3-D-Illustration von Molekülen und Atomen
Anusorn – stock.adobe.com
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Nobelpreise 2021

Chemienobelpreis für Molekülwerkzeug

Der Chemienobelpreis 2021 geht an den Deutschen Benjamin List und den in Schottland geborenen US-Amerikaner David McMillan für die Entwicklung der Organokatalyse, einer Methode zur Beschleunigung chemischer Reaktionen. Das gab die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm bekannt.

Die Chemiepreisträger des Jahres hätten ein neues und geniales Werkzeug für den Aufbau von Molekülen entwickelt, heißt es in der Begründung. Es werde für die Erforschung neuer Arzneimittel eingesetzt und habe auch dazu beigetragen, die Chemie umweltfreundlicher zu machen.

Die asymmetrische Organokatalyse habe sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit entwickelt. Mit Hilfe dieser Reaktionen könnten Forscher nun vieles effizienter herstellen, von neuen Arzneimitteln bis hin zu Molekülen, die Licht in Solarzellen einfangen können.

Benjamin List wurde 1968 in Frankfurt geboren, er ist Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr. David MacMillan wurde ebenfalls 1968 im britischen Bellshill geboren, er ist heute Professor an der Princeton University.

„So einfach wie genial“

Katalysatoren sind Stoffe, die chemische Reaktionen ermöglichen, beschleunigen oder steuern, ohne Teil des Endprodukts werden. So wandeln etwa Platin und Palladium im Katalysator eines Autos Kohlenwasserstoffe, Kohlenmonoxid und Stickoxide in die ungiftigen Substanzen Kohlendioxid, Wasser und Stickstoff um. Und im Körper helfen Tausende von Katalysatoren in Form von Enzymen dabei, notwendige Moleküle herzustellen oder schädliche Substanzen abzubauen.

Lange Zeit standen vor allem zwei Arten von Katalysatoren im Fokus: Metalle und Enzyme. Die beiden diesjährigen Nobelpreisträger hätten unabhängig voneinander im Jahr 2000 eine neue Art der Katalyse entwickelt, die „asymmetrische Organokatalyse“ genannt wird und auf kleinen organischen Molekülen aufbaut, heißt es seitens des Nobelpreiskomitees. Dessen Vorsitzender Johan Aqvist bezeichnete dieses Katalysekonzept als „so einfach wie genial“, und viele Leute hätten sich gefragt, warum man nicht schon früher darauf gekommen sei. Die beiden Chemiker seien nach wie vor führend auf diesem Gebiet.

Effiziente Reaktionen

Organische Katalysatoren haben ein stabiles Gerüst aus Kohlenstoffatomen, an das sich weitere aktive chemische Gruppen anlagern können. Diese enthalten oft gewöhnliche Elemente wie Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel oder Phosphor, was bedeute, dass diese Katalysatoren umweltfreundlich und billig in der Herstellung seien.

Dass sich die Organokatalyse „mit erstaunlicher Geschwindigkeit“ durchgesetzt hat, ist laut Nobelpreiskomitee vor allem auf ihre Fähigkeit zurückzuführen, die asymmetrische Katalyse voranzutreiben. Denn Moleküle können sich oft auf zwei unterschiedliche Arten bilden, die – so wie Hände – spiegelbildlich angeordnet sind. Und häufig wird nur eine dieser beiden Formen gewünscht, insbesondere bei der Herstellung von Pharmazeutika. Denn die Spiegelbildform kann auch gefährlich sein, wie in den 1960er Jahren das Beruhigungsmedikament Contergan gezeigt hat, wo eine Form des Wirkstoffs Fehlbildungen bei ungeborenen Kindern auslöste.

Die Präsentation der Chemienobelpreisträger in Stockholm
AFP/JONATHAN NACKSTRAND

List wurde im Familienurlaub in Amsterdam vom Anruf aus Stockholm überrascht. Dort habe er mit seiner Ehefrau gerade beim Frühstück gesessen, als plötzlich jemand aus Schweden angerufen habe, sagte der deutsche Chemiker am Mittwoch kurz nach der Bekanntgabe der diesjährigen Preisträger in Chemie. „Ich dachte, jemand macht einen Witz mit mir“, sagte List, als er von der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften telefonisch zugeschaltet wurde. „Es ist schwierig zu beschreiben, was man in diesem Moment fühlt. Aber das war ein besonderer Moment, den ich niemals vergessen werde.“

Nobelpreisreigen

Vergangenes Jahr hatten sich die in Berlin arbeitende Emmanuelle Charpentier (Frankreich) und Jennifer A. Doudna (USA) den Chemienobelpreis geteilt. Sie waren für die Entwicklung einer Genschere zur gezielten Erbgutveränderung ausgezeichnet worden.

Wie im Vorjahr sind die Nobelpreise mit zehn Millionen schwedischen Kronen (rund 980 000 Euro) pro Kategorie dotiert. Verliehen werden sie traditionell am 10. Dezember, dem Todestag von Preisstifter und Dynamiterfinder Alfred Nobel (1833–1896).

Schon am Montag ist in Stockholm bekanntgegeben worden, dass der Medizinnobelpreis an David Julius aus den USA und den im Libanon geborenen Ardem Patapoutian geht. Die beiden Forscher haben Zellrezeptoren entdeckt, über die Menschen Temperaturen und Berührungen wahrnehmen.

Der Hamburger Meteorologe Klaus Hasselmann teilt sich in diesem Jahr die eine Hälfte des Physiknobelpreises mit dem in Japan geborenen US-Amerikaner Syukuro Manabe, die andere Hälfte geht an den Italiener Giorgio Parisi. Sie werden für ihre Beiträge zur Erforschung des Klimas und anderer komplexer Systeme ausgezeichnet.

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Virtuelle Preisverleihung

Vergeben werden die Preise allesamt an Nobels Todestag, dem 10. Dezember. Dabei erhalten die Ausgewählten auch ihre prestigeträchtigen Nobelmedaillen und Diplome. Die Nobelstiftung teilte bereits mit, dass zumindest bei der Preisverleihung in Stockholm wie im Vorjahr keine Preisträger in der schwedischen Hauptstadt sein werden. Sie werden stattdessen in ihren Heimatländern geehrt, das Ganze wird dann mit einer Zeremonie im Stockholmer Rathaus verwoben. Grund dafür sind nach Angaben der Nobelstiftung Unsicherheiten über den weiteren Verlauf der Coronavirus-Pandemie und damit verbundene Reisebeschränkungen.

Einzig das norwegische Nobelkomitee ließ sich noch die Möglichkeit offen, Preisträger für die Verleihung nach Oslo zu holen. Endgültig darüber entscheiden will das Komitee Mitte Oktober. Wegen der Pandemie waren die sonst höchst feierlichen Preisvergaben bereits 2020 deutlich kleiner und anders ausgefallen als üblicherweise.