Der Balkon oder Altan am Heldenplatz an der Hofburg
APA/HERBERT NEUBAUER
APA/HERBERT NEUBAUER
Erinnerungskultur

NS-kontaminierte Gebäude als verstörende Orte

Während viele Opferorte als Gedenkstätten genutzt werden, ist der Umgang mit Täterorten des Nationalsozialismus bis heute sehr ambivalent. Während das „Neue Landhaus“ in Innsbruck von der Tiroler Landesregierung genutzt wird, ist der sogenannte „Hitler-Balkon“ am Wiener Heldenplatz noch immer mit einem Betretungsverbot belegt.

Ein breites Gebäude, mehrgeschossig und mit einem Mittelrisalit versehen: Die neoklassizistischen Elemente am Neuen Landhaus in Innsbruck sind zwar augenscheinlich, dennoch würde man das Gebäude nicht sofort als NS-Gebäude identifizieren. Die Betonung der Mitte, die starke Symmetrie und die Verwendung von Naturstein könnte man zwar als NS-Charakteristika sehen, meint Hilde Strobl vom Archiv für Bau.Kunst.Geschichte der Universität Innsbruck. Gleichzeitig gebe es in der NS-Zeit nur einen Kanon für Wohnbauten und nicht für Funktionsgebäude. Weshalb eher davon auszugehen sei, dass die Architekten zwar Anleihen an bereits bestehenden Gebäuden des dritten Reichs genommen, jedoch keine Vorgaben „abgearbeitet“ haben.

Fassade des Neue Landhauses in Innsbruck
ORF
Neues Landhaus in Innsbruck

Unter nationalsozialistischer Herrschaft gebaut, wurde das Neue Landhaus nach dem Krieg nahtlos weiterverwendet. Zuerst von der französischen Militärregierung, später von der Tiroler Landesregierung. Kürzlich wurde die Geschichte des Gebäudes aufgearbeitet; nun war sie Thema bei der Doppelkonferenz „Ver-/Störende Orte“ von Universität Innsbruck, Kunstuniversität Linz und dem Haus der Geschichte Wien.

Shopping am Gauforum

Wie banal die Nachnutzung NS-kontaminierter Gebäude mitunter sein kann, sieht man in Weimar. Dort sollte zwischen 1936 und 1944 der Prototyp eines neuen Macht- und Verwaltungszentrum für die Nationalsozialisten entstehen: ein sogenanntes Gauforum bestehend aus drei Verwaltungsgebäuden, einer großen Halle für 30.000 Personen, einem Aufmarschplatz und einem Glockenturm.

Ö1 Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 8.11., 13:55 Uhr.

Tagung

Ab Mittwoch findet der zweite Teil der Tagung an der Kunstuni Linz statt, mit der Möglichkeit einer online-Teilnahme.

In die Kult- und Verwaltungsgebäude der Nationalsozialisten zieht nach dem Krieg zunächst die Sowjetische Militäradministration ein, später werden sie von Bildungs- und Verwaltungseinrichtungen genutzt. „Es ist eine sehr pragmatische Nutzung“, sagt Christiane Wolf, die das Archiv der Moderne der Universität Weimar leitet. Die große Halle der Volksgemeinschaft wird zum Mehrzweckgebäude ausgebaut, Anfang der 2000er Jahre wird sie zum Shoppingcenter umgebaut. „In diesem Shoppingcenter gibt es keinen einzigen Hinweis, was diese Halle ursprünglich sein sollte“, kritisiert die Historikerin.

Tabuisierte Orte öffnen?

Der Aufmarschplatz des Gauforum Weimar ist bis heute nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Man fürchtet die Instrumentalisierung durch neonazistische Gruppierungen. Ähnliches gilt für den Altan der Neuen Burg am Wiener Heldenplatz, von dem aus Hitler im März 1938 den sogenannte „Anschluss“ verkündete. Auch er darf nicht betreten werden. „Der Ort ist auch ein Symbol für die Mitverantwortung Österreichs an den Verbrechen des Nationalsozialismus“, sagt Eva Meran vom Haus der Geschichte Österreich. Gerade deshalb sei es so wichtig, den Ort zu enttabuisieren. „Um der Opferthese, die sich im verschlossenen Altan immer noch realisiert, entgegenzutreten.“

