Hirsefeld
dpa/Frank Rumpenhorst
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Rekonstruktion

Die Wurzeln einer umstrittenen Sprachfamilie

Geografisch wie sprachlich sind Japanisch, Koreanisch, Türkisch, Mongolisch und Tungusisch heute weit voneinander entfernt. Wie eine Studie nun nahelegt, haben sie aber eine gemeinsame Vorfahrin: Gesprochen wurde sie vor 9.000 Jahren von Hirsebauern in China. Das stützt die These, wonach es sich um eine eigenständige Sprachfamilie handelt.

Sprachen, die einen gemeinsamen Ursprung haben – also auf eine einzige Protosprache zurückzuführen sind, zählen zu einer Familie; bei Deutsch ist das etwa die Familie der indoeuropäischen Sprachen. Innerhalb jeder Familie gibt es verschiedene Zweige und nahe sowie ferne Verwandte – bei Deutsch beispielsweise das nahe Englisch und das ferne Albanisch. Nicht alle Sprachfamilien sind so gut untersucht wie die indoeuropäische und mitunter wird bis heute diskutiert, ob manche Sprachen tatsächlich eine gemeinsame genetische Einheit bilden oder sie ihre äußeren Ähnlichkeiten nur ihrer geographischen Nähe oder anderen historischen Umständen verdanken.

Unter historischen Linguisten und Linguistinnen besonders umstritten ist die Existenz der altaischen Sprachfamilie, in jüngerer Vergangenheit wird diese Gruppe auch als transeurasische bezeichnet. Ursprünglich umfasste sie die türkischen, mongolischen und tungusischen Sprachen. Neuerdings rechnen manche Befürworter zudem das in Lehrbüchern als isolierte Sprache geführte Koreanisch und die japanischen Sprachen dazu.

Streit unter Linguisten

Zu den Anhängern und Anhängerinnen dieser erweiterten These zählt auch die am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte forschende Belgierin Martine Robbeets. Wie sie gemeinsam mit Kollegen in einer soeben im Fachjournal „Nature“ erschienenen Studie schreibt, gebe es zwar ein paar Belege, wonach viele sprachliche Ähnlichkeiten – etwa in der Grammatik oder beim Wortschatz – innerhalb der transeurasischen Sprachen auf Entlehnung zurückzuführen sind, die überwiegende Evidenz spreche aber für eine Vererbung bestimmter sprachlicher Eigenschaften – also für einen gemeinsamen Ursprung.

Dazu zählen beispielsweise die vielen Gemeinsamkeiten im Grundwortschatz. „Der Grundwortschatz ist eine Liste von etwa 100 Wörtern und Konzepten, die relativ kulturfrei sind, die in allen Sprachen der Welt vorkommen und die auch ziemlich resistent gegen Entlehnung sind“, erklärt Robbeets gegenüber science.ORF.at, die sich in ihrer Arbeit unter anderem mit den etymologischen Wurzeln solcher Wörter beschäftigt. In den transeurasischen Sprachen gebe es mehr als 90 Überschneidungen, beispielsweise bei den Begriffen für „Haus“, „Fuß“, „was“ oder „hart“. Noch sei die Debatte um die transeurasische Sprachfamilie nicht zu Ende, aber immer mehr Linguisten teilen Robbeets‘ Ansicht.

Wo liegt der Ursprung?

Wenn es sich tatsächlich um eine eigenständige Sprachfamilie handelt, muss es auch irgendwo und irgendwann in ferner Vergangenheit ein Prototranseurasisch gegeben haben. Auch dazu gibt es laut Robbeets unterschiedliche Vermutungen. Viele Sprachforscher gingen bisher davon aus, dass nomadische Viehhirten aus der östlichen Steppe in der Gegend des Altai-Gebirges die Sprache in die Welt getragen haben und die Urform vor 3.000 bis 4.000 Jahren gesprochen wurde. Darauf bezieht sich auch die Bezeichnung „altaische Sprachen“. Robbeets und Co. verfolgen eine alternative These, wonach die Wurzeln der Sprachfamilie noch deutlich weiter zurückreichen, als es laut der Linguistin noch gar keine Viehhirten in der östlichen Steppe gab.

Gesprochen wurde die Ursprache demnach schon in der frühen Jungsteinzeit von Hirsebauern in China, nämlich vor etwa 9.000 Jahren in der Gegend des westlichen Liao-Fluss. Das passt zur Landwirtschafts-Sprachverbreitungs-Hypothese. „Die besagt, dass viele der großen Sprachfamilien ihre Verbreitung der Einführung der Landwirtschaft verdanken“, erklärt die belgische Linguistin.

In der aktuellen Arbeit erhält die These nun durch sprachliche, archäologische und genetische Belege mehr Gewicht. „Mit der Linguistik alleine kann man die großen Fragen der Menschheit nicht lösen“, meint Robbeets dazu. Aber durch die Kombination mit Daten aus anderen Disziplinen lasse sich die Glaubwürdigkeit bestimmter historischer Szenarien deutlich erhöhen.

Landwirtschaftliches Vokabular

Die Ergebnisse legen nahe, dass sich die transeurasische Ursprache noch in der Jungsteinzeit erstmals aufgesplittet hat und in der Bronzezeit weitere Unterformen entstanden sind. Wie die Studienautoren schreiben, hat sich der Vorläufer der mongolischen Sprachen dann Richtung Norden in die Mongolei und Prototürkisch westwärts ausgebreitet, die restlichen Zweige ostwärts, in Richtung Japan und Korea.

Für den Ursprungsort in China spricht unter anderem die Rekonstruktion des Urvokabulars der Protosprachen: So beziehen sich etwa einige der vererbten Wörter auf Ackerbau, etwa „Feld“ und „Pflanze“. Als Nutzpflanze gab es „Hirse“, aber weder Reis oder andere Getreidesorten. Andere Begriffe haben mit der Verarbeitung von Lebensmittel zu tun wie „mahlen“ und „brauen“, andere mit Textilien: „nähen“ und „weben“. Als Haustiere lassen sich nur „Schweine“ und „Hunde“ ausmachen. Neue landwirtschaftliche Begriffe kommen in einzelnen Subfamilien erst nach den Aufspaltungen in Subfamilien hinzu.

Genetische Vergleiche und archäologische Funde aus der jungstein- und bronzezeitliche Grabungsorten sprechen ebenfalls für den von den Forscherinnen und Forschern rekonstruierten Ursprung und die weitere Verbreitung der transeurasischen Sprachen. Sie zeigen etwa, dass der Anbau von Rispenhirse vor etwa 9.000 Jahren in der Gegend des Liao-Flusses begonnen. Wie Robbeets und Co. in ihrer Studie schreiben, gab es in Nordostasien wohl zwei Zentren der Hirsedomestikation und beide können mit dem Ursprung einer großen Sprachfamilie in Zusammenhang gebracht werden: die sinotibetische am Gelben Fluss und die transeurasische am Liao-Fluss.