Igo Pötsch, Fahrt des Führers zur Proklamation am 15. März 1938, 1940, Ausschnitt
Wien Museum, Paul Bauer
Wien Museum, Paul Bauer
NS-Zeit

Tausende Mitgliedsakten von Künstlern aufgearbeitet

Zwei Kunsthistorikerinnen haben über 3.000 Mitgliedsakten der Reichskammer der bildenden Künste in Wien erstmals aufgearbeitet. Sie erzählen von Schicksalen, Mittätern und einem weitreichenden Machtnetzwerk. Eine Ausstellung zum Thema öffnet heute Abend im Wien Museum (MUSA).

Bilder von starken blonden Helden, mutigen Kämpfern oder fleißigen Arbeitern, so etwas mochte die Reichskammer der bildenden Künste besonders gern. Nicht jeder durfte hier Mitglied sein: Politisch andersdenkende und jüdische Künstler jedenfalls nicht. Die Kunsthistorikerin Ingrid Holzschuh hat in jahrelanger Forschungsarbeit diese Akten erstmals wissenschaftlich aufgearbeitet und erklärt das Aufnahmeprozedere: „Ganz wichtig war auch eine künstlerische Bewertung, man musste Arbeiten einreichen, die beweisen sollten, dass man künstlerisch fähig und geeignet ist, in diese Kammer aufgenommen zu werden.“

Veranstaltungshinweis

Die Ausstellungseröffnung „Auf Linie. NS-Kunstpolitik in Wien“ im Wien Museum (MUSA) findet heute Abend, 13.10., online statt und kann ab 18:30 Uhr per Livestream mitverfolgt werden.

Ab 1938 alle Kunstvereine verboten

In Wien wurden 1938 alle Kunstvereine aufgelöst. Jeder Künstler und jede Künstlerin musste nun in der Reichskammer der bildenden Künste Mitglied werden, vorausgesetzt er oder sie erfüllten die Aufnahmekriterien. Ingrid Holzschuh stieß in den Akten auf dramatische Einzelschicksale, „wo im Abstammungsnachweis plötzlich jüdische Wurzeln aufgetaucht sind und der Künstler dann nach Berlin fahren musste, mitten im Krieg 1942, um sich im anthropologischen Institut einer Rassen-Untersuchung zu unterziehen.“

Ausstellungskatalog „Berge, Menschen und Wirtschaft der Ostmark, Ausstellung Berlin, 26.5.-25.6.1939“, Cover: Lois Gaigg (Ausschnitt)
Wien Museum, Paul Bauer
Ausstellungskatalog „Berge, Menschen und Wirtschaft der Ostmark, Ausstellung Berlin, 26.5.-25.6.1939“, Cover: Lois Gaigg (Ausschnitt)

Die Reichskammer der bildenden Künste führte akribisch Akten über jedes Mitglied. Über 3.000 von diesen Akten sind bis heute erhalten und befinden sich im Archiv der Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs, das ist die Nachfolgeorganisation der Reichskammer nach 1945. Dort hatte sie der ehemalige Präsident und Bildhauer Karl Novak (2007-2015) namentlich geordnet in eine Online-Datenbank eingegeben, das erleichterte den Wissenschaftlerinnen den Zugriff.

Jahrelange Forschungsarbeit

Die Kunsthistorikerin Ingrid Holzschuh und ihre Kollegin Sabine Plakolm-Forsthuber haben sich über drei Jahre in die Akten eingelesen und darüber hinaus in anderen Archiven weitergeforscht. Sie wollten wissen, wie die Reichskammer der bildenden Künste funktioniert hat, wie sie vernetzt war und welche Rolle die Künstler in diesem Machtgefüge selbst gespielt haben. „Es ist zum Beispiel zur Anzeige gebracht worden von einem Künstler, dass ein anderer Künstler möglicherweise entartete Kunst herstellt und das ist weitergangen an die Geheimpolizei und die hat dann die Künstler auch überwacht“, erklärt Ingrid Holzschuh.

Zusammenarbeit von Kunst und Politik

All das findet sich schriftlich in den Mitgliedsakten. Von 1938 bis 1945 führte die Reichskammer sie. Wer kein Mitglied war, durfte auch nicht mehr ausstellen, hatte also Berufsverbot. Am Anfang der Akte steht meist eine Überprüfung der Person, ihrer Kunst und ihrer politischen Überzeugung sowie der Abstammung. Über die Jahre wurden in den Akten alles gesammelt, was der oder die Künstlerin an Korrespondenzen gehabt oder an welchen Projekten er oder sie gearbeitet hat – und eben auch, was andere über die Person an Eingaben gemacht haben.

Modefotografie „Haus der Mode“, ca. 1939-1942 (Ausschnitt)
Wien Museum, Paul Bauer
Modefotografie „Haus der Mode“, ca. 1939-1942 (Ausschnitt)

Bei manchen Künstlern zeigt sich hier erstmals, wie eng die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten gewesen ist. Aufschlussreich war da zum Beispiel die Akte des Bildhauers Gustinus Ambrosi: „Der hat in der NS-Zeit für Albert Speer für die neue Reichskanzlei Großplastiken gefertigt, wurde aber nach 1945 eben mit der NS-Zeit überhaupt nicht in Verbindung gebracht und sagte auch selbst, dass er mit den Nationalsozialisten nichts zu tun hatte“, so Holzschuh.

Ausstellung im Wien Museum

Für die Ausstellung “Auf Linie. NS-Kunstpolitik in Wien“ im MUSA in Wien haben die Kuratorinnen Ingrid Holzschuh und Sabine Plakolm-Forsthuber ausgewählte Mitgliederakten erstmals für die Öffentlichkeit aufbereitet, einzelne Lebensgeschichten erzählt und mit Originalobjekten aus Kunst, Handwerk und Mode ergänzt.

Reichskammer der bildenden Künste, Mitgliedsbuch von Heinrich Revy, 1938
Wiener Stadt- und Landesarchiv (Sign.: A1: 127049)
Wien Museum, Paul Bauer
Reichskammer der bildenden Künste, Mitgliedsbuch von Heinrich Revy, 1938

Die Kuratorinnen zeigen aber auch ein Machtgeflecht im Wiener Kunstbetrieb auf. Da gab es beispielsweise das Kulturamt der Stadt Wien, gegründet von den Nationalsozialisten. Es war eine Art städtischer Auftraggeber, der Wettbewerbe ausschrieb und Direktaufträge vergab. Durch das Kulturamt sicherte sich die Politik den Einfluss auf die Kunstproduktion, auch in Bereichen wie Architektur, Mode, Musik und Handwerk. Vertreten wurde es durch Künstler, die dem Nationalsozialismus nahestanden. Die Wiener Reichskammer der bildenden Künste wiederum hielt stets Rücksprache mit der Zentrale in Berlin.

Mitgliedsakten als Entnazifizierungsbeweis

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Reichskammer der bildenden Künste aufgelöst. Für die neu gegründete Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs mussten sich die Künstler und Künstlerinnen ebenfalls bewerben – eines der wichtigsten Aufnahmekriterien war nun eine weiße Weste in Sachen NS-Vergangenheit. Die Akten dienten nun teilweise als Entnazifizierungsbeweis. Dennoch wurden immer wieder Künstler und Künstlerinnen, die während der NS-Zeit reüssiert hatten, auch in der Zweiten Republik zu gefeierten Staatskünstlern. Auch hier möchten die Kuratorinnen weiter Aufklärungsarbeit leisten.