Lesbische Frau lachend, mit aufgemalter Regenbogenfahne an der Wange
DisobeyArt – stock.adobe.com
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Studie

Wie sich Homosexualität vererbt

Eine Auswertung von Gen-Datenbanken zeigt, dass es einen schwachen Zusammenhang zwischen dem Erbgut und Homosexualität gibt. Wie sich diese Gene vererben, war bisher ein Rätsel. Jetzt präsentieren Forscher und Forscherinnen eine Erklärung: Wer die Genvarianten im Erbgut trägt, hat im Laufe des Lebens mehr Sexualpartner – das gilt auch für Heterosexuelle.

Die Verbindung von Genetik und sexueller Orientierung ist ein sensibles Thema, auch und vor allem deshalb, weil Homosexualität in vielen Ländern noch immer als Verbrechen gilt. Laut einem Editorial in der Fachzeitschrift „Nature Human Behaviour“ steht Homosexualität in 71 nationalen Gesetzgebungen unter Strafe, in elf Ländern seien Mitgliedern der LGTBQ-Gemeinde ihres Lebens nicht sicher, sei es durch Gewalt gegenüber sexuellen Minderheiten oder durch die Todesstrafe. „Es ist die Gesellschaft, die bestimmt, ob man die gleichgeschlechtliche Orientierung mit Freude und Stolz betrachtet oder mit Verdammung“, heißt es in dem Text der Herausgeber.

Die Entscheidung, Forschungsergebnisse über die Evolution der Homosexualität zu veröffentlichen, habe man sich nicht leicht gemacht – letztlich sei sie deshalb positiv ausgefallen, „weil wir glauben, dass ein Verständnis für die Vielfalt menschlichen Verhaltens auch in sozialer Hinsicht Vorteile bringen kann“.

Das Evolutions-Paradox

Aus evolutionsbiologischer Sicht gibt die genetische Basis von homosexuellem Verhalten jedenfalls Rätsel auf. Wenn es Erbfaktoren gibt, die damit in Zusammenhang stehen, sollten sie nicht allzu lange im Gen-Pool verbleiben, weil gleichgeschlechtliche Paare keine Kinder bekommen können, lautet das Argument – und das ist zu kurz gedacht, wie nun eine Genom-Studie an rund 480.000 Menschen aus Großbritannien und den USA zeigt.

Dass es so etwas wie „gay genes“ gibt, können Studienautor Brendan Zietsch von der University of Queensland und sein Team bestätigen. Wenngleich in sehr „vedünnter“ Form: Genvarianten, die die sexuelle Orientierung beeinflussen, gibt es laut ihrer Analyse viele, nur ist ihr Einfluss einzeln so gering, dass man bestenfalls von (losen) statistischen Zusammenhängen sprechen kann. Und: Diese Gene seien sowohl im Erbgut von homo- wie auch von heterosexuellen Frauen und Männern vorhanden, also nicht spezifisch für eine Gruppe.

Das ist der Punkt, an dem sich eine Lösung für das evolutionsbiologische Rätsel andeutet. Zietsch und sein Team haben nämlich auch herausgefunden: Wer die erwähnten Genvarianten im Erbgut trägt, hat im Laufe des Lebens mehr Sexualpartner – das könnte laut Studie der Grund sein, warum sich die Erbfaktoren offenbar recht stabil im Gen-Pool halten. Warum sich diese Gruppe von Genen sowohl auf die sexuelle Orientierung als auch auf die Freizügigkeit auswirkt, ist im Detail unklar. Sicher ist bloß: Die Effekte können indirekter Natur sein und sind es in den allermeisten Fällen wohl auch. Etwa, weil sie mit Charaktereigenschaften wie Risikoverhalten in Zusammenhang stehen könnten, so die Vermutung von Zietsch und seinem Team. Oder auch, weil sie die Libido erhöhen, kurzfristige Partnerschaften wahrscheinlicher machen oder etwas mit Attraktivität oder Charisma zu tun haben könnten. Kurzum, die betreffenden Erbfaktoren machen sexuell aufgeschlossen, was sich bei Heterosexuellen eben auch in der Zahl der Nachkommen niederschlägt.

Minderheitenrechte: Die Gesellschaft entscheidet

Was folgt daraus? Dass es – auch – eine genetische Basis für die sexuelle Orientierung gibt, könnte man als weiteres Argument verwenden, um gegen Diskriminierungen anzukämpfen und die Homosexualität als Teil der Natur zu akzeptieren, ähnlich wie uns das als Gesellschaft bei anderen menschlichen Eigenschaften wie der Körpergröße oder der Persönlichkeit auch gelingt. Frühere Untersuchungen hatten bereits Hinweise gefunden, dass sich Menschen, die Schwulsein als angeboren betrachten, eher für die zivilen Rechte von Homosexuellen einsetzen.

Andererseits wäre gerade so eine Argumentation ein unzulässiger Schluss vom Sein auf das Sollen, wie Julian Savulescu vom Oxford Center for Practical Ethics in einem Begleitartikel betont. Beziehungsweise ein „Kategorienfehler“, denn: „Empirische Fakten, die uns über die Ursachen von gleichgeschlechtlicher Anziehung aufklären, können für sich genommen nicht die Basis ziviler Rechte sein … [und sie können] auch nicht abhängig sein von den letzten wissenschaftlichen Daten über Sexualität.“

So sehen das auch die Herausgeber von „Nature Human Behaviour“. Sie haben vor der Veröffentlichung Kontakt mit Vertretern der LGBTQ-Gemeinde aufgenommen, um die Präsentation der Daten gemeinsam abzustimmen. „Wir sind uns dessen bewusst, dass Forschungen am Menschen mit jenen beginnen, die ihre Daten hergeben. Und mit jenen enden, die von den Ergebnissen betroffen sind.“