Seit das Museum vor drei Jahren in diesen Teil der Burg gezogen ist, werden die Besucherinnen und Besucher gefragt, was mit dem Altan passieren soll. Obwohl es sich dabei nicht um eine repräsentative Befragung handelt, hätten sich bisher mehr Menschen für eine Öffnung ausgesprochen, erzählt die Kulturvermittlerin. Natürlich müsse man alles tun, damit aus dem Altan nicht eine Art Wallfahrtsort für Neonazis wird. Gleichzeitig gebe es diese Art von Tourismus bereits; sie finde am Heldenplatz statt und brauche den Altan nicht.

Das Haus der Geschichte sucht derzeit nach Visionen für diesen belasteten Ort. Sie reichen von einer Umdeutung und Neunutzung als Café oder Kinderspielplatz bis hin zu Ausstellungen und einer begrenzten Öffnung des Altans in Form von Führungen, berichtet Eva Meran.

Die Besucher mit der Geschichte konfrontieren

Kein Tageslicht, Böden aus Granit und eine drückende Stimmung: Wer das Bundesministerium für Finanzen in Berlin betritt, spüre die Geschichte dieses Hauses, ist Mitarbeiter Jens Rothmund überzeugt. Die Besucherinnen und Besucher werden sofort Teil einer geschickten Inszenierung. Eine Inszenierung, die Hermann Göring für sein Reichsluftfahrtministerium veranlasst hat – mit mehr als 2.000 Büroräumen das damals größte Bürogebäude Berlins.

Außenansicht des Detlev-Rohwedder-Hauses in Berlin
AFP – ODD ANDERSEN
Detlev-Rohwedder-Haus in Berlin

Das Gebäude war nach dem Krieg nur leicht zerstört. Es zog die sowjetische Militäradministration ein, später nutzte es die DDR als zentralen Verwaltungsort. Bis zur Wiedervereinigung sei die Nutzung des Gebäudes nicht hinterfragt worden, erzählt Jens Rothmund. Das liege auch am Geschichtsverständnis der DDR. „Die Täter wohnen ja nur im Westen“, lautete das damalige Credo.

Nach der Wiedervereinigung installierte man dort die Treuhand, erst danach stellte sich die Frage: Abriss oder Erhalt? Man entschied sich für Letzteres, jedoch unter der Prämisse, dass nur ein neutral auftretender Dienstherr einziehen dürfe, der das Gebäude auch im Rahmen seiner Möglichkeiten zugänglich macht. Das versuche das Bundesministerium für Finanzen nun zu leisten, berichtet Rothmund. Der Anspruch sei jede Person, die das Gebäude besucht, über dessen Geschichte zu informieren. „Wir sind aber kein Museum. Wir sind eine lebende, im Alltag befindliche Behörde und an diesem Ablauf müssen wir uns anpassen.“

Diskutieren, nicht mahnen

Neben der Eingangstür zum Neuen Landhaus in Innsbruck befindet sich seit Kurzem eine kleine Tafel, die auf die Geschichte des Gebäudes hinweist. Sichtbar ist sie derzeit nur für jene, die das Gebäude betreten. Die mit der Aufarbeitung beauftragte Expertenkommission schlägt auch eine künstlerische Intervention am Gebäude vor, die die öffentliche Diskussion über die Vergangenheit anregen soll.

Derzeit wird das Gebäude generalsaniert; seine Bausubstanz wiederhergestellt. „Und die Frage ist, was ist die Substanz, um die es geht“, sagt die Architekturhistorikerin Hilde Strobl. „Ist es wirklich die materielle, bauliche oder ist es eine Erinnerung, ein historisches Bewusstsein, das eine Substanz bilden muss?“ Ein Gebäude nicht verfälschen und dauerhaft erhalten und gleichzeitig an seine Geschichte als Täterort erinnern, mit diesem Widerspruch ist man beim Neuen Landhaus konfrontiert, so Strobl. Doch dieser Widerspruch kann auch zur Diskussion anregen. Eine Diskussion, die wünschenswert wäre, weil sie zeigt, dass man sich mit Geschichte auseinandersetzt und über ihre Bedeutung für die Gegenwart nachdenkt.