Denkmal von Schiller und Goethe in Weimar in Zeiten der Coronavirus-Pandemie, auf ihnen hängt ein Plakat mit den Worten „Bleibt gesund und bleibt zuhause“
AP – Jens Meyer
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Zeitgeschichte

Deutsch als jüdisches Problem

Die deutsche Sprache spielt in der Geschichte des Europäischen Judentums eine ambivalente Rolle: Deutsch war für viele die Sprache der Aufklärung und Modernisierung, der Literatur und Wissenschaft. Schließlich wurde Deutsch aber zur Sprache Hitlers und der Nazi-Schergen. Was blieb, war ein großes Unbehagen, das bis heute anhält.

In der Geschichte des europäischen Judentums nahm die deutsche Sprache unterschiedliche Rolle ein: Sie wurde zum Vehikel der Modernisierung und schließlich zur Sprache des Nationalsozialismus und damit der Vernichtung. Der Historiker Mark Volovici zeichnet diese Geschichte in seinem Buch „German as a Jewish Problem“ (hier die Einleitung) nach – am Donnerstag spricht er darüber im Rahmen der Simon Wiesenthal Lectures in Wien.

Sprache der Modernisierung und Säkularisierung

Während der Zeit des Habsburgerreiches sei Deutsch für viele Juden Osteuropas und anderer Regionen der Diaspora ein Zugang zu Bildung gewesen, zu universellem Wissen, zu Wissenschaft, sagt Volovici. Auch wegen der linguistischen Nähe des Jiddischen zum Deutschen. Deutsch habe als eine Art Katalysator für eine mögliche Säkularisierung und soziale Transformation ganzer Gemeinschaften fungiert, erklärt der Historiker. Doch bereits im 18. und 19. Jahrhundert sei die Beziehung des Judentums zur deutschen Sprache ambivalent gewesen.

Ö1-Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen Aktuell, am 14.10. um 13.55 Uhr in Ö1.

„Die deutsche Sprache hat die Anziehungskraft der Modernisierung mit der Gefährdung der traditionellen jüdischen Kultur verbunden“, so Volovici gegenüber science.ORF.at. Deutsch war nicht die Sprache des jüdischen Lernens und Betens. Hinzu kam, dass Deutsch den jüdischen Bürgerinnen und Bürgern im Habsburgerreich aufgezwungen wurde. Dennoch betrachteten viele die Sprache als Zugang zu ökonomischem Aufstieg. „Und der Weg vom Jiddischen zum Deutschen war im Vergleich zu vielen anderen europäischen Sprachen ein leichter“, sagt der Historiker.

Deutsch als Lingua Franca des Zionismus

Mit dem Zionismus und Theodor Herzl bekam die deutsche Sprache einen neuen Stellenwert: Für Volovici war Deutsch in den Dekaden ihrer Entstehung die Lingua Franca der zionistischen Bewegung. Mit dem Ersten Weltkrieg und dem Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie änderte sich das. Deutsch verlor als Sprache an internationalem Stellenwert.

Veranstaltung:

Mark Volovicis Vortrag „German as a Jewish Problem – The Language Politics of Jewish Nationalism“, wird am 14. Oktober, um 18.30 Uhr, im Rahmen der Simon Wiesenthal Lectures in englischer Sprache stattfinden und kann via Livestream verfolgt werden.

Hinzu kam das Engagement des Britischen Empire für die zionistische Bewegung: In der Balfour-Deklaration vom 2. November 1917 hielt Großbritannien fest, dass in Palästina eine „nationale Heimstätte“ des jüdischen Volkes errichtet werden sollte. „Zu diesem Zeitpunkt war endgültig klar, dass Deutsch als Hauptsprache der Bewegung nicht mehr geeignet war“, so Volovici. Doch erst der Nationalsozialismus machte die deutsche Sprache als Medium des Zionismus endgültig untragbar.

Von Goethes Deutsch zu Hitlers Deutsch

Für die jüdische Gemeinschaft wurde es mit dem Erstarken des Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich unmöglich, Deutsch als Sprache wie jede andere zu betrachten. „Deutsch wurde zur Sprache Hitlers, zur Sprache des Feindes und war damit diskreditiert“, sagt der Historiker. Die offizielle Haltung des jungen Staates Israel war folglich, Deutsch zu boykottieren. „Es galt logischerweise als unangebracht, die Sprache jener zu verwenden, die versucht hatten, das jüdische Volk auszulöschen“, ergänzt Volovici.

Eine Problematik, die in Israel mit dem Prozess gegen den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann Anfang der 1960er Jahre abermals deutlich wurde. „Plötzlich war Deutsch wieder in der öffentlichen Sphäre Israels gegenwärtig“, sagt Volovici. Auch die Richter und der Staatsanwalt sprachen Deutsch, dennoch wurde der Prozess in Hebräisch geführt und übersetzt. „Während des Prozesses kam es zu beinahe intimen Momenten, die zeigten, dass die Mörder und die Opfer einmal dieselbe Sprache sprachen“, so Volovici weiter. Das habe auch gezeigt, dass Deutsch eine wichtige Rolle für die Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen spiele.

Deutsch in Gegenwart und Zukunft

Heute befinde man sich in einer Übergangsphase, meint Volovici. Die jüngere Generation betrachte Deutsch nicht mehr nur als Bedrohung des jüdischen Lebens oder der jüdischen Kultur. Es gebe auch wieder ein lebhafteres jüdisches Leben in deutschen Städten wie Berlin. „Aber das ist ein Prozess, der nicht abgeschlossen ist“, sagt Volovici. Wie sich die deutsche Sprache für Israelis, für Jüdinnen und Juden anhören werde, müsse die Zukunft zeigen, so der Historiker.