KZ Mauthausen, Häftling Carlos Greykey
Zeitgeschichte

Wenig erforscht: Afroeuropäer im KZ Mauthausen

Mindestens 90.000 Menschen haben die Nationalsozialisten im KZ Mauthausen ermordet. Ein bisher noch wenig erforschte Gefangenengruppe sind afroeuropäische Menschen. Eine neue Studie zeigt nun, dass es 405 von ihnen gab – manchen von ihnen könnte die Hautfarbe sogar das Leben gerettet haben.

Die Studie stammt vom Wirtschafts- und Sozialhistoriker Walter Sauer von der Universität Wien. Gemeinsam mit Nikos Stamatiou durchforstete er die Datenbank der Gedenkstätte Mauthausen nach Akten, in denen die Nationalsozialisten Informationen über die Häftlinge vermerkten. Sie interessierten sich besonders für Gefangene mit dunkler Hautfarbe. Doch in den Akten war die Hautfarbe oder die bei den Nazis beliebte Kategorisierung in „Rassen“ meistens nicht vermerkt. Viele afroeuropäische Gefangene hatten außerdem die französische, spanische oder niederländische Nationalität. Aufschluss gab letztendlich der Geburtsort, besonders oft lag der in Algerien.

Beispiel Carlos Greykey

Viele waren aber bereits in Europa geboren, wie etwa Carlos Greykey, ein antifaschistischer Widerstandskämpfer aus Spanien. Nach dem Spanischen Bürgerkrieg ging er nach Frankreich und schloss sich der dortigen Résistance- Bewegung an, die Nazis deportierten ihn schließlich nach Mauthausen.

Carlos Grey
Museu d’História de Catalunya, Fondo Amical de Mauthausen (Barcelona)
Carlos Greykey

Greykey ist einer der wenigen afroeuropäischen Gefangenen, über den man Einzelheiten weiß, meint Walter Sauer, Wirtschafts- und Sozialhistoriker von der Universität Wien. Bereits 2017 hatte man in einer Vorstudie Erkenntnisse zu Greykey gesammelt. „Er wurde zum persönlichen Diener des Kommandanten gemacht, musste dort in einer Fantasie-Uniform beim Essen bedienen, wurde auch den SS-Größen, die auf Besuch waren, vorgeführt,“ so Walter Sauer.

Beispiel Lionel Romney

Insgesamt wurden für die Studie fast 28.000 Datenbankeinträge im Archiv des Mauthausen Monument überprüft. Die größte Gruppe der dunkelhäutigen Gefangenen kam aus Afrika, gefolgt von Ländern aus dem Nahen und Mittleren Osten und der Türkei, beziehungsweise Asien. Unter den 405 Namen tauchten nur neun Frauen auf. Manche kamen gar aus der Karibik, wie Lionel Romney, der Mauthausen überlebte, und dessen Tochter eine Biografie über ihn verfasst hat.

Romney stammte aus Sint Maarten, einer niederländischen Insel in der Karibik, und hatte an Bord eines griechischen Schiffes gearbeitet, das im Mittelmeer auf eine Seemine auflief und sank. Die Besatzung wurde von einem italienischen Kriegsschiff gerettet und zunächst auf der Insel Pantelleria interniert. Im Zusammenhang mit dem Rückzug der deutschen Truppen wurde Romney mehrfach verlegt und schließlich nach Mauthausen deportiert, wo man ihn am 25. Juni 1944 als „Schutzhäftling“ registrierte.

Sonderstellung durch Hautfarbe

„Lionel Romney erzählt, sein Blockwart habe ihn immer Besuchern vorgeführt mit mehr oder weniger rassistischen Bemerkungen. Das heißt, diese Leute haben durch ihre Hautfarbe auch eine gewisse Attraktivität ausgeübt, und das hat sie möglicherweise geschützt“, vermutet Walter Sauer.

Vielleicht haben koloniale Großmachtfantasien der Nazis so manchen afroeuropäischen Gefangenen sogar vor dem Tod bewahrt, spekuliert Walter Sauer weiter. Doch generelle Aussagen sind nicht möglich, zu viele Lücken gibt in der Forschung, zu wenige persönliche Geschichten haben sich aus den Akten aufgetan.

Frühe Migrationsgeschichten

Man weiß, dass besonders viele politische Häftlinge darunter waren, viele kamen aus Frankreich und Spanien – ein multikulturelles Europa, auch damals schon. Bei den meisten von ihnen handle es sich wohl um Migranten der ersten Generation oder um Menschen, die aus beruflichen, militärischen, Studien- oder anderen Gründen im jeweiligen kolonialen „Mutterland“ lebten – also Ein- oder Rückwanderer aus Algerien, Marokko oder Tunesien in Frankreich, Kanarer in Spanien, Libyer in Italien und Indonesier in den Niederlanden, so heißt es in der Studie.

„Diese Leute haben sich hier in Europa integriert. Sogar so weit, dass sie politisch tätig gewesen sind – und dass sie dasselbe Schicksal erlitten haben wie Europäer und Europäerinnen“, erklärt Walter Sauer.

Heute relevanter denn je

Der Historiker ergänzt, dass die Geschichte außereuropäischer Gefangener gerade in der heutigen Zeit wichtig ist: Heute seien Jugendliche zu einem hohen Anteil Migranten und Migrantinnen der zweiten oder dritten Generation. Sie täten sich oft schwer, sich mit ‚unserer‘ Geschichte auseinanderzusetzen. „Wenn wir ihnen sagen, dass Gefangene in Mauthausen auch Türken, Nordafrikaner oder Amerikaner waren, könnte das auch heute junge Menschen motivieren, sich mit der europäischen Geschichte näher zu befassen“, so Walter Sauer.

Über die Hälfte ermordet

Rund 190.000 Menschen aus ganz Europa waren während der Zeit des Nationalsozialismus im KZ Mauthausen inhaftiert und mussten Zwangsarbeit leisten, mindestens 90.000 wurden in Mauthausen und den Außenlagern ermordet. Von den 405 Gefangenen mit außereuropäischem Hintergrund überlebten weniger als die Hälfte, schätzt Walter Sauer. Zweien sei die Flucht gelungen, 19 wurden im April 1945 aufgrund von Bemühungen des Roten Kreuzes entlassen, 26 wurden in andere Lager deportiert, und für 94 liegt keine Information vor. In 188 Fällen ist der Todesfall nachgewiesen, nur 76 erlebten die Befreiung.