Labor: Ausgewachsene Agar-Kröte in den Händen einer Wissenschaftlerin
UNSW Sydney
UNSW Sydney
Invasive Art

Kröten werden zu Kannibalen

Die invasive Aga-Kröte hat in Australien keine natürlichen Feinde – und vermehrt sich explosionsartig. Nun beginnen die Jungtiere einander aufzufressen. Das Verhalten hat möglicherweise genetische Ursachen.

1935 wurden die ersten Exemplare der aus Südamerika stammenden Art Rhinella marina ausgesetzt. Was ursprünglich als Maßnahme zur Regulierung von Pflanzenschädlingen in Zuckerrohrplantangen geplant war, geriet schnell außer Kontrolle. Die bis zu 25 Zentimeter große Aga-Kröte hat wegen ihrer giftigen Haut keine Feinde, laut Schätzungen gibt es mittlerweile mehr als 200 Millionen Kröten auf dem südlichen Kontinent, die ökologischen Folgen sind desaströs: Sobald die Kröten in einer Region Fuß fassen, sind 95 Prozent der Beutelmarder und Warane innerhalb von Monaten tot. Und nicht nur diese Arten. Die Kröte hat die gesamte Kleintierfauna Australiens dezimiert, ein Ende der Misere ist nicht in Sicht.

Evolution im Zeitraffer

Von einem bizarren Twist dieses gescheiterten ökologischen Experiments berichtet jetzt ein Team um die Biologin Jayna DeVore. Die Kröten haben sich offenbar zu Kannibalen entwickelt, Jungtiere im Kaulquappenstadium fressen nun die Eier der eigenen Brut, berichtet DeVore in einer im Fachblatt „PNAS“ erschienenen Studie. Überraschend ist vor allem das Tempo, mit dem das Verhalten um sich gegriffen hat. Kannibalismus sei auch schon bei anderen Tierarten beobachtet worden, betont der Ökologe Volker Rudolf von der Rice University gegenüber „Nature“: Aber die Aga-Kröte habe ihr kannibalisches Verhalten „vor unseren Augen“ entwickelt. In knapp 100 Jahren sollte sich das Verhaltensinventar einer Art nicht wesentlich ändern – wie DeVore in einem Experiment nachweist, ist das in diesem Fall anders.

Aga-Kröte im Freiland
Mark Baker/ASSOCIATED PRESS
Ausgewachsene Tiere werden bis zu 25 Zentimeter groß

Die Wissenschaftlerin von der Universität Sydney hat Kaulquappen im Labor mit solchen aus Südamerika verglichen und festgestellt, dass erstere viel stärker vom Geruch ihrer Artgenossen angezogen werden. Die giftigen Bufotoxine in der Haut der Amphibien wirken innerhalb der eigenen Art als Lockstoff, sagt Studien-Coautor Rick Shine, im Labor habe er beobachtet, wie Kaulquappen auf diese Chemikalien reagierten und in einer „Lawine von tausenden Tieren“ in Richtung der Quelle geschwommen sind. Im Vergleich zu den ursprünglichen, aus Südamerika stammenden Tieren ist dieses Verhalten laut Studie dreißigmal stärker ausgeprägt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kaulquappen ihre Artgenossen auffressen, ist um den Faktor 2,6 höher – ein Hinweis darauf, dass es sich hier tatsächlich um die „Evolution in Aktion“ handelt. Folglich sollte die Verhaltensänderung genetische Ursachen haben, sagt Shine.

Anpassung: Kaulquappen schützen sich

Bemerkenswert an den Versuchen ist auch: Die Kaulquappen haben offenbar erste Schutzmechanismen gegen den um sich greifenden Kannibalismus entwickelt. Im Vergleich zur Vergleichsgruppe aus Südamerika hat sich nämlich ihre Entwicklung vom Ei zum Jungtier beschleunigt – dadurch erreichen sie früher eine Größe, die sie vor hungrigen Artgenossen schützt. DeVore und Shine glauben, dass es sich auch hier um eine Anpassung handelt, also erneut um einen Beleg für Evolution im Zeitraffermodus. Was das für die ökologische Krise in Australien bedeutet, ist unklar. Fest steht für DeVore jedenfalls: „Die Kröte ist an einem Punkt angelangt, wo sie zum schlimmsten Feind ihrer selbst wurde.“