CV Machine im Einsatz (mit Hand, 2019)
Käthe Wenzel
Käthe Wenzel
Kunstprojekt

„Ausreden aus der Maschine“

Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen oder eine Auszeit im Süden machen sich nicht besonders gut im Lebenslauf. Käthe Wenzel arbeitet an einer Übersetzungsmaschine, die solche „Leerläufe“ als produktive Lebensphasen tarnt. Das Projekt verweist auf die Widersprüche zwischen neoliberalen Markanforderungen und realem Lebenschaos, wie die Künstlerin in einem Gastbeitrag ausführt.

Alle kennen das: Sie müssen heute früher von der Arbeit weg. Sie müssen Kinder abholen, zum Arzt oder auch einfach nur mal Luft holen. Chef*in und Kolleg*innen erzählen Sie, Sie müssten zu einem Meeting. Warum? Es ist bekannt, dass besonders Mütter häufig nicht offen sagen, wenn sie z.B. wegen der Kinder kurzfristig vom Arbeitsplatz abwesend sein müssen. Sie befürchten Nachteile, und die Ansage “Ich muss zum Meeting" wird immer noch leichter akzeptiert als “Ich muss zum Kindergarten".

Die Statistik bestätigt das – nach wie vor befürchten viele Arbeitgeber*innen, dass Frauen mit Kindern nicht uneingeschränkt genug für den Job zur Verfügung stehen. Personen, die Angehörige pflegen, oder die chronisch krank sind, haben ähnliche Probleme. Aber eigentlich geht es allen so. Wie soll man bloß das halbe Jahr, das man damals mit den Freunden in Spanien abgehangen hat, professionell rechtfertigen? Oder die Jahre, in denen man die Großtante gepflegt, den Haushalt geschmissen, eine Depression auskuriert oder – einfach keinen Job gefunden hat?

Porträt Käthe Wenzel
Käthe Wenzel

Über die Autorin

Käthe Wenzel ist Künstlerin und liefert Survival Kits für das Überleben im Patriarchat. Seit 2016 ist sie Professorin für Ästhetische Praxis an der Europa-Universität Flensburg. Sie erhielt zahlreiche Förderungen und Stipendien, ihre Arbeiten befinden sich in internationalen Sammlungen und Museen.

Am 18. Oktober hält sie am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften/Kunstuni Linz einen Vortrag zum Beitragsthema.

Tarnung für die Lücken im Lebenslauf

Für solche Situationen entwickle ich ein automatisiertes Übersetzungsgerät, die „CV Machine“, also eine „Lebenslauf-Maschine“. Zunächst als digitalen “Translation Engine" im Stil von Google Translate: In Zukunft wird man die Lebenslücke eintippen – und zurück kommt eine elegante, professionelle Umformulierung: “Ein Jahr ausgespannt und Joints geraucht" wird zu „Recherche in lokalen Subkulturen/Feldstudie“. Natürlich geht es auch umgekehrt – Erfolge lassen sich rückübersetzen, denn man hat dafür in anderen Bereichen des Lebens etwas aufgegeben – Zeit für Freunde und Familie, Zeit, in der man einfach in der Sonne sitzt.

Die „CV Machine“ speist sich aus einem breiten Markt von Ratgeberliteratur und Coaching Webseiten. Sie verspricht Abhilfe, wenn die Anforderungen des Arbeitsmarkts und die Lebensrealität nicht zueinander passen wollen. Auszeiten werden auf ökonomische Verwertbarkeit abgeklopft und umgewertet – manchmal auch ins Maßlose. Skandale über Hochstapler*innen, die ihre Lebensläufe frisiert oder gleich frei erfunden haben, sind die Spitze dieser Entwicklung.

In den 70ern konnte eine halbe Generation, ohne sich viel dabei zu denken, im VW-Bulli nach Indien fahren und hinterher Karriere machen, oder auch nicht. Heute kommen 17-jährige zu mir in die Studienberatung, die Angst haben, dass sie bei Studienbeginn “zu alt" sind, wenn sie sich zwischen Abi und Uni eine Auszeit nehmen. Tatsächlich gibt es inzwischen Rufe nach einer “Kultur des Scheiterns", um zu realistischen Lebensläufen – und Erwartungen – zurück zu kehren. Und überhaupt – was ist eigentlich Arbeit, und was nicht?

Arbeit und Nicht-Arbeit

Unter steigendem ökonomischen Druck werden arbeitsfreie Phasen gleichzeitig nötiger – und schwieriger zu rechtfertigen. Nicht-Arbeit, die man nicht mit “Muße" verwechseln darf, beinhaltet jede Menge Arbeit: Nur eben solche, die meist nicht bezahlt wird: Care-Arbeit, Familienarbeit, Zeit für Gesundheit etc. – aber auch für Experimente oder Selbstfürsorge.

Die „CV Machine“ liefert einen Tarnmantel für Zeiten, in denen wir nicht oder nicht in marktwirtschaftlich anerkannten Formen arbeiten. Sie liefert Tarnung nicht in Form von Unsichtbarkeit, sondern als Produktivität, die nötig ist, um im neoliberalen Klima mitzuhalten. Gleichzeitig greift sie die Tendenz auf, unsere Auszeiten und beruflichen Abwesenheiten so lange umzuwerten und umzuformulieren, bis sie “professionell verwertbar" klingen – und treibt sie über die Spitze.

Service-Mimikry

Getarnt als neoliberaler Überlebensservice, stellt die „CV Machine“ tatsächlich ganz andere Fragen: Wo finden gesellschaftlich häufig unsichtbare und nicht entlohnte Formen von Arbeit statt?
Unter ihrem leichtherzigen Versprechen, eine Übersetzung könne alles regeln, verbirgt sich das fundamentale Problem struktureller Ungleichheit. Ich will den Job am Empfang? Mit bio-europäischem Aussehen vervielfachen sich die die Chancen, dass ich ihn bekomme. Ich will 20 Prozent mehr verdienen? Dann sollte ich mir überlegen, ein Mann zu werden.

Einerseits verspricht sie genau das, was wir brauchen – perfekte Lebensläufe auf Knopfdruck – andererseits bleibt fraglich, ob das, was wir zu brauchen glauben, tatsächlich funktioniert? Und ist es wirklich nötig, jeden Moment unseres Daseins “zweckmäßig" zu rechtfertigen? Was, wenn Teile unseres Lebens einfach unproduktiv sein dürften?

Die CV Machine ist Teil einer Serie von Service-Interventionen für den beruflichen Alltag: Der Bauchpinselmaschine, einem unerlässlichen Gerät bei der Auftragsakquise und zur Erhöhung des Selbstwertgefühls; dem Brusthaartoupet für die temporäre performative Herstellung natürlicher Autorität insbesondere in Gehaltsverhandlungen (beide gemeinsam mit Lisa Glauer); oder der No Machine, die mit dem wiederverwendbaren No Set hilft, Konflikte zu entschärfen, bevor sie entstehen.