Künstlerische Darstellung: zwei Quantenpartikel
Peter Jurik – stock.adobe.com
Peter Jurik – stock.adobe.com
Experiment

Die Quanten kommen aufs Fließband

Der Regelungstechniker Andreas Kugi und der Physiker Markus Aspelmeyer haben sich zusammengetan, um in unbekanntes Terrain der Quantenwelt vorzudringen. Ihr jüngstes Experiment zeigt: Mit der passenden Technik lassen sich Quanten beliebig manipulieren. Der „Fließband-Ansatz“ könnten zur Entwicklung völlig neuer Sensoren führen.

Wenn eine Studie als Coverthema in „Nature“ erscheint, kann man davon ausgehen, dass der Inhalt auch für die Herausgeber der Zeitschrift eine gewisse Relevanz hat. In der Studie, die Markus Aspelmeyer und Andreas Kugi vor anderthalb Monaten veröffentlicht haben, ist von „optimaler Quantenkontrolle“ die Rede – das klingt technisch und ist es auch: Es geht darum, die schwer beherrschbaren Effekte der Quantenwelt unter technische Kontrolle zu bringen. Um eine Verschmelzung von Grundlagenforschung und Regelungstechnik, wie sie normalerweise in der Industrie zur Anwendung kommt.

Aktuelles Titelblatt der Wissenschaftszeitschrift „Nature“
Nature

Als vor fünf Jahren das Quanten-Flaggschiffprojekt der EU mit einem Kongress in Amsterdam seinen offiziellen Anfang nahm, versprachen die Initiatoren – wie bei solchen Veranstaltungen üblich – Großes: Da war von einer „technischen Revolution“ die Rede, von einer neuen Ära, in der Quantenmaschinen den Alltag verändern würden.

Ob wir uns bereits an der Schwelle der „zweiten Quantenrevolution“ befinden, wie es im damals publizierten Manifest heißt, wird noch zu zeigen sein. Gewiss ist: Es geht voran. Die leistungsfähigsten Prototypen für Quantencomputer stehen in Innsbruck, und wenn sich nun die Industrieforschung für die Ideen der Quantenphysiker zu interessieren beginnt, sollte die Technologie bereits einen Reifegrad erreicht haben, der über akademische Spielereien hinausgeht.

Den Flaschengeist sichtbar machen

Die Forschungsidee von Markus Aspelmeyer erinnert an eine orientalische Geschichte. So wie Aladin einen Dschinn aus der Öllampe geholt hat, möchte der Physiker von der Uni Wien die Quanten aus der Mikrowelt befreien – und so groß machen, dass man sie mit freiem Auge sehen kann. Damit einher ginge auch, dass all die Absurditäten der Quantenwelt im Alltag Einzug halten würden. Elektronen können sich an mehreren Orten gleichzeitig aufhalten, teilen müssen sie sich dafür nicht. Sie sind da und dort, ihr Aufenthaltsort ist unscharf oder verschmiert im Raum. Wäre ähnliches auch bei größeren Dingen möglich, bei Äpfeln etwa oder Tennisbällen? Die Theorie verbietet das zumindest nicht.

Schwebende Glaskugel unter dem Mikroskop
Lorenzo Magrini, Yuriy Coroli/Universität Wien
Glaskugel an der Schwelle zur Quantenwelt

Bei Tennisbällen ist Aspelmeyer zwar noch nicht angelangt, aber vor ein paar Jahren gelang es ihm, einer Glaskugel – bestehend aus einigen hundert Millionen Atomen – quantenartige Eigenschaften einzuhauchen. Genau genommen lief es andersrum: Aspelmeyer machte die vorhandene Quantennatur der Glaskugel sichtbar, indem er ihr mit Hilfe von Lasern alle Bewegungsenergie entzog und sie im Hochvakuum von sämtlichen Einflüssen befreite, die das Experiment hätten stören können.

Zu diesem Zeitpunkt wurde Kugi auf die Arbeiten seines Kollegen von der Uni Wien aufmerksam. Er griff zum Telefon und schlug vor, das Experiment nochmals durchzuführen, diesmal mit einer präziseren Methode. Um Aspelmeyer zu überzeugen, brauchte es nicht lange. „Das Projekt war riskant, wir wussten natürlich nicht, was dabei rauskommen würde“, sagt Kugi. Ausgetretenen Pfaden zu folgen sei für ihn keine Option gewesen, denn: „Da war ja schon jemand.“

Algorithmen übernehmen das Kommando

Kugis Fach ist die Regelungstechnik, er stellt autonome Bohrmaschinen für den Bergbau her und optimiert für seine Auftraggeber die Herstellung von Rohstahl. Hin und wieder gibt er sich auch der reinen Experimentierfreude hin. So hat der Wissenschaftler von der TU Wien vor einigen Jahren ein schwingendes, völlig instabiles Dreifachpendel mit Hilfe der Steuerungstechnik unter Kontrolle gebracht – zirkusreif: So sieht Äquilibristik aus, wenn die Fachleute von der TU Hand anlegen (siehe Video).

