Schildkröte frisst Vogel
Anna Zora, Current Biology
Anna Zora, Current Biology
Verhaltensforschung

Video: Schildkröte frisst Vogel

Riesenschildkröten sind Pflanzenfresser und gelten nicht gerade als Raubtiere. Dennoch haben Forscherinnen und Forscher nun ein Exemplar dabei gefilmt, wie es einen Vogel in Zeitlupe jagt und dann auffrisst. Dies sei der erste dokumentierte Fall eine solchen Verhaltens.

Was sie da am 30. Juni 2020 auf Fregate, einer Insel auf den Seychellen, aufgenommen hatten, war kaum zu glauben, wie sich Justin Gerlach, Biologe von der Universität Cambridge, erinnert. “Es war zugleich entsetzlich und verblüffend." Eine junge Seeschwalbe sitzt auf einem Baumstamm, in der Nähe das weibliche Exemplar einer Riesenschildkröte – die sich langsam dem Vogel nähert.

„Sie hat den Vogel direkt angesehen, ist absichtlich auf ihn zugegangen. Das ist sehr, sehr seltsam und ganz anders als das übliche Schildkrötenverhalten“, so Gerlach. Die Schildkröte kommt immer näher, schließlich reißt sie ihr Maul auf, während sich das Vogeljunge durch Herumpicken und Flattern zu verteidigen versucht – vergeblich. Es flieht bis zum Ende des Baumstamms und wird dann von der Schildkröte gefressen, ein Prozess, der sieben Minuten dauert – und soeben in einer Studie im Fachmagazin „Current Biology“ beschrieben wurde.

Die Langsamkeit der pflanzenfressenden Schildkörten wird von Menschen gerne mit Gemütlichkeit verwechselt, so Gerlach. Dass sie auch Fleisch fressen können, wird gerne vergessen. Berichte dazu gab es schon in der Vergangenheit. „Aber bisher war es unmöglich zu unterscheiden, ob die Tiere absichtlich ein anderes Tier getötet haben oder ob sie sich zufällig auf eines draufgesetzt haben und es nach dem Motto ‚Nichts gegen ein bisschen Gratisprotein‘ auch gefressen haben“, sagt Gerlach.

Nicht zum ersten Mal

Das Video von Anna Zora, oberste Tier- und Umweltschützerin auf der Insel Fregate, sei nun einer der ersten definitiven Beweise für absichtliche Angriffe. Dafür spreche zum einen, dass sich die Schildkröte dem Vogel mit offenem Kiefer und zurückgezogener Zunge genähert hatte – ein arttypisches Zeichen für Aggression. Zum anderen dürfte es sich bei der Schildkröte um eine erfahrene Vogeljägerin gehandelt zu haben.

Denn: Bei der gefressenen Seeschwalbe handle es sich um Vögel, die auf Bäumen nisten. Wenn Junge aus dem Nest fallen, machen sie alles, um nur ja nicht auf dem Boden zu landen – deshalb könnte das Tier bis zum Schluss auf dem Baumstamm geblieben sein, obwohl die Schildkröte immer näherkam. „Für mich sah es so aus, dass sie schon vorher erfolgreich gejagt hat; sie schien zu wissen, was sie tat.“

Weit verbreitet oder nur Momentaufnahme?

Bleibt die Frage, wie weit das Verhalten verbreitet ist. „Könnte es sein, dass hier eine Population ein ganz neues Verhalten erlernt hat? Oder ist das nur eine interessante Momentaufnahme?", wie Gerlach fragt. Möglicherweise hängt das Verhalten mit dem Naturschutz auf der Insel Fregate zusammen. Sowohl Schildkröten als auch Vögel haben Jahrhunderte lang durch den Einfluss des Menschen gelitten, ihre Anzahl ist stark gesunken.

Dank Naturschutz hat sich diese Tendenz in den vergangenen Jahren aber wieder umgekehrt und beide verfügen wieder über recht robuste Populationen. „Wir schaffen wieder Lebensbedingungen für natürliches Verhalten, das die Menschen seit hunderten von Jahren nicht beobachten konnten.“ Er hält es für möglich, dass die Schildkröten auch andere Tier absichtlich fressen könnten – solange sie nur langsam genug sind. Aussichtsreichste Kandidaten dafür: Schnecken.