Maskierter Mann bei CoV-Protest in Wien
AFP/JOE KLAMAR
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Ideologie

Die „Neue Rechte“ im Kontext der CoV-Proteste

Verschwörungstheorien sind in der rechtsextremen Tradition tief verankert. Auch von den „Neuen Rechten“ werden sie gern bemüht, etwa bei der Kritik an den Pandemiemaßnahmen: Angeblich versuche eine globale Elite ein Repressionssystem zu errichten. Bei den CoV-Protesten fallen solche Ideen auf fruchtbaren Boden, wie der Philosoph Johannes Steizinger in einem Gastbeitrag ausführt.

Die rechtsextreme Protestkultur hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Durch provokante Aktionen im öffentlichen Raum erregen Gruppen wie die Identitäre Bewegung Österreich viel Aufmerksamkeit für ihre Botschaften. Zudem gelingt es ihnen durch die Nutzung von sozialen Medien den Anschein von Neuheit und Jugendlichkeit zu erwecken. Doch ein genauer Blick auf die inhaltlichen Forderungen der sogenannten Neuen Rechten zeigt, dass ihre Ideologie den alten Idealen des Rechtsextremismus entspricht.

Gefährliche Trugbild des „Ethnopluralismus"

Über den Autor

Johannes Steizinger ist Philosoph und lehrt an der McMaster University (Hamilton, Ontario).

Im Rahmen der Tagung “Neue Schwierigkeiten nein zu sagen“, der gemeinsame Eröffnungstagung des IFK und der Kunstuniversität Linz (20.-22. Oktober, Kunstuniversität Linz), hält er einen Vortrag zum Thema „Die identitäre Ideologie der ‘Neuen Rechten‘. Eine philosophische Kritik.“

Das zentrale politische Anliegen der Neuen Rechten ist die Besinnung auf eine vermeintliche „ethnokulturelle Identität“. Ihre Grundannahme ist dabei, dass die menschliche Welt aus vielen in sich homogenen und klar voneinander abgegrenzten Völkern besteht. Völker werden explizit als Abstammungsgemeinschaften definiert, denen man durch Geburt angehört. Zudem wird behauptet, dass Völker durch eine gemeinsame Lebensweise, gewachsene Traditionen und geteilte Werte gekennzeichnet sind. Ein Mensch könne nur einer „Ethnokultur“ angehören, welche auch seine Persönlichkeit bestimme.

Dieser sogenannte „Ethnopluralismus“ ist ein gefährliches Trugbild, weil er die kulturelle Wirklichkeit leugnet und durch willkürliche Grenzziehung Menschen gegeneinander aufhetzt. Kulturen gehen fließend ineinander über und sind immer Mischkulturen, die einem ständigen Wandel unterworfen sind. Ein einheitliches Ganzes bilden sie nie. Oftmals sind die Unterschiede innerhalb einer Kultur größer als die zu einer anderen.

Die von den Neuen Rechten behauptete Homogenität kann deshalb nur als ein praktischer Imperativ verstanden werden, der einen sozialen Ausschluss von Anderslebendenden und eine Unterdrückung von Andersdenkenden rechtfertigen soll. Indem die Angst vor einer vermeintlichen „Überfremdung“ geschürt wird, soll der soziale Zusammenhalt in real existierenden Gesellschaften untergraben werden. Die Neuen Rechten zielen auf einen kulturellen Säuberungsprozess, der Menschen unterschiedlicher Herkunft voneinander trennt. Ihr Ideal von einem „reinen Volk“ ist so alt wie der Rechtsextremismus selbst.

Neurechte Verschwörungstheorien

Ein wesentlicher Bestandteil neurechter Ideologien sind verschwörungstheoretische Denkmuster, die auch tief in der rechtsextremen Tradition verankert sind. So werden beispielsweise Migrationsbewegungen zu gesteuerten Prozessen dämonisiert: Eine globale wirtschaftspolitische Elite wolle durch einen „Bevölkerungsaustausch“ die Identität der Völker zerstören, um sich so die Weltherrschaft zu sichern. Auch der Umgang mit der Coronavirus-Pandemie wird anhand dieses Schemas instrumentalisiert.

Neurechte Ideolog:innen präsentieren die politischen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie als einen Versuch der globalen Elite ein weltumspannendes Repressionssystem zu errichten. Die CoV-Krise wird dabei als Fortsetzung der sogenannten „Migrationskrise“ von 2015 dargestellt. Und so finden sich viele Neue Rechte bei den „Querdenker“-Demonstrationen und prägen deren ideologische Ausrichtung unverkennbar mit Slogans wie „Heimatschutz statt Mundschutz“.

Pandemische Irrläufer

Wie schon bei der Migrationsdebatte im Jahr 2015 ist es den Neuen Rechten gelungen, den öffentlichen Diskurs mit irrationalen Beiträgen zu manipulieren. Das verweist auf ein größeres politisches Problem, das sich nun in der Pandemie noch deutlicher zeigt. Anstatt einer rationalen Debatte über ein gemeinsames Vorgehen gegen die Ausbreitung des Coronavirus greifen reflexhafte Verhaltensmuster, die auf Vorurteilen beruhen. Aber weder instinktive Ablehnung noch unreflektierte Zustimmung sind Ausdruck selbstbestimmten Handelns. Und Freiheit ist auch nicht durch eine bloße Abwesenheit von äußeren Einschränkungen gegeben, wie viele „Querdenker“ weismachen wollen.

Politische Freiheit ist sehr wohl mit Beschränkungen vereinbar, nämlich dann, wenn diese durch gute Gründe einsichtig gemacht werden können. Unter den Bedingungen der gegenwärtigen Pandemie können nur ganz wenige Menschen einen berechtigten Anspruch geltend machen, von den politischen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung wie Maskenpflicht oder Impfung ausgenommen zu werden. Für alle anderen, sprich die überwältigende Mehrheit, ist das Tragen einer Maske Ausdruck ihrer Freiheit, weil sie eine vernünftige Bedingung der sozialen Ausübung von Freiheit unter den gegenwärtigen Bedingungen eingesehen haben.

Selbstbestimmte politische Räume

Viele Ursachen für die gegenwärtige Misere finden sich in der allgemeinen politischen Lage. Beispielsweise braucht es selbstbestimmte politische Räume jenseits der Parteien, in denen sich Bürger:innen auf Augenhöhe begegnen können. Nur so können demokratische Umgangsformen gestärkt werden, die einen selbstbestimmten Meinungsaustausch mit gut begründeten Argumenten ermöglichen. Aber der gegenwärtige Diskurs spielt sich überwiegend in sozialen Medien ab, wo Algorithmen auf maximale Aufmerksamkeit zielen, um die ökonomische Verwertbarkeit von Information durch Werbeeinahmen zu sichern. Damit werden sinnvolle Debatten aktiv verhindert, weil ein vernünftiges Argument kaum so viel Aufmerksamkeit erregt wie rechtsextreme Hetze.