Ein Raum an der MUK, in dem ein Klavier steht
MUK – Marianne Greber
MUK – Marianne Greber
Zeitgeschichte

Das NS-Fundament der Musik- und Kunstuni

Ohne Lockdown würde die Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien heute ihr 75. Jubiläum feiern. Gegründet wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg – doch ihre Geschichte reicht zurück bis in die Zeit des Nationalsozialismus. Erstmals haben Historikerinnen und Historiker dieses Kapitel nun aufgearbeitet.

Eigentlich feiert die Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, kurz MUK, heuer bereits ihren 76. Geburtstag, doch wegen der Pandemie verschob man die Jubiläumsveranstaltung auf 2021 – wegen des Lockdowns wurde die Feier nun abermals verschoben, auf das nächste Frühjahr. Gegründet wurde die MUK im Herbst 1945, damals unter dem Namen „Konservatorium der Stadt Wien“. Doch ihre Vorgängerin, die Musikschule der Stadt Wien, wurde von den Nationalsozialisten gegründet.

Zentrale musikalische NS-Ausbildungsstätte

Wenige Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, im August 1938, wurden bestehende Musikvereine aufgelöst, etwa das Neue Wiener Konservatorium und das Konservatorium für volkstümliche Musikpflege sowie das Wiener Volkskonservatorium. Die Nationalsozialisten wollten das Wiener Musikschulwesen ideologisch gleichschalten, und die Musikschule der Stadt Wien – die spätere Musik und Kunst Privatuniversität – nahm hier eine zentrale Stellung ein.

Auszug aus dem Akt des Stillhaltekommissars zur Auflösung des Wiener Volkskonservatoriums
Die Musikschule der Stadt Wien im Nationalsozialismus, Wien: Hollitzer Verlag, 2020
Auszug aus dem Akt des Stillhaltekommissars zur Auflösung des Wiener Volkskonservatoriums

Andersdenkende Lehrende und Studierende, auch solche mit jüdischer Abstammung, wurden vom Lehrbetrieb ausgeschlossen. Das künstlerische und musikalische Verständnis einer ganzen Generation wurde von den nationalsozialistischen Vorstellungen geprägt, so die Musikhistorikerin Susana Zapke von der MUK: „Die Sparte Jazzmusik zum Beispiel wurde damals komplett aufgelöst, das war eine Musikrichtung, die an den Vorgängerinstitutionen sogar schwerpunktmäßig betrieben wurde."

Interdisziplinäre Forschungsarbeit

Unter der Leitung von Susana Zapke und dem Historiker Oliver Rathkolb von der Universität Wien hat ein Team von Wissenschaftlerinnen verschiedener Institutionen wie der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, dem Wien Museum, dem Kunsthistorischen Museum und der Universität Wien die NS-Geschichte der MUK nun erstmals grundlegend aufgearbeitet.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 22.11., 13:55 Uhr.

Aufbauen konnten sie lediglich auf eine einzige Doktorarbeit zu diesem Thema aus den 1990er Jahren. Aus der bisherigen „Grundlagenforschung“, wie Susana Zapke die über fünfjährige Recherche über die NS-Geschichte der MUK bezeichnet, ist ein Buch entstanden mit dem Titel „Die Musikschule der Stadt Wien im Nationalsozialismus – eine ‚ideologische Lehr- und Lerngemeinschaft‘“ (Hg. Susana Zapke, Oliver Rathkolb, Kathrin Raminger, Julia Teresa Friehs, Michael Wladika). Es reflektiert die Gleichschaltung des Wiener Musikschulwesens während der NS-Zeit, berichtet über Opfer, Profiteure und inhaltliche Neuausrichtungen.

Ernst-Tautenhayn-Karikatur, in: Der Morgen, 27. Dezember 1937, S. 7.
Die Musikschule der Stadt Wien im Nationalsozialismus, Wien: Hollitzer Verlag, 2020
Karikatur des Schauspielers und Operettensängers Ernst Tautenhayn, in: Der Morgen, 27. Dezember 1937, S. 7.

Viele offene Fragen

Unterlagen zur speziellen Musikpädagogik der Nazis an der MUK habe man bisher noch keine gefunden, so Zapke. Sie vermutet, dass vieles vernichtet wurde. Klar ist aber: Für Juden und Andersdenkende war kein Platz mehr. Nicht nur die Lehrenden wurden vertrieben, sondern auch alle Komponisten mit jüdischer Herkunft wurden nicht mehr aufgeführt. „Natürlich gibt es radikale programmatische Umstellungen, nicht nur im Bildungsbereich, sondern auch im Konzertbetrieb“, so Susana Zapke.

Die Forschungen laufen weiter, denn es gibt noch zu viele Lücken, so Susana Zapke. „Wir müssen unbedingt auch mehr über die Schüler erfahren. Es ist sehr, sehr erstaunlich, aber wir finden in keinem Archiv Listen der Schüler, vielleicht sind auch sie gegen Ende des Krieges alle vernichtet worden."

Digitales Gedenkbuch

Ein Online-Gedenkbuch veröffentlicht die Namen der bereits bekannten vertriebenen und ermordeten Lehrkräfte und Schülerinnen. Susana Zapke und ihre Kollegen setzen diese Liste laufend fort und hoffen, dass sich auch Nachfahren bei ihnen melden. An der Fassade der MUK im Ersten Bezirk erinnert nun eine Gedenktafel an die Opfer der nationalsozialistischen Kunst- und Musikdoktrin.