Die Regelungstechnik erweis sich jedenfalls auch für Aspelmeyers Quanten als nützliches Werkzeug und hob das Experiment auf ein neues Niveau. Die Laserkühlung der Glaskugel wurde ersetzt durch Elektrodenkühlung, der große Vorteil daran: Während die bisherige Version noch nach dem Prinzip „Daumen mal Pi“ gearbeitet hatte, überwacht nun ein Algorithmus den Zustand der Kugel, bis ins kleinste Detail. Das Prinzip ist Kontrolle. Wenn es ein Modell gibt für das System inklusive aller Einflüsse, dann ist es beliebig steuerbar. Somit können die Forscher ihre Experimente je nach Forschungsfrage auf Knopfdruck verändern – und müssen keine Umbauten vornehmen, wenn sie das Grenzgebiet zwischen Mikro- und Makrowelt weiter erkunden wollen. Die Quanten sind auf dem Fließband angekommen.

Steinig: Weg ins Neuland

Der Weg dorthin war nicht einfach, erzählt Aspelmeyer. „Zu Beginn haben wir wochenlang über die Bedeutung von Formeln gestritten. Systemtheoretiker wie Andreas betrachten die Welt völlig anders als wir Physiker. Letztlich lief es darauf hinaus, dass wir eine gemeinsame Sprache finden mussten. Das hat gedauert.“

Kommt hinzu, dass selbst die Theorie Freiraum für Interpretationen zulässt. Der österreichische Quantenphysiker und aktuelle Präsident der Wissenschaftsakademie Anton Zeilinger hat 2011 eine Umfrage durchgeführt, um herauszufinden, wer in der Fachgemeinde welche Interpretation der Quantentheorie bevorzugt. Ergebnis: Uneinigkeit, wohin man blickt. Selbst jetzt, 100 Jahre nachdem Pioniere wie Einstein und Bohr über die Deutung der Phänomene gestritten haben, ist noch kein Konsens in Sicht. Kugi hält sich da raus – und meint lapidar: „Ich musste das alles neu erlernen, für mich ist die Quantentheorie ohnehin ein Mysterium.“

Markus Aspelmeyer und Andreas Kugi
ORF/Czepel
Das nächste Experiment ist in Planung: Markus Aspelmeyer und Andreas Kugi

Schwierigkeiten waren auch finanziell zu meistern. Geld für Forschungsanträge gibt es nur dann, wenn die Antragsteller über Expertise verfügen. Nachdem Kugi in der Quantenforschung noch keinerlei Erfahrung vorweisen konnte, finanzierte er das Projekt über Rücklagen. Auch für Aspelmeyer war der Brückenschlag zur Regelungstechnik mit Risiken verbunden. „Wenn man etwas völlig Neues macht, kann man sich auf fünf Jahre Arbeit ohne Publikationen einstellen. In diesem Fall hat es nur drei Jahre gedauert, weil wir bereits ein funktionierendes Experiment aufgebaut hatten.“

Was die Forschungsförderung vor ein Problem stellt. Gibt sie der Erfahrung Gewicht, setzen sich konventionell gestrickte Projekte durch, böse formuliert: solche, die nichts grundlegend Neues bringen. Auf wissenschaftlichem Neuland kann es indes passieren, dass die Fördergelder wenig Konkretes abwerfen. Oder am Ende gar nichts herauskommt. „Im Dickicht weiß ich, dass dort niemand war“, sagt Kugi. „Aber natürlich nicht, ob ich etwas finden werde.“

Die Vision: Unscharfe Raumkrümmung

Wohin könnte der Weg durchs Dickicht führen? Für die Grundlagenforschung bedeutet das zunächst, dass die Physiker nun einen Bauchladen von Techniken zur Verfügung haben, mit dem sie exotische Quantenzustände am Leben erhalten können, auch solche, die so instabil sind wie Kugis Dreifachpendel. Eine naheliegende Anwendung der Technologie wären neue Kraft- und Beschleunigungssensoren, wie sie beispielsweise auf Satelliten zur Anwendung kommen. Die Entwicklungspläne liegen schon in der Schublade.

Mit dem Zustand, den die Glaskugeln jetzt erreicht haben, will sich Aspelmeyer jedenfalls nicht zufriedengeben. Er möchte die Kugeln soweit unter Kontrolle bringen, dass sie sich tatsächlich an zwei Orten aufhalten, so wie Elektronen. Sollte das gelingen, würde sich dieser Zustand auch der Raumzeit rundherum einschreiben: Denn Massen krümmen nach Albert Einstein den Raum – doch in diesem Fall würde die Krümmung gleichzeitig in zwei Richtungen deuten. Das wäre "wirklich verrückt“, sagt Aspelmeyer. Vielleicht sogar verrückter als Aladins Wunderlampe.