Cover des Buchs „NY 2140“
BROWN BOOK GROUP
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Literatur

Klimaerwärmung als Protagonist

Klimaerwärmung ist lange kein Thema in der Literatur gewesen, nun boomt die neue Climate-Fiction. Die Cli-Fi-Romane entwerfen eine Zukunft mit Wasserkrise, Meeresspiegelanstieg und Artensterben und wollen so die Leserschaft aufrütteln.

Athen: 50,1 Grad. Sevilla 48,2 Grad. Europa wird im Juli von einer Hitzewelle geplagt. Seit März hat es nicht mehr geregnet. Flüsse und Seen trocknen aus, Brunnen versiegen. Durch ein Erdbeben sackt das Grundwasser in Italien in unerreichbare Tiefen ab. Auch die großen Seen wie der Aralsee trocknen aus. Der völlig vertrocknete Wald fängt Feuer, und dieses breitet sich ungebremst aus, die Freiwilligen Feuerwehren sind mit einer Katastrophe von diesem Ausmaß überfordert.

Dieses Szenario stammt aus dem Buch „42 Grad“, mit dem Wolf Harlander einen Klimaschocker ablieferte. Die UNESCO bezeichnet die Wasserkrise als das größte Menschheitsproblem der nächsten Jahrzehnte. „Wir denken ja immer, wir sind im Paradies und uns kann es nicht passieren“, meint Harlander. „Aber es gab bereits einige Gemeinden, die kein Wasser mehr hatten. Die mussten mit Tankwagen versorgt werden. Es kommt schleichend, aber die Experten sind sich einig: Die Wasserkrise kommt. Und noch haben wir Zeit, uns darauf vorzubereiten.“

Wissen in packende Geschichte verpacken

Harlander ist mit seinem Buch ein Bestseller gelungen in einem Genre, das sich Climate-Fiction nennt. Der Klimawandel hat darin bereits stattgefunden und er agiert quasi als Protagonist dieser Romane. Harlander setzt auf eine Montagetechnik, baut in die Erzählebene immer wieder Fakten ein. Der gelernte Journalist hält das für eine brauchbare Lösung, um Wissen zu transportieren. Der Titel „42 Grad“ referiert auch auf einen Fakt: auf den bisherigen Hitzerekord in Deutschland.

„Es ist natürlich nicht die Grundaufgabe eines Romans, Wissen zu vermitteln. Es gibt jede Menge Sachbücher über die Wasserkrise. Aber meine Beobachtung ist, dass die Erkenntnisse nie aus diesem akademischen Zirkel hinausgedrungen sind. Und wenn man sich als Autor dann die ganz einfache Aufgabe stellt: Was passiert eigentlich, wenn das Wasser wegbleibt? Also was passiert, wenn wir eines Tages den Wasserhahn aufdrehen und auf absehbare Zeit kommt nichts mehr? Das in eine möglichst spannende, packende Geschichte zu packen, und dass jeder mitfühlen und mitleben oder vielleicht auch mitleiden kann, ist das Wichtigste.“

Natur als Bedrohung

Natürlich ist es naheliegend, die Klimaerwärmung zu thematisieren. Apokalyptische Bilder von Waldbränden in Kalifornien oder Australien werden uns immer öfter via TV in die Wohnzimmer geliefert. „Offenbar müssten die Leute erst tot vor einem umfallen, bis man auch begreift, dass es ernst sein kann. Ich fürchte, das Thema ist bei uns noch nicht nah genug dran“, meint die Schriftstellerin Zoe Beck.

Sie hat mit ihrem Roman „Paradise City“ einen dystopischen Klimathriller geschrieben. Und konzentriert sich vor allem auf den Umgang mit Gesundheitsdaten in einer von Seuchen und Ökokatastrophen geplagten Gesellschaft – typisch für Climate-Fiction. Die Autoren denken über die Gesellschaft der Zukunft nach. Auch in Lisa-Marie Reuters „Exit This City“ (2021) wird die Natur zur Bedrohung. Die Reichen verschanzen sich in Gated Communities, wo sich das Leben noch halbwegs erträglich gestalten lässt.

New York unter Wasser

Während die europäischen Autoren Wasserknappheit oder Artensterben thematisieren – man denke nur an die Erfolgsbücher der Norwegerin Maja Lunde – ist in Amerika der Anstieg des Meeresspiegels das große Thema. „New York 2140“ lautet der Titel des Romans von Kim Stanley Robinson: „Die Fluten haben New York und jede andere Küstenstadt der Welt überschwemmt. Es gab zwei große Wellen, die den Meeresspiegel um insgesamt fünfzehn Meter haben ansteigen lassen, und danach stand Lower Manhattan unter Wasser und Upper Manhattan nicht. Wie das nur passieren konnte! So viel Eis aus der Antarktis und aus Grönland! Gibt es wirklich so viel Eis, das zu so viel Wasser wird? Ja, gibt es.“

Im Wasser zwischen den Hochhausschluchten staut sich der Bootsverkehr. Wer es sich leisten kann, wohnt in den obersten Etagen. Der Rest lebt unter Wasser wie in einem Ozeandampfer. Wir sind mittendrin in der laufenden Katastrophe. Kim Stanley Robinson zeigt, wie die Klimaerwärmung unsere Gesellschaft verändert. Er wurde dafür vom „New Yorker“ als einer der wichtigsten politischen Schriftsteller Amerikas bezeichnet. Das „Time Magazine“ bezeichnete ihn als „Helden der Umwelt“. Sein neuestes Buch „The Ministry For The Future“ ist einer der wenigen hoffnungsvollen Romane dieses Genres, denn die Klimawende gelingt in dieser Utopie. Neu ist auch, dass Klimaaktivisten und Klimawandelleugner zu Protagonisten werden.

„Der Planet schreibt zurück“

Der Literaturkritiker Martin Zähringer beschäftigt sich intensiv mit diesem boomenden Zweig der Literatur, der Climate-Fiction. Er organisierte das weltweit erste Climate-Fiction-Festival. Im November bereitet er mit seinem „Climate Cultures Network“ ein Festival über Klima-Kultur vor, in dem es um die Bedeutung von Klima in Literatur, Film und Wissenschaft geht. Der Titel ist Programm: „Der Planet schreibt zurück“.

„Ich würde Climate-Fiction keinesfalls als Genre bezeichnen, sondern als Strömung in der Weltliteratur“, meint er kritisch. Eine Strömung, die nach Lösungen und einem innovativen Umgang mit dem Unvermeidlichen sucht. Die britische Philosophin Jessie Greengrass zeigt eine interessante Antwort auf die Klimakatastrophe: Die Wissenschaftlerin Francesca baut in „The High House“ (2021) ihr Ferienhaus in eine Selbstversorger-Arche um.

„Klimakrise“, nicht „Klimawandel“

Axel Goodbody – Experte für Umweltliteratur- hat mit „Cli-Fi. A Companion“ (Peter Lang Verlag) das erste Kompendium über Climate-Fiction geschrieben. Er sieht in Ursula K. Le Guins Roman „The Lathe Of Heaven" (Die Geißel des Himmels) aus dem Jahr 1971 den ersten Klimawandelroman. Ein Klassiker ist auch Octavia Butler mit ihrer „Parabel vom Sämann“ (1993), ein Buch, das jetzt wieder auf der Bestsellerliste steht.

Ab dem Jahr 2000 stiegen auch hochpolitische Autoren wie TC Boyle mit „Ein Freund der Erde“ oder Margaret Atwood mit ihrer „MaddAddam Trilogie“ ein. Atwood setzt sich übrigens dafür ein, den verharmlosenden Begriff Klimawandel zu ersetzen: „Es ist eine Klimakrise, ein Notfall!“, meinte die wichtigste kanadische Schriftstellerin. Sie bezeichnet ihre Romane als spekulative Fiktion und verwahrt sich dagegen, ins Science-Fiction-Eck abgeschoben zu werden. Dabei sind es Sci-Fi-Autoren, die die Cli-Fi prägten. Dirk C. Fleck gilt als der Vater des Ökothrillers.

2011 begannen sich Autoren wie Ilija Trojanow („Eistau“) für die Klimaerwärmung zu interessieren. Mittlerweile gibt es rund 30 deutschsprachige Klimaerwärmungsromane. John von Düffel stellt eine Klimaaktivistin ins Zentrum seines Romans „Der brennende See“ (2020) und stellt die Frage: „Wer hätte gedacht, dass einmal die Wolken knapp werden könnten?“