Künstlerische Darstellung: zweidimensionaler Suprafestkörper
IQOQI Innsbruck/Harald Ritsch
IQOQI Innsbruck/Harald Ritsch
Experiment

Materie, festflüssig

Fest und flüssig zugleich: Diesen eigenartigen Materiezustand, auch Suprasolidität genannt, hat ein Team der Uni Innsbruck nun im Labor hergestellt – und ist dabei in eine neue Dimension vorgedrungen.

Wenn in der Physik etwas „supra“ ist, dann darf man davon ausgehen, dass man es mit Seltsamkeiten zu tun hat, wie sie nur in der Quantenwelt auftreten. Supraleitung etwa verspricht die Leitung von Strom ohne Widerstand, Supraflüssigkeiten dringen reibungsfrei in kleineste Zwischenräume vor und Suprafestkörper fallen überhaupt aus den üblichen Kategorien, die man aus dem Alltag kennt: Sie sind fest und flüssig zugleich. Beziehungsweise irgendetwas dazwischen.

Letzteres wurde bereits 1969 in der Theorie vorhergesagt, bis zur Bestätigung sollte es allerdings dauern. Der erste, noch nicht sichere Nachweis gelang 2004 an ultrakaltem Helium, in den Folgejahren kamen verlässlichere Bestätigungen mit Quantengasen bzw. Bose-Einstein-Kondensaten (noch so ein seltsamer Quantenzustand der Materie) hinzu, unter anderem von der Uni Innsbruck.

Teilchen: Überall und nirgends

Eins draufgelegt hat nun ein Team um die Innsbrucker Quantenphysikerin Francesca Ferlaino. Wie das Team in der aktuellen Ausgabe von „Nature“ berichtet, gelang bei dem jüngsten Experiment mit extrem kalten Gaswolken aus dem Element Dysprosium ein Sprung in physikalisches Neuland. Der Superfestkörper besteht nämlich aus einer zweidimensionalen Anordnung von Tröpfchen, bisher war so etwas nur in einer Dimension möglich.

Wo sich die Bestandteile der Teilchenwolke befinden, ist allerdings nicht so einfach zu beantworten – jedenfalls nicht mit Begriffen der Alltagssprache: „Im suprasoliden Zustand ist jedes Teilchen über alle Tröpfchen hinweg delokalisiert, es existiert also gleichzeitig in jedem Tröpfchen“, sagt Studienautor Matthew Norcia aus Ferlainos Forschungsgruppe.

Die Teilchen sind gewissermaßen allerorts und doch ohne festen Wohnsitz, das hindert die Materie nicht daran, sich durch magnetische Wechselwirkungen in regelmäßigen Mustern zu organisieren. Diese will Ferlaino mit ihrem Team in Zukunft weiter untersuchen, laut Theorie sollten sich in den Quantengasen suprasolide Wirbel bilden, die bisher noch nicht nachgewiesen wurden.

Wie ein durchlässiger Eiswürfel

Wie der französische Physiker Bruno Laburthe-Tolra in einem Begleitartikel zur Studie schreibt, vereint ein Suprafestkörper die geordnete Struktur fester Materie mit den Eigenschaften einer Supraflüssigkeit. Halbwegs anschaulich vorstellen könne man sich das als einen in Wasser getauchten Eiswürfel, durch den das Wasser reibungsfrei hindurchströmen kann. Besonders fest – wie man durch ihren Namen annehmen könnte – sind die Suprafestkörper also nicht, dafür liefern sie noch handfeste Probleme für die Experimentalphysik der nächsten Jahre: Ihre Eigenschaften, so Laburthe-Tolra, sind noch immer nicht ausreichend verstanden.