Gemälde von Marie-Antoinette
AFP – MARTIN BUREAU
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Marie Antoinette

Geschwärzte Stellen in geheimen Briefen entziffert

Ein historischer Briefwechsel zwischen der französischen Königin Marie Antoinette und einem schwedischen Grafen gibt der Wissenschaft seit Langem Rätsel auf. Denn Teile davon wurden geschwärzt. Eine neue Studie bestätigt, was schon länger vermutet wird: Dahinter verbirgt sich eine geheime Liebesromanze.

Es ist die Zeit der Französischen Revolution. Zwischen Juni 1791 und August 1792 leben Königin Marie Antoinette und ihr Gatte, König Ludwig XVI, unter genauer Beobachtung und strengsten Sicherheitsvorkehrungen im Tuilerien-Palast, einer heute zerstörten Schlossresidenz im 1. Arrondissement in Paris. Dennoch gelingt es Marie Antoinette, einen geheimen Briefwechsel mit dem schwedischen Grafen Hans Axel von Fersen aufrechtzuerhalten. Als schwedischer Staatsmann ist von Fersen ein enger Freund – und vermutlich auch ein Geliebter von Marie Antoinette gewesen.

Letzteres dürfte zumindest ein wichtiger Grund gewesen sein, warum jemand nachträglich Wörter und ganze Passagen in den Briefen durch Überschreiben unkenntlich gemacht hat. Und zwar so, wie es wohl viele spontan machen würden, die nicht möchten, dass andere mitlesen: mit schwarzer Tinte Ringelreihen über das Geschriebene setzen, bis nichts mehr zu erkennen ist.

Neues Verfahren bringt Licht ins Dunkel

Ein Teil dieser Briefe ist bis heute erhalten und liegt seit 1982 im französischen Nationalarchiv, der Briefnachlass wurde von der Familie von Fersen an das Archiv übergeben. Seit Langem versuchen Wissenschaftlerinnen herauszufinden, was in den überschriebenen Passagen steht. Geht es um Fluchtversuche, um Staatsgeheimnisse oder um Liebesschwüre? Und wer hat die Briefe nachträglich zensiert? Gelungen ist die Entschlüsselung nun zumindest teilweise.

Geschwärzte Passage
CRC

Ein Team unter der Leitung von Anne Michelin und Fabien Pottier vom Centre de Recherche sur la Conservation, einem Institut am Museum national d’histoire naturelle, dem staatlichen französischen Naturkundemuseum, sowie der Universität Sorbonne in Paris, sind dem geheimen Inhalt der Briefe nun ein großes Stück nähergekommen. Die Ergebnisse wurden soeben im Fachjournal „Science Advances“ veröffentlicht.

Detektivarbeit mit Tinten- und Datenanalysen

Mit zweidimensionalem Röntgen im Makromodus durchleuchteten sie die unkenntlich gemachten Stellen in 15 Briefen. Um die Schriften zu entwirren, half außerdem die Methode der multispektralen Bildgebung, außerdem Infrarotbestrahlung und Wärmebildtechnik.

Dabei stellte sich heraus, dass in acht der Briefe eine andere Ursprungstinte verwendet wurde als jene Tinte, die nachher zum „Zensieren“ verwendet wurde. Zwar handelte es sich immer um Eisengallustinte. Doch das Verhältnis der Inhaltsstoffe Kupfer, Eisen und Zink variierte. Mit dieser Information konnten die Forschenden schließlich die eine von der anderen Schrift entwirren.

Außerdem verwendeten die Wissenschaftler verschiedene Methoden der Datenverarbeitung, etwa statistische Datenreduktion und multimodale Bildfusion, um besonders schwierige Stellen wieder lesbar zu machen. Die Kombination aus den neuen Möglichkeiten der Datenverarbeitung und der 2-D-Röntgenfluoreszenzspektroskopie ermöglichte es laut den Forschenden erstmals, diese Stellen zu entziffern.

Zuneigung während politischer Apokalypse

„Heißgeliebt“, „zärtlicher Freund“, „vergöttern“, oder zum „verrückt werden“, solche Wörter und Phrasen tauchen unter den zensierten Stellen in acht der 15 Briefe auf. Sie lassen darauf schließen, dass zwischen den beiden mehr als eine enge Freundschaft war. Die Forscherin Anne Michelin und ihre Kollegen weisen aber auch darauf hin, dass sich die beiden vor dem Hintergrund der Französischen Revolution in einem emotionalen Ausnahmezustand befunden haben müssen.

Für sie ist der Blick hinter die zensierten Stellen weniger ein eindeutiger Beweis für eine Liebesaffäre, als vielmehr ein persönliches Zeitzeugnis von politischen Akteuren und ihrer Gefühlswelt während des Zusammenbruchs der bisherigen politischen Ordnung. Kommentare zur aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation wechseln sich in den Briefen mit persönlichen, emotionalen Mitteilungen ab. Nur Letztere wurden allerdings zensiert.

Zensor war wohl von Fersen selbst

Und noch etwas fanden Michelin und ihr Team heraus: Wahrscheinlich war es Hans Axel von Fersen selbst, der die Briefe zensiert hatte und nicht, wie bisher angenommen, eines seiner Familienmitglieder. Von Fersen schrieb viele seiner Briefe wohl mit der gleichen oder ähnlichen Tinte. Die Tinte, mit der nachträglich „zensiert“, also überschrieben wurde, weist teilweise das gleiche Verhältnis von Eisen, Kupfer und Zink auf wie die Ursprungsschrift, stammt daher vermutlich aus der gleichen Feder. Von Fersen machte auch Abschriften von den Briefen Marie Antoinettes, und fügte auch hier die Zensuren an. Die erhaltenen Briefe von Marie Antoinette sind also Kopien.

Nicht immer verwendete von Fersen aber die gleiche Tinte – vor allem seine frühen Briefe unterscheiden sich deutlich von den späteren. Das machte es den Forschenden möglich, einige Stellen aus seinen Briefen zu entziffern. Von Fersen war sich anscheinend bewusst darüber, dass diese Stellen heikel für ihn werden könnten. Einmal schrieb er über eine geschwärzte Stelle eine Ausbesserung: Statt des Originaltexts „Der Brief vom 28. machte mich glücklich“ steht dort nun „Der Brief vom 28. hat mich erreicht“.

Beide wurden hingerichtet

Während Marie Antoinette etwa ein Jahr nach den letzten noch erhaltenen Briefen, am 16. Oktober 1793, mit der Guillotine hingerichtet wurde, lebte Graf Hans Axel von Fersen noch bis 1810. Dann wurde er in Stockholm vom aufgebrachten schwedischen Volk auf grausame Weise zu Tode geprügelt. Man hatte ihn verdächtigt, den Prinzen Christian August von Augustenburg vergiftet zu haben.

Die Entschlüsselung der historischen Briefe läuft weiter – neue Ergebnisse zu einer hoffentlich vollständigen Übersetzung werden später in einer gesonderten Publikation präsentiert. Hoffnung hegen die Autoren auch in Bezug auf neue Entwicklungen im Bereich künstlicher Intelligenz. Die könnte in Zukunft vielleicht eingesetzt werden, um die Schriftbilder automatisch zu analysieren und so das aufwendige Prozedere zu beschleunigen.