Eine Frau sitzt mit besorgtem Gesichtsausdruck vor einem Computerbildschirm
burdun – stock.adobe.com
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Coronavirus

Pandemie des Hasses

Mit der Coronavirus-Pandemie sind viele Forscherinnen und Forscher erstmals ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerückt. Dabei bekamen sie auf der ganzen Welt viel Hass ab, wie eine neue Studie zeigt. Über 20 Prozent wurde über Mails oder Social Media Gewalt angedroht, 15 Prozent erhielten sogar Morddrohungen – auch in Österreich.

„Extrem untergriffig, widerwärtig und vulgär“: So beschreibt Christiane Druml die rund 200 Mails, die sie im Sommer unmittelbar nach einem Zeitungsinterview bekommen hat. Die Vorsitzende der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt hatte sich darin für eine Impfpflicht in Pflegeberufen ausgesprochen. „Die meisten schreiben an meine berufliche Mailadresse, und zwar nicht anonym, sondern mit Vor- und Nachnamen“, so die Juristin gegenüber science.ORF.at. „Ich bekomme auch sehr lange Mails oder Briefe, die etwa erklären, warum das Coronavirus eigentlich gar nicht existiert und es gar keine Todesfälle gibt.“

Fauci und Co: Extreme Beispiele

Die Bioethikerin hat auch strafrechtlich relevante Botschaften erhalten, über die sie aber öffentlich nicht sprechen möchte. Beispiele aus aller Welt dokumentieren, was geschehen kann, wenn die Grenze zwischen Fake News und Strafrecht überschritten wird: Der US-Top-Virologe Anthony Fauci brauchte nach Todesdrohungen gegen sich und seine Familie Personenschutz; der deutsche Virologe Christian Drosten erhielt Drohschreiben mit einer verdächtigen Substanz, sein belgischer Kollege Marc Van Ranst musste sich vor einem Rechtsradikalen in Sicherheit bringen.

Rund um den Globus haben Forscherinnen und Forscher seit Beginn der Coronavirus-Pandemie Hass und Drohungen erlebt. In ihrer aktuellen Ausgabe versucht die Fachzeitschrift „Nature“, das Phänomen zu quantifizieren. Für einen Artikel wurden 321 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus den USA, Großbritannien, Deutschland, Australien, Neuseeland und Taiwan zu ihren Erfahrungen befragt. 22 Prozent von ihnen wurde Gewalt angedroht, 15 Prozent erhielten sogar Morddrohungen.

Laut der – statistisch nicht repräsentativen – Umfrage waren über 80 Prozent persönlichen Angriffen oder Troll-Kommentaren ausgesetzt, ein Viertel erhielt sie „meistens oder immer, wenn sie sich äußerten“. 42 Prozent gaben an, deshalb emotionalen oder psychologischen Stress gehabt zu haben. Etwa 60 Prozent sagten, dass ihre Bereitschaft, in Zukunft mit den Medien zu sprechen, durch Trolle und persönliche Angriffe gesunken sei, bei 15 Prozent sogar stark.

Blitzableiter für Ängste

Österreich war nicht Teil der Umfrage, aber auch hierzulande kennen alle mit der Pandemie beschäftigten Forscherinnen und Forscher Hass und Drohungen. Nach Zeitungsinterviews oder TV-Auftritten schwillt deren Menge jedes Mal an, sagt die Bioethikerin Christiane Druml. Angesichts niedriger Impfquoten fordert sie den Staat dazu auf, die dahinterstehenden Verbreiter von „Verschwörungstheorien und Fake News zu bekämpfen, weil sich diese auch gegen die öffentliche Gesundheit richten.“

Ambivalent sieht das Niki Popper, durch seine Prognosen spätestens seit Beginn der Pandemie bekannt. „Natürlich gehören strafrechtlich relevante Drohungen unterbunden“, meint er gegenüber science.ORF.at. „Ich kann aber auch Menschen verstehen, die derartige Mails als Blitzableiter für ihre negativen Gefühle benutzen. 99 von 100 sind einfach überfordert und packen die Situation nicht mehr!“ Auch Popper bekam Nachrichten hunderter Menschen, die ihre Unzufriedenheit über Prognosen und damit verknüpften Maßnahmen in Worte kleideten wie: „ihr asozialen präpotenten Dreckschweine, ihr werdet dafür bezahlen“ oder „wir hassen euch!“.

