Frau im Rollstuhl wird von anderer Frau gezogen
dpa-Zentralbild/Patrick Pleul
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Welt-Duchenne-Tag

Wenn Gehen und Atmen zur Qual wird

Personen mit der seltenen Krankheit Muskeldystrophie-Duchenne sind oft schon sehr jung auf Rollstühle oder Beatmungshilfen angewiesen. Um den etwa 200 Betroffenen in Österreich ein möglichst eigenständiges Leben zu ermöglichen, müsse noch einiges getan werden, sagen Experten anlässlich des Welt-Duchenne-Tags.

Die seltene und nach wie vor unheilbare Muskelerkrankung betrifft fast nur männliche Patienten und macht sich schon in jungem Alter bemerkbar. Betroffene beginnen etwa oft erst später zu gehen als Gleichaltrige. „Bald danach sieht man schon, dass sie sich bei allen Bewegungen schwertun, bei denen sie ihren Körper gegen die Schwerkraft hochbringen müssen, zum Beispiel beim Aufstehen vom Boden oder dem Treppensteigen“, erklärt Günther Bernert, Leiter der Kinder- und Jugendheilkunde in der Klinik Favoriten und Präsident der Muskelforschung Österreich.

Fehlendes Protein sorgt für Muskelschwund

Die Muskelschwäche schreitet mit der Zeit immer weiter voran. Durch das Fehlen eines Proteins in der Zelle sterben die Muskelfasern rascher ab, als das natürliche Wachstum ausgleichen kann. So haben Betroffene oft schon ab dem Alter von ca. elf Jahren große Probleme mit dem Gehen und sind bereits in jungem Alter auf einen Rollstuhl angewiesen. Auch die Atmung wird durch die Muskeldystrophie-Duchenne erschwert. Erkrankte Personen brauchen meist vorerst nur nachts, bald darauf aber auch tagsüber Atmungshilfen. „In Österreich haben wir geschätzt ca. 150 bis 200 Patienten mit dieser Erkrankung“, so Bernert.

Genersatztherapie könnte helfen

Muskeldystrophie-Duchenne ist eine Erbkrankheit, die noch als unheilbar gilt, eine Genersatztherapie könnte aber eine mögliche Behandlung darstellen. „Dabei geht es darum, das beschädigte Gen durch ein gesundes Gen komplett zu ersetzen, mithilfe eines Vektors, also eines viralen Transportmittels“, erklärt Bernert, der jedoch hinzufügt: „Bei dieser Erkrankung ist die volle Genersatztherapie bis jetzt aber unmöglich, weil keiner der erprobten und verträglichen Vektoren das riesige Dystrophien-Gen, das bei der Muskeldystrophie-Duchenne entscheidend ist, transportieren kann.“ Im Moment sei also nur ein teilweiser Transfer des schadhaften Gens denkbar. Internationale Forscherteams seien derzeit aber dabei, an einer Verbesserung der Therapie zu forschen, so Bernert.

Inklusion und Unterstützung gleich wichtig wie Therapie

„Natürlich ist die Hoffnung groß, Therapien gegen die Muskeldystrophie-Duchenne zu entwickeln. Aber mindestens genauso wichtig ist die Inklusion der Betroffenen und die Ermöglichung der Teilhabe im Alltag“, erklärt der Wiener Internist und Vater eines Jugendlichen mit der seltenen Muskelkrankheit, Paul Wexberg. Positiv hebt Wexberg dabei die österreichischen Schulen hervor – hier werde generell viel getan, um zum Beispiel Gebäude barrierefrei zu gestalten. Luft nach oben gebe es jedoch weiterhin.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 7.9., 13:55 Uhr.

Da der Krankheitsverlauf in einer besonders wichtigen Phase der menschlichen Entwicklung an Schwere zunimmt, würden laut Wexberg viele Betroffene sehr unter den damit verbundenen sozialen Einschränkungen leiden. „Schon das selbstständige Herrichten der Schulsachen wird immer schwieriger, wie auch generell der Kontakt zu gleichaltrigen Freunden. Außerdem sind Betroffene gerade in der Zeit, in der zum Beispiel die Sexualität erwacht und andere sich etwas von deren Eltern lösen, besonders auf Hilfe bei der Körperpflege etc. angewiesen“, erläutert Wexberg. Für die Betroffenen natürlich alles andere als eine einfache Situation.

Individuelle Betreuung durch Casemanager

Wichtig wäre laut Wexberg daher die Unterstützung für Erkrankte durch sogenannte Casemanagerinnen und Casemanager. Sie koordinieren Kontrolltermine, helfen bei Anträgen auf finanzielle Unterstützung und bei der Suche nach dem passenden Schulplatz und vieles mehr. Der psychischen Belastung der Eltern und der Geschwisterkinder soll von den Casemanagern ebenfalls Aufmerksamkeit geschenkt werden. Damit könnte auch das medizinische Personal entlastet werden, das sich sonst oftmals um diese Belange kümmert. Der Beruf könnte zum Beispiel von diplomierten Krankenpflegern, Sozialarbeitern oder psychosozialen Begleitern ausgefüllt werden. Eine besonders wichtige Funktion kommt den Casemanagern auch in der Begleitung der Patienten zu, wenn diese aufgrund ihres Alters von der kindermedizinischen Betreuung in die Erwachsenenmedizin wechseln.

In Österreich gibt es für die Begleitung von Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen aber noch keine Casemanagerinnen und Casemanager. „Die Notwendigkeit wird von den Verantwortlichen im Gesundheitssystem (noch) nicht erkannt“, heißt es seitens der Muskelforschung Österreich. Ein genereller Ausbau und die langfristige Finanzierung dieser Betreuung in Österreich wird daher gefordert, um sie für Betroffene niederschwellig zugänglich zu machen und diesen so mehr Lebensqualität zu ermöglichen.