Menschen auf dem Weg zur Arbeit in der Früh in London
AFP/DANIEL LEAL-OLIVAS
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Pandemie

Studie: Ausrottung des Virus wäre möglich

Wird das Coronavirus bleiben oder könnte es wieder verschwinden? Forscher und Forscherinnen aus Neuseeland halten eine Ausrottung des Erregers für möglich – sofern im Kampf gegen die Pandemie alles optimal läuft und ein internationaler Schulterschluss gelingt.

Laut der Statistik-Website „Our World in Data“ wurden weltweit bisher 4,5 Milliarden Impfstoffdosen gegen Covid-19 verabreicht, als ausgewogen kann man die Verteilung freilich nicht bezeichnen. Während in Ländern wie Kanada, Spanien und dem Vereinigten Königreich rund 60 Prozent der Bevölkerung als vollimmunisiert gelten, haben die Länder des globalen Südens – wie etwa Nigeria oder der Sudan – noch nicht einmal die Ein-Prozent-Schwelle von Vollimmunisierten erreicht.

Ohne Angleichung der Impfquoten wird die Pandemie wohl bis auf Weiteres das bleiben, was sie momentan ist: ein globales Phänomen, dem sich auch die reichen Industrienationen nicht entziehen können. Dabei wäre es laut einer Studie im Fachblatt „BMJ Global Health“ durchaus möglich, den Erreger auszurotten.

Ähnlich wie Polio

Zu diesem Schluss kommen Forscher um Nick Wilson von der University of Otago durch den Vergleich mit den Viruserkrankungen Polio und Pocken, die durch internationale Anstrengungen ganz bzw. teilweise überwunden werden konnten. Der neuseeländische Public-Health-Experte hat mit seinem Team ein Bewertungssystem entwickelt, das die Wirkung von Impfkampagnen und begleitenden Maßnahmen in einer Maßzahl darstellt.

Das Maximum liegt bei 3, je höher die Zahl, desto höher sind die Chancen, den Erreger endgültig loszuwerden: Die Pocken (ausgerottet im Jahr 1980) kommen in diesem Vergleich auf einen Wert von 2,7; bei Polio (hier gelten zwei von drei Erregertypen als ausgerottet) liegt der Wert bei 1,5 – in diesem Bereich, nämlich bei 1,6, liegt auch die Bewertung von Covid-19. Die gegenwärtige Pandemie könnte laut Wilson und Kollegen also durchaus beendet werden, sofern die notwendigen Maßnahmen greifen und die bestehenden Hürden überwunden werden.

Das heißt im Klartext: Nationale Alleingänge, Impfskepsis und das Gefälle zwischen reichen und armen Ländern stehen diesem Ziel entgegen, sollte der Kampf gegen Infektionen aber mit „globalem Willen“ geführt werden, so schreiben die Studienautoren, wäre es prinzipiell möglich, das Virus in allen Ländern der Erde zu eliminieren. Das Bewertungsschema von Wilson und seinem Team beinhaltet 17 Variablen, einberechnet wurden unter anderem die Verfügbarkeit einer sicheren Impfung, die Dauer der Immunität, die Akzeptanz von Vorbeugemaßnahmen und die internationale Kooperation bei der Bekämpfung der Krankheit.

Umfrage: Virus wird dennoch bleiben

Ganz so optimistisch wie Wilson und seine Kollegen schätzen die Lage allerdings nicht alle ein. Laut einer Umfrage unter 119 Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen im Fachblatt „Nature“ vom Anfang dieses Jahres sind bzw. waren 90 Prozent der Fachleute überzeugt, dass das Coronavirus nicht von der Bildfläche verschwinden und stattdessen als endemisches Virus immer wieder zu begrenzten Krankheitsausbrüchen führen wird.

Dass der Erreger in einzelnen Regionen eliminiert werden könnte, halten laut Umfrage knapp 30 Prozent für wahrscheinlich bis sehr wahrscheinlich. Jesse Bloom vom Hutchinson Cancer Research Center in Seattle geht davon aus, dass sich SARS-CoV-2 langfristig ähnlich saisonal verhalten wird wie das Grippevirus. So sieht das auch Jeffrey Shaman von der Columbia University, er betonte gegenüber „Nature“: „So lange nur ein Teil der Welt geimpft ist, wird das Virus bleiben.“

„EU-weite Strategie notwendig“

Für eine länderübergreifende Strategie votierten auch Forscher und Forscherinnen um Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien in einem aktuellen Beitrag für das Fachblatt „The Lancet“: Sofern Impfungen und natürliche Immunisierung genügend Schutz vor einer Überlastung des Gesundheitssystems bieten, wäre es demnach prinzipiell möglich, mit den gegenwärtigen Lockerungen im Alltag fortzufahren. Nachdem das aber nach wie vor unsicher sei, empfehle es sich, die Inzidenzen auch im Herbst niedrig zu halten. Dieses Vorgehen wiederum könne nur dann gelingen, wenn – Zitat Studie – „die europäischen Länder aufhören so zu tun, als könnten sie die Pandemie alleine bekämpfen“.

Dass ein neuerlicher Lockdown in Österreich notwendig sein wird, glaubt Studienautor Czypionka übrigens nicht. „Laut unsere Modellen werden wir die Inzidenzen auch mit geringfügigen Einschränkungen niedrig halten können. Das Testen müssen wir beibehalten, Maskenpflicht in den Öffis und Distanzhalten sind ebenfalls wichtig – mit diesen Maßnahmen sollten wir über den Winter kommen.“