3D-Darstellung von Nervenzellen im Gehirn
whitehoune – stock.adobe.com
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Mäusestudie

Molekülinjektion kann Lähmung heilen

Für Personen, die nach schweren Rückenmarksverletzungen gelähmt sind, gibt es kaum Behandlungsmöglichkeiten. In Zukunft könnte sich das aber ändern, denn einem US-amerikanischen Forscherteam ist es gelungen, durchtrennte Nervenbahnen bei Mäusen zu regenerieren.

Ein Unfall, bei dem das Rückenmark beschädigt wird, kann das Leben von Betroffenen schlagartig ändern. Als Bindeglied zwischen dem Gehirn und dem Rest des Körpers leitet es Signale an die Gliedmaßen weiter – wenn die Nervenbahnen beschädigt oder gar durchtrennt werden, bleiben diese Signale aus. Die Folge: Betroffene Personen sind gelähmt und können manche Körperteile weder spüren noch aktiv bewegen.

Die Behandlungsmöglichkeiten für Personen mit schweren Rückenmarksverletzungen sind bis dato begrenzt, auf natürliche Weise bilden sich die Nervenbahnen auch nicht nach. Ein Forscherteam um Samuel Stupp von der Northwestern University in den Vereinigten Staaten konnte nun aber verletztes Rückenmark heilen – wenn auch vorerst nur bei Mäusen.

Spezielle Mischung startet Regeneration

Die Forscherinnen und Forscher entwickelten dazu eine spezielle Mischung aus Materialien, die Zellen dazu bringen sollten, sich zu regenerieren. „Wir haben darin die Proteine im Labor nachgeahmt, die den Heilungsprozess im Bereich der Verletzung starten“, erklärt Stupp gegenüber dem ORF. Das Ergebnis der Forschung, die mehrere Jahre gedauert hat, präsentiert das Team in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals „Science“.

Stupp entwickelte mit seinen Kolleginnen und Kollegen synthetische Moleküle, sogenannte Peptid-Amphiphile, die als Flüssigkeit injiziert werden können. Nachdem sie im Bereich einer schweren Rückenmarksverletzung angewendet werden, lagern sich die Moleküle als eine Art Gel um die beschädigten Nervenfasern an. Dort bleiben sie mehrere Wochen bestehen und regen die Zellen an. „Nachdem die Injektion gewirkt hat, wird das Material komplett vom Körper abgebaut. Es bleiben keine Reste bestehen“, so Stupp.

Mäuse konnten wieder laufen

Die Forscher testeten die Injektion vorerst an gelähmten Mäusen. „Nach etwa vier Wochen konnten jene Mäuse, die zuerst keine Kontrolle über ihre Hinterbeine hatten und sie nur hinterherzogen, wieder normaler laufen. Die Funktion der Hinterbeine wurde zum Teil wieder hergestellt“, erklärt Stupp. Eine einzige Injektion mit der Mischung des Forscherteams, die den Mäusen rund 24 Stunden nach einer Rückenmarksverletzung verabreicht wurde, reichte dafür aus.

Neben der Regeneration von beschädigten Nervenzellen konnten die Forscherinnen und Forscher weitere positive Effekte durch die Injektion beobachten. So verringerte sich etwa die Bildung von Narbengewebe im Bereich der Verletzung, das sonst oft eine Art physische Barriere für die Heilung bilden kann. Es entstanden außerdem neue Blutgefäße und die Myelinschicht, die bestimmte Nerven umgibt, bildete sich neu.

Bewegung der Moleküle ausschlaggebend

Um die Regeneration der Nervenzellen bestmöglich anzuregen, hängte das Forscherteam zwei verschiedene Signalmoleküle an die Peptid-Amphiphile an. Einerseits einen Wachstumsfaktor, der die beschädigten Nerven dazu anregen sollte, sich zu regenerieren, und andererseits ein Molekül zur Bildung neuer Blutgefäße. „Mit der Kombination dieser beiden Signalmoleküle konnten wir die besten Ergebnisse bei den Mäusen beobachten“, so Stupp.

Neben der Zusammensetzung der Injektion konnte das Forscherteam auch einen weiteren Faktor bestimmen, der für den Erfolg der Behandlung ausschlaggebend war: Die Beweglichkeit der Moleküle. Stupp erklärt: „Man muss sich das so vorstellen, dass die Rezeptoren, die auf die Signale der Moleküle warten, immer in Bewegung sind. Um sie möglichst gut mit den Signalen zu versorgen, haben wir also auch die Moleküle in Bewegung gebracht, damit sie leichter auf die Rezeptoren treffen können.“ Dazu modifizierten die Forscherinnen und Forscher die Moleküle, damit sie weniger feste Bindungen untereinander eingingen.

Testung an Menschen steht bevor

Stupp sieht das Ergebnis seiner aktuellen Forschung als einen der größten Durchbrüche in seiner langjährigen wissenschaftlichen Karriere. Für ihn ist klar: „Mit dieser Methode können theoretisch nicht nur Rückenmarks-Nervenzellen repariert werden, sondern auch alle anderen Zellen im Körper. In Zukunft könnte man zum Beispiel auch eine Anwendung im Bereich des Gehirns testen, um etwa die Folgen von Schlaganfällen oder Krankheiten wie Alzheimer zu mindern und die Zellen dazu zu bringen, sich zu regenerieren.“

Bis es soweit ist, seien aber noch etliche Untersuchungen nötig. „Wir bemühen uns gerade, die Erlaubnis zu bekommen, die Injektion auch an Menschen zu testen“, erklärt Stupp. Dieser Prozess könne einige Zeit in Anspruch nehmen, sobald weitere Testungen abgeschlossen sind, stehe einer Weiterentwicklung der Injektion und ihrer Anwendung in verschiedenen medizinischen Bereichen aber nichts mehr im Weg.