Baby mit Stoffwindel schläft auf dem Bauch
Ramona Heim – stock.adobe.com
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Studie

Schadstoffe könnten Geschlecht beeinflussen

In manchen Jahren werden mehr Mädchen, in anderen mehr Buben geboren. Grund dafür könnten Schadstoffe in der Umgebung sein. Ein Forscherteam stellte fest, dass erhöhte Werte in den USA und Schweden meist mit einer veränderten Geschlechterverteilung bei der Geburt einhergehen.

So wie die menschliche Fortpflanzung und die Vererbung der für das Geschlecht auschlaggebenden Chromosomen abläuft, wäre es wahrscheinlich, dass weltweit immer gleich viele Buben wie Mädchen das Licht der Welt erblicken. „Das ist aber nicht der Fall. Es müssen also andere Faktoren für die unterschiedlichen Geburtenraten verantwortlich sein“, stellt Andrey Rzhetsky gegenüber dem ORF klar. Zusammen mit einem Forscherteam untersuchte er, womit eine ungleich verteilte Geburtenrate zusammenhängen könnte. Das Ergebnis der Studie präsentiert Rzhetsky, der als Professor für Medizin an der Universität von Chicago lehrt, aktuell im Fachjournal „PLOS Computational Biology“.

Daten von über sechs Millionen Geburten

Im Rahmen der Studie konnte das Team sehr große Datenmengen aus den Vereinigten Staaten und Schweden nutzen. „Anhand dieser Datenbanken konnten wir auf Gesundheitsinformationen der halben US-amerikanischen und sogar der ganzen schwedische Bevölkerung zugreifen“, so Rzhetsky. In den Datenbanken waren sowohl für die USA als auch für Schweden Informationen von jeweils mehr als drei Millionen Geburten über mehrere Jahre hinweg vorhanden. Das Forscherteam konnte so die Geschlechterverteilung bei über sechs Millionen Neugeborenen untersuchen.

Anschließend verglichen die Wissenschaftler die Geburtenraten mit vorhandenen Daten zu äußeren Einflüssen, etwa von Schadstoffen in der Luft oder dem Boden. Außerdem wurden die Daten mit Faktoren verglichen, die laut dem Studienautoren mit Stress in Verbindung stehen können – etwa der wirtschaftlichen Situation in einem Gebiet, wie groß die Bevölkerungsdichte dort ist oder der Anzahl der Naturkatastrophen in der Umgebung. „Wir haben die Geschlechterverteilung bei der Geburt mit allen Daten verglichen, auf die wir Zugriff bekommen konnten und die Stressfaktoren für schwangere Frauen sein könnten“, erklärt Rzhetsky.

Zusammenhang mit Schadstoffen

Das Forscherteam konnte im Rahmen der Untersuchung zahlreiche Schadstoffe identifizieren, die laut dem Datenset mit einer veränderten Geschlechterverteilung einhergingen – darunter etwa polychlorierte Biphenyle (PCB), Blei oder Quecksilber im Boden, Kohlenstoffmonoxid oder Isophoron in der Luft und Chrom und Arsen im Wasser.

Einen höheren Wert dieser Schadstoffe konnten die Forscher immer dann nachweisen, wenn auch gerade entweder mehr Buben oder mehr Mädchen geboren wurden. „Bei mehr Blei im Boden konnten wir feststellen, dass in manchen Gebieten mehr Mädchen geboren wurden, bei höheren Isophoron-Werten in der Luft waren es mehr Buben“, erklärt Rzhetsky. Ob die Schadstoffe tatsächlich für die Veränderung in der Geschlechterverteilung verantwortlich sind oder ob die Zusammenhänge aus anderen Gründen bestehen, müsse in weiteren Untersuchungen erst geklärt werden.

Stress eventuell ausschlaggebend

Andere Faktoren, die mit einer Veränderung der Geschlechterverteilung einhergingen, sind laut dem Forscherteam extreme Trockenperioden, höhere Verkehrsunfallsraten und mehr Gewerbeerlaubnisse in einem Gebiet. „Warum diese Zusammenhänge bestehen, können wir derzeit nicht genau sagen“, so Rzhetsky. Er nimmt aber an, dass diese Faktoren immer in irgendeiner Weise mit erhöhtem Stress zusammenhängen, was auch mit der veränderten Geschlechterverteilung zu tun haben könnte.

Keine Zusammenhänge konnte das Forscherteam hingegen mit Faktoren wie den Jahreszeiten, der Umgebungstemperatur, der Kriminalitätsrate im Land oder der Zahl der Arbeitslosen finden. Rzhetsky: „Solche Faktoren sind in früheren Studien manchmal als mögliche Einflüsse auf die Geschlechterverteilung genannt worden. Dass wir in unserem Datenset keine derartigen Zusammenhänge finden konnten, heißt aber nicht, dass diese ausgeschlossen sind.“ Auch hier seien detailliertere Untersuchungen nötig, um den Einfluss einzelner Faktoren genauer bestimmen zu können.

Wenn man davon ausgeht, dass auf natürliche Weise eigentlich gleich viele Mädchen und Buben gezeugt werden müssten, bedeute eine Veränderung der Geschlechterverteilung unter anderem, dass mehr Mädchen oder mehr Buben noch vor der Geburt sterben, erklärt Rzhetsky. Um das zu verhindern, sei es enorm wichtig, die Einflüsse auf die Geschlechterverteilung bei Geburten besser zu verstehen.