Ein Indri-Lemur hängt an einem Baum
Filippo Carugati
Filippo Carugati
„Indri Musik“

Primaten haben Rhythmus im Blut

Rhythmus ist eine der Zutaten, die aus Tönen überhaupt Musik macht. Nicht nur Menschen können diese Rhythmen erzeugen, sondern auch andere Primaten, wie eine neue Studie zeigt: Indri-Lemuren bauen demnach in Madagaskar rhythmisch ihre Gesänge auf und kommunizieren so mit anderen.

Indri-Lemuren aus Madagaskar gelten als Sänger unter den Regenwaldbewohnern. Wenn sie mit ihren Artgenossen kommunizieren, kann sich das mit ein bisschen Fantasie schon einmal wie eine Menschen-gemachte Melodie anhören (z.B. hier). Ob es hier wirklich Parallelen zwischen menschlicher Musik und Primatengesang gibt, das war der Ausgangspunkt einer neuen Feldstudie von Forschern und Forscherinnen der Universität Turin und des deutschen Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik. Sie untersuchten jahrelang die Gesänge der vom Aussterben bedrohten Primaten-Art der Indri-Lemuren. Ihr soeben im Fachjournal „Current Biology“ vorgestelltes Ergebnis: An der Analogie könnte etwas dran sein, denn Indri-Lemuren bauen ihre Gesänge tatsächlich ähnlich auf wie Menschen. Sie benutzen eine bestimmte Art von Rhythmus.

Ähnlich wie bei Singvögeln

Dass auch Tiere Rhythmus und damit in gewisser Weise Musik im Blut haben können, wusste man schon zuvor. Singvögel galten bisher als eine der wenigen Vertreter, bei denen man einen Menschen-ähnlichen Rhythmus in den Gesängen nachweisen konnte. Nun wollten die Forscherinnen und Forscher herausfinden, ob auch nicht-menschliche Säugetiere diese sogenannten kategorischen Rhythmen, in ihre Gesänge einbauen. Ein Rhythmus ist dann kategorisch, wenn die Zeitintervalle zwischen Tönen exakt dieselbe Dauer haben (1:1 Rhythmus) oder die doppelte Dauer (1:2 Rhythmus). Diese Art von Rhythmus ist universell in allen Musikkulturen der Menschheit zu finden und macht Musik besonders leicht wiedererkennbar.

Ein Indri-Lemur hängt an einem Baum
Filippo Carugati

Für ihre Untersuchungen besuchten die Forscherinnen und Forscher über zwölf Jahre hinweg mit lokalen Fachleuten den Regenwald in Madagaskar, dem natürlichen Habitat der Indri-Lemuren. Dabei zeichneten sie Lieder von 39 Tieren auf. Sind die Indri nämlich in Gruppen vereint, tendieren sie dazu, gemeinsam zu singen, entweder im Duett oder auch im Chor. Eine Analyse von über 350 dieser Aufzeichnungen zeigte, dass die Indri-Gesänge sowohl den 1:1-, als auch den 1:2-Rhythmus aufwiesen. Ebenfalls fanden die Forscherinnen und Forscher ein beim Menschen typisches Vortragsmuster, das Ritardando, also das immer langsamer Werden im Tempo der Melodie.

Rhythmus und Fortpflanzung

Für die Studienautoren ist dies der erste Beweis für ein Vorhandensein eines universellen Rhythmusgefühls bei nicht-menschlichen Säugetieren. Woher und warum die Primaten jedoch genau musik-ähnliche Rhythmen produzieren, das gebe noch Fragezeichen auf. Vermutlich dürften sich diese Fähigkeit aber unabhängig von jenen des Menschen entwickelt haben, denn die letzten gemeinsamen Vorfahren mit den Indris lebten vor mehr als 77 Millionen Jahren. Ein weiterer Hinweis liegt in den Daten der Forscher: Männliche und weibliche Indris hatten unterschiedlich lange Intervalle zwischen ihren Gesängen, was auf eine mögliche Rolle des Rhythmus in der Auswahl der Sexualpartner hindeutet.

Kategorische Rhythmen seien nur eines von vielen universellen Mustern, die in menschengemachter Musik vorkommt, so Studienautor Andrea Ravignani in einer Aussendung. „In Zukunft möchten wir Belege für andere Muster finden, etwa für das Bauen von einem sich wiederholenden Beats oder der hierarchischen Organisation von Beats.“ Die Autoren rufen auch andere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auf, sich mit den Indris und anderen bedrohten Arten zu beschäftigen – „bevor es zu spät ist.“