten Medien oder anderen Organisationen.“

Erde wird sich weiter erwärmen

Dass das „Schlimmste noch kommt“, hält er freilich nicht für übertrieben, sondern für „trivial“, wie er gegenüber science.ORF.at betont. Denn: „Auch wenn wir sofort alle Treibhausgasemissionen stoppen könnten, würde sich die Erde noch einige Jahrzehnte weiter erwärmen. Und mit jedem Grad Erwärmung wird auch die Gefahr von Hitzewellen, Dürren oder Starkniederschlägen größer.“

Wie hoch diese Gefahr von Extremwetterereignissen ist, beschreibt ein Kapitel des jüngsten IPCC-Berichts, der am Montag vorgestellt wird. „Es geht darum zu verstehen, wie sich Extremereignisse verändern und welche Klimarisiken in Zukunft auftreten könnten“, so Maraun. Er schrieb am Kapitel mit, welches die globale Klimaerwärmung mit regionalen Klimaereignissen verknüpft. „Darin wollen wir klären, wie man regionale Klimainformationen gewinnen kann und wie sicher wir Aussagen über die Veränderung von Extremereignissen, wie etwa neulich in Hallein, treffen können.“ Der Bericht enthält erstmals einen interaktiven regionalen Atlas, der diese Veränderungen visualisiert – Österreich gehört dabei zur Region Mittel-West-Europa.

Soldaten bekämpfen einen der jüngsten Brände in der Türkei
AFP – YASIN AKGUL
Soldaten bekämpfen einen der jüngsten Brände in der Türkei

Generell geht es im jüngsten IPCC-Bericht um die naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels – insbesondere die Entwicklung des Anteils von Treibhausgasen in der Atmosphäre und deren Wirkung sowie Szenarien für die Zukunft. Ein Kapitel befasst sich diesmal mit der Wirkung kurzlebiger Treibhausgase. Das betrifft etwa Methan, dessen Treibhauswirkung deutlich stärker ist als die von Kohlendioxid, das jedoch auch schneller in der Atmosphäre wieder abgebaut wird.

Risiken weder verschweigen noch unnötig betonen

Wie deutlich die Sprache der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in dem neuen IPCC-Bericht ist, wird man ab Montag beurteilen können. Unbestritten ist: Global liegt die Mitteltemperatur bereits jetzt etwa 1,2 Grad über vorindustriellem Niveau, in Österreich sind es laut ZAMG rund zwei Grad. Alleine in den letzten rund 30 Jahren wurde es hierzulande zwischen 1,0 und 1,5 Grad wärmer, im Vergleich zum Mittel der 30 Jahre davor. Unser Wirtschaftssystem mit seiner Produktion, Energiegewinnung, Intensivlandwirtschaft und Abholzung ist maßgeblich für die Erwärmung verantwortlich.

Laut Maraun gilt es in dem IPCC-Bericht, künftige Risiken weder zu verschweigen noch allzu sehr zu betonen. Der Klimaforscher nennt konkrete Beispiele: „Wenn jemand sagt, ein Täter ist mit fünfprozentiger Wahrscheinlichkeit der Schuldige, dann wird man ihn nicht ins Gefängnis bringen. Wenn es aber um die Frage geht, ob ich mit einem Flugzeug fliege, das mit einer fünfprozentigen Wahrscheinlichkeit abstürzt, würde ich eher verneinen, da mir das zu gefährlich ist.“ Ähnlich sei es mit Wahrscheinlichkeiten bestimmter Klimaentwicklungen. „Das heißt, man muss auch über Dinge sprechen, die passieren können, die aber eher unwahrscheinlich sind.“

Ausgetrockneter Paranafluss in Argentinien
AP – Victor Caivano
Ausgetrockneter Fluss Parana in Argentinien, August 2021

Ein wichtiges Beispiel dafür seien „Tipping Points“ – also Kipppunkte, ab denen eine Entwicklung plötzlich abbricht oder stark beschleunigt wird. „Konkret könnte man das komplette Abschmelzen des Grönland-Eises nehmen“, sagt Maraun. „Es ist möglich, dass das Eis ab einer kritischen Temperatur nicht mehr aufhört zu schmelzen, auch wenn wir den Klimawandel stoppen könnten. Das hätte dann auf lange Sicht, 500 Jahre und mehr, bis zu sechs Meter Meeresspiegelanstieg zur Folge. Solche Möglichkeiten, auch wenn sie vielleicht unwahrscheinlich sind, sollte man natürlich kommunizieren.“

IPCC wertet bestehende Studien aus

Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wurde 1988 von der UNO-Umweltorganisation (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegründet. Seine Aufgabe ist es, die Politik neutral über die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimaveränderung und über mögliche Gegenmaßnahmen zu informieren. Dem IPCC gehören 195 Staaten an. Sie entsenden Expertinnen und Experten, die allerdings keine eigene Forschung zum Klimawandel betreiben, sondern Tausende Studien auswerten und die zentralen Erkenntnisse zusammenfassen.

Im November wird die UNO-Klimakonferenz in Glasgow stattfinden, in deren Beratungen die Erkenntnisse des aktuellen ersten Berichtsteils einfließen dürften. Er wird 2022 durch zwei weitere ergänzt: Der erste (wie anfangs beschrieben geleakte) untersucht die Folgen und Anpassungsmöglichkeiten für Volkswirtschaften, der zweite befasst sich mit Optionen, wie die Emissionen verringert werden können. Alles zusammen soll dann 2022 im sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarats veröffentlicht werden.

Hochwasser nach Starkregenfällen in Sanaa/Jemen, Anfang August 2021
AFP – MOHAMMED HUWAIS
Hochwasser nach Starkregenfällen in Sanaa/Jemen, Anfang August 2021

„Gar nicht so viel Einmischung der Politik“

Bei der Erstellung dieser Berichte mische sich die Politik weniger ein, als man das vielleicht annehmen würde, sagt der Klimaforscher Maraun. In der ersten Planungsphase neuer Berichte werde mit Regierungsvertretern beraten, welche Themen überhaupt darin enthalten sein sollen. Danach würden sich die Einmischungen aus Politkreisen aber in Grenzen halten. „In der letzten Begutachtungsphase kommen dann natürlich auch Kommentare der Regierungsvertreter zu den Inhalten, die werden aber gleich wie alle anderen Kommentare überprüft und können dann, je nachdem ob sie sinnvoll sind oder nicht, angenommen oder abgelehnt werden“, so der Klimaexperte.

Den direktesten Einfluss auf veröffentlichte Inhalte des IPCC hätten Politiker und Politikerinnen laut Maraun bei der Erstellung der „Zusammenfassung für Entscheidungsträger“ (SPM). „Da wird mit den Regierungsvertretern wirklich Satz für Satz verhandelt, was in dieser Zusammenfassung drinstehen soll“, so Maraun – der selbst bei diesem Prozess aber nicht dabei war.

Nach der Veröffentlichung des Berichts ändere sich das natürlich. „Der IPCC-Bericht ist zwar relevant für politische Entscheidungsträger, aber er schreibt nicht vor, was gemacht werden soll“, erklärt Maraun. Wie mit den Inhalten des Berichts umgegangen wird, liege dann in den Händen der Politik. Konkrete Forderungen, was zu tun wäre, um zum Beispiel das Pariser Klimaziel noch zu erreichen, dürfe das IPCC gar nicht geben. Maraun: „Das IPCC soll aber – dafür ist es auch gegründet worden – aufzeigen, was passiert, wenn das 1,5-Grad-Ziel erreicht wird, oder was passiert, wenn es doch eher 2,3 oder vier Grad werden.“