Lastwagen stehen im Stau
APA/ANSA
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Studie

Lärm und Demenzrisiko hängen zusammen

Ständiger Verkehrslärm erhöht das Risiko für eine Reihe von Krankheiten – auch von Demenz, wie eine große Studie aus Dänemark zeigt. 15 Prozent aller Fälle von Alzheimer und Co. hängen laut den Ergebnissen mit erhöhtem Auto- und Eisenbahnlärm zusammen.

„Mehr über die schädlichen Gesundheitswirkungen von Lärm zu wissen, kann zu besseren Schutzstrategien führen“, schreibt ein Team um Manuella Lech Cantuaria von der Syddansk Universitet in der soeben im „British Medical Journal“ erschienenen Studie.

Sehr viele und sehr genaue Daten

Die Forscherinnen und Forscher untersuchten dabei Daten von fast zwei Millionen über 60-jährigen Däninnen und Dänen zwischen 2004 und 2017. Rund 100.000 von ihnen litten in dem Zeitraum an einer Demenzerkrankung. Für alle Wohnadressen berechnete das Team um Cantuaria individuelle Belastungen mit Auto- und Bahnlärm, darin enthalten sehr genaue Angaben, u. a. zum Abstand des Hauses zu Straßen oder Schienen, zur Form des Gebäudes und des bewohnten Stockwerks.

Im Schnitt zehn Jahre mussten die Bewohnerinnen und Bewohner im gleichen Haus gelebt haben, um als „permanent lärmbelastet“ zu gelten. Die Schwelle lag dabei bei 55 Dezibel, dem auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Maximalwert für permanente Geräuschbelastung. Die individuellen Lärmwerte brachten die Forscher und Forscherinnen mit Daten aus dem nationalen dänischen Gesundheitsregister in Verbindung. Im Jahr 2017 etwa wurden darin knapp 8.500 Fälle von Demenzkrankheiten registriert. Rund 1.200 von ihnen – also knapp 15 Prozent – können laut Studie dem Verkehrslärm zugeschrieben werden.

Das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, war bei einem durch Straßenverkehr ausgelösten Lärm von 55 Dezibel im Vergleich zu 40 Dezibel um 27 Prozent erhöht. Ähnlich lagen auch die Werte bei Eisenbahnlärm. Ein Zusammenhang mit vaskulärer Demenz zeigte sich hingegen nur beim Straßenlärm.

Weniger Schlaf und mehr Stresshormone

Generell besteht der statistische Zusammenhang auch dann, wenn andere wichtige Risikofaktoren für Demenzerkrankungen – etwa die durch Verkehr verursachte Luftverschmutzung – mitberücksichtigt werden, betonen die Forscher. Lärm wirke sich direkt schädlich auf die Gesundheit aus, der Schlaf sei gestört, mehr Stresshormone im Körper, wodurch Blutgefäße und Immunsystem Schaden nehmen sowie Entzündungsprozesse verstärkt werden können – allesamt mögliche Vorboten einer späteren Demenzerkrankung.

Bei ihrer Arbeit handle es sich um eine Beobachtungsstudie, ob der Lärm die Erkrankungen kausal auslöst, könne deshalb nicht beantwortet werden, betonen die Forscherinnen und Forscher. Auch enthalte ihre Studie keine Angaben zum Lebensstil der Menschen und zu möglicher Geräuschisolierung ihrer Wohnungen. Dennoch sei sie allein aufgrund der großen Datenmenge, des langen Untersuchungszeitraums und der individuellen Lärmzuordnung „substanziell“, wie es in einem Begleitkommentar des „British Medical Journal“ heißt.

Zahlen könnten noch viel höher liegen

Das „ganze Bild“ von krankmachendem Lärm liefere die Studie freilich nicht, heißt es in dem Kommentar. So fehlten darin wichtige andere Lärmquellen wie Flugzeuge, Industrie und Arbeitsplätze. Lärm hänge außerdem mit einem erhöhten Risiko für eine Reihe anderer chronischer Symptome zusammen, etwa von Bluthochdruck, der seinerseits die Demenzgefahr erhöht. Die tatsächlichen Fälle von Alzheimer und Co. könnten weiters höher liegen als in der Studie angenommen, denn nicht alle von ihnen werden offiziell registriert.

Insgesamt gebe die aktuelle Arbeit aber einem bekannten WHO-Standpunkt Recht, wonach „Lärmverschmutzung nicht nur ein Umweltproblem ist, sondern auch eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit“. Ihre Bekämpfung sollte ganz oben auf der Agenda der Gesundheitspolitik sehen.

Die WHO geht davon aus, dass aktuell rund 50 Millionen Menschen weltweit unter Demenzerkrankungen leiden, bis Mitte des Jahrhunderts könnten es 130 Millionen sein. Nach Luftverschmutzung gilt Lärm in Europa als zweithäufigster Umwelt-Risikofaktor für die Gesundheit. Rund ein Fünftel der Europäer und Europäerinnen ist von permanentem Lärm von mehr als 55 Dezibel betroffen.