Mobilität

Was man vom alten Byzanz lernen kann

Im Jahr 2015 ging der Wittgenstein-Preis an die Byzantinistin Claudia Rapp. Die Auszeichnung hat es ihr erlaubt, die Bedeutung des Byzantinischen Reiches über die Region hinaus besser zu fassen. Dabei habe sich gezeigt, wie wichtig der kulturelle Austausch sowie ein höheres Maß an Mobilität, Migration und Integration schon damals waren.

In den vergangenen Jahren habe sich ihr Forschungsbereich deutlich geöffnet, auch weil viele historische Quellen nun in Übersetzungen für Wissenschaftler aus anderen Fächern greifbar geworden sind. „Das fördert den Dialog ungemein“, so Rapp, die am Institut für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) arbeitet.

Lange Zeit habe man Byzanz als „alternatives christliches mittelalterliches Reich“ abseits Westeuropas gesehen. Jetzt betrachte man es zunehmend als „Bindeglied“ zwischen der mediterranen und der muslimischen Welt, dessen Verbindungen tief hinein nach Asien reichten. Diese Zusammenhänge würden immer stärker auch auf den zahlreichen Ebenen unterhalb diplomatisch-politischer Kreise wahrgenommen. Gerade die damalige Mobilität haben Rapp und Kollegen im Rahmen ihres Wittgenstein-Projekts genauer unter die Lupe genommen. Noch bis Sonntag (21. November) zieht man im Rahmen einer Konferenz in Wien unter den Titel „Byzanz in Bewegung“ Bilanz über die langjährige Forschungsarbeit.

Kleinteilige Mobilität

Man frage jetzt viel stärker „nach den Menschen, die sich bewegen“, und ihre Gründe, dies zu tun, so Rapp. Konzentriert habe man sich daher auch auf Personen, die nicht sozusagen von Amts wegen als Militärangehörige, Händler oder Abgesandte zwischen dem 4. und 15. Jahrhundert unterwegs waren. Herausgekommen ist ein großer Quellentextband, den das Team an Wiener Wissenschaftlern bald frei zugänglich zur Verfügung stellen wird.

Dabei offenbarte sich eine durchaus erstaunliche, auch kleinteilige Mobilität. Dies gelte auch für die soziale Mobilität, die bis zu einem gewissen Grad durchaus schon damals gegeben war. Die große Einschränkung dabei war, dass dies mehr oder weniger ausschließlich für Männer galt. Für den gesellschaftlichen Aufstieg mussten die allermeisten auch einen geografischen Wechsel in Kauf nehmen. Wer eine Eliteausbildung in Konstantinopel (heute Istanbul) oder Thessaloniki (Griechenland) besuchen wollte, musste sich aus den Provinzen dorthin bemühen. Wer im Klerus oder in der Verwaltung aufsteigen wollte, musste ebenso flexibel sein wie Soldaten. Sozial aufzusteigen war also eigentlich immer mit geografischer Flexibilität verbunden, betonte Rapp.

Vermittler zwischen Welten

Auch gebe es erstaunlich viele Berichte über Mobilität von eher aus der Elite stammenden Flüchtlingen, die im Zuge größerer Eroberungen zum Ortswechsel genötigt wurden. In den Zeiten nach den Arabereinfällen im 7. Jahrhundert, wo sich das byzantinische Territorium stark verkleinerte, war die Bevölkerung aufgrund des Risikos aber merklich wenig reiselustig, erklärte die Wissenschaftlerin. Diejenigen, die sich allerdings hinaus gewagt haben, „hatten interessante Geschichten zu erzählen und sind zu den Vermittlern zwischen den Welten geworden“, sagte Rapp.

Hier könne man durchaus ein Muster sehen, das sich in den vergangenen Jahren in Europa durch die Migrationsbewegungen des Jahres 2015 und die Covid-Krise ein Stück weit wiederholt. Nicht nur die Weltoffenheit, sondern auch die Solidarität als reiche Region den Menschen, die Hilfe brauchen, diese auch zu gewähren, hat zuletzt spürbar gelitten. Zur Krise wurde die Migrationsbewegung aber „erst durch politische Entscheidungen“, zeigte sich die Forscherin überzeugt. Eigentlich seien Menschen mit Migrationserfahrung ja als Bereicherung für die Gesellschaft anzusehen, „weil sie in zwei Kulturen zuhause sind.“

Fächerübergreifende Forschung

Das bringe vielfach Fertigkeiten mit sich, die sozialen Aufstieg ermöglichen, wenn die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen dies zulassen. Das gelte im alten Byzanz wie auch im Heute, so Rapp: „Dazu muss aber der politische Wille da sein.“ Wenn jedoch Menschen Hürden zum Arbeitsmarkt in den Weg gelegt werden und gleichzeitig von ihnen verlangt wird, sich zu integrieren, dann „passt das einfach nicht zusammen“.

Die Konferenz bilde nun eine Art Abschluss für das weitreichende Forscherteam. Das Ende des mit 1,5 Millionen Euro dotierten Wittgenstein-Projekts lässt Rapp aber auch in die Zukunft blicken. So bemüht man sich unter dem Titel „EurAsische Transformation“ in einem weitreichenden Forschungsverbund um einen der „Clusters of Excellence“ im Rahmen des neuen Exzellenzzentren-Programms des Wissenschaftsfonds FWF. Bei einer Zuerkennung im Jahr 2023 würde für den Cluster eine Finanzierung von bis zu 70 Mio. Euro für zehn Jahre winken. Dann würde man auch fachübergreifend der Frage nachgehen, wie sich die Verbindungen zwischen Europa und Asien entwickelt haben und wie sich letztlich nationale Identitäten und Zugehörigkeiten herausgebildet haben.