Ein Mann hält sich mit beiden Händen den Kopf, eventuell weil er Kopfweh hat
AFP – JOEL SAGET
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Medien

Pandemie macht Viertel zu News-Vermeidern

In Krisenzeiten wie der Covid-19-Pandemie werden Nachrichten stark nachgefragt. Manchen wird es aber zu viel, und fast ein Viertel von ihnen vermeidet laut einer neuen Studie aktiv den News-Konsum. Auffällig: Diesen Vermeidern geht es dabei oft besser.

„News Avoidance“, zu deutsch Nachrichtenvermeidung, nennt sich dieses Phänomen, welches in letzter Zeit immer mehr Aufmerksamkeit in der Kommunikationswissenschaft bekommt. Der These nach würden sich immer mehr Menschen eine Art Pause von Medien und Nachrichten nehmen und diese dann zumindest zeitweise vermeiden.

Gerade in der Covid-19-Pandemie, so zeigen es die Ergebnisse einer neuen Studie, hat dieses Vermeiden von Nachrichten nun stark zugenommen: „In den Spitzenzeiten der ersten Welle waren es in unserer Studie bis zu 23 Prozent der Menschen, die News nicht unbedingt vermeiden wollten, aber auf jeden Fall eine Pause brauchten,“ so Yael de Haan, Studienautorin und Journalismusforscherin an der Universität für angewandte Studien in Utrecht, gegenüber science.ORF.at.

Für manche zuviel Information

Grund dafür sei nicht etwa, dass die Menschen kein Vertrauen in Medien hätten oder nicht informiert werden wollten. Viel eher gaben die Befragten an, dass es ihnen einfach zu viel an Information geworden ist und sie nicht mehr damit umgehen konnten.

Für die im Fachblatt „Digital Journalism“ erschienene Studie wurden über 1.500 Menschen in den Niederlanden zwischen April und Juni 2020 befragt. Es ging um ihre Nachrichtengewohnheiten, ob sie Nachrichten vermeiden und, wenn ja, wie es ihnen dabei geht. Am Anfang der Pandemie waren es über 60 Prozent, die angaben, „überflutet von Information“ zu sein. 50 Prozent fühlten sich durch die Berichterstattung „machtlos“.

Nachrichtenkonsum generell gestiegen

Eigentlich neigen Menschen in Krisen dazu, immer mehr und mehr Information zu wollen, weil sie eine gewisse Art Unsicherheit verspüren, so de Haan. Diese würde man durch den Nachrichtenkonsum dann gerne reduzieren: „Wir alle wollen natürlich wissen, ob ein Lockdown kommt oder nicht.“

Dadurch erleben Medien seit Beginn der Pandemie trotz „News Avoidance“ keinen Rückgang an Nutzern, sondern viele eher enorme Zuwächse. Gerade die TV- und Onlinenachrichten sind besonders beliebt, wie auch andere Studien aus Europa zeigen. In de Haans Studie zeigte sich eine Vorreiterrolle vor allem von TV-News in Sachen Covid-Berichterstattung. „Mehr als 75 Prozent der Befragten sahen mehr als drei Mal pro Woche die Fernsehnachrichten,“ so die Journalismusforscherin, ungewöhnlich viele.

Online-Portale von Zeitungen wurden laut Studie zwar ebenfalls häufiger genutzt, nicht aber deren Printprodukte. Und auch Social Media wurde stärker frequentiert, „aber kaum, um Nachrichten im Zusammenhang mit der Pandemie zu konsumieren“, so de Haan. Öffentlich-rechtlichen Sendern, wie auch dem ORF, würden in der Berichterstattung generell eine besondere Rolle zukommen. Etwa beim Verkünden von Maßnahmen, da sie hohe Vertrauenswerte genießen, so de Haan.

Vermeiden kann glücklich machen

Problematisch werde es allerdings dann, wenn die Fülle an Information zu groß wird, und die Nachrichten zu viele negative Gefühle hervorrufen. Dann boykottieren manche ganz die mediale Berichterstattung, in der Studie waren das 23 Prozent der Befragten. 50 Prozent gaben an, sich zumindest eine Pause von Nachrichten nehmen zu wollen. Junge Menschen, Frauen und Personen, die sich eher dem linken politischen Spektrum zuordnen, waren vermehrt davon betroffen.

Besonders auffällig in den Daten des Forscherteams: Jene, die die Nachrichten zum Thema Covid-19 boykottierten, fühlten sich besser. Etwas mehr als 40 Prozent gaben demnach zu