Wer in der Öffentlichkeit steht, müsse mit negativen Reaktionen aber rechnen und lernen mit ihnen umzugehen, meint der Simulationsforscher. Wichtig sei es, dass er die Kritik einsteckt und nicht das Team, das hinter der Forschung steht – dies versucht er zu schützen. Beleidigungen und Hass bekommt Popper im Übrigen nicht nur von „Corona-Leugnern und -Leugnerinnen“, die die Schutzmaßnahmen für übertrieben halten. Auch Menschen, denen die Maßnahmen nicht weit genug gehen, greifen gerne in die Tastatur und versenden Hassnachrichten. Was sie vereint, und das mache die Sache bis zu einem gewissen Grad verständlich, sei Angst – die einen haben Angst vor den wirtschaftlichen Folgen der Schutzmaßnahmen, die anderen vor der Krankheit.

Frauen und Männer gleich betroffen

Frauen sind von Droh- und Hassnachrichten in der Pandemie besonders betroffen, so die Erfahrung der Bioethikerin Christiane Druml. In der – nicht repräsentativen – aktuellen „Nature“-Umfrage (hier Details) hat sich das nicht gezeigt. „Das hat uns überrascht“, sagt Lyndal Byford vom Science Media Center (SMC) in Australien, einer Organisation, die sich der Förderung von Fachwissen in den Medien verschrieben hat. Gemeinsam mit SMC-Partnern in vielen Ländern hat sie die aktuelle Umfrage durchgeführt. „Wir dachten, dass Frauen die Hauptlast der Belästigungen tragen würden“, so Byford, laut Befragung gibt es aber kaum Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Sehr wohl zeigte sich aber jede Art von gruppenspezifischem Hass: etwa gegenüber ethnischen Minderheiten unter dem Motto „geh doch zurück, wo du herkommst“.

Einige Themen sind laut dem „Nature“-Artikel besonders geeignet, um Drohreflexe auszulösen: etwa alles, was mit Impfungen zu tun hat, der Einsatz sinnloser Medikamente (Ivermectin, Hydroxychloroquin) sowie die Frage nach der Herkunft des Coronavirus – davon berichten sowohl Forscherinnen und Forscher, die Beweise für die (wahrscheinlichere) natürliche Herkunftsthese sammeln, als auch Kollegen, die für die Laborthese plädieren.

Individuelle und institutionelle Antworten

Bleibt die Frage, was gegen die Anwürfe aus dem Internet hilft. Auf der einen Seite gibt es individuelle Strategien: etwa Ignorieren der Botschaften, Blockieren von Mail-Absendern und Trollen oder gleich das Löschen von Social-Media-Accounts. Auf der anderen Seite institutionelle Antworten: Hochschulen oder andere akademische Einrichtungen sollten sich um bedrohte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern, heißt es in dem „Nature“-Artikel, etwa indem Mails gefiltert oder Mailadressen von der Homepage entfernt werden, im fortgeschrittenen Fall auch indem Sicherheitspersonal eingesetzt wird.

Wirklich befriedigend ist das alles nicht. Weder für die Betroffenen noch für die Gesellschaft, die Expertinnen und Experten braucht, die öffentlich ihr Wissen teilen. Persönliche Angriffe, womöglich noch gegen Familie und Kinder, lassen diese Bereitschaft deutlich sinken, wie die Umfrage zeigt. „Viele wollen sich diesen Beschimpfungen nicht aussetzen. Und viele fühlen sich allein gelassen“, sagt der Wissenschaftskommunikationsforscher Mike Schäfer von der Universität Zürich. Die Betroffenen sollten deshalb besser „unterstützt werden: emotional, sozial, notfalls sogar juristisch. In diesen Bereichen müssen scientific communities, wissenschaftliche Forschungseinrichtungen, aber auch Hochschulen noch besser werden.“

Eine Ansicht, der sich die Germanistin Konstanze Marx von der Universität Greifswald anschließt und ergänzt: „Auch Plattformen sind in der Pflicht, das strafrechtlich relevante Geschehen zu monitoren. Ich sehe also eher Handlungsbedarf in einem generellen Diskursklima, weniger bei den einzelnen von Hate Speech betroffenen Personen.“ Gerade für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sei es wichtig, dass der Beitrag, den sie durch ihre Öffentlichkeitsarbeit leisten, anerkannt wird. „Dass sie derzeit mit der Social-Media-Arbeit weitestgehend allein sind, darf kein Dauerzustand bleiben“, so Marx. „Es braucht in den Hochschulen institutionalisierte Anleitung und Unterstützung im Krisenfall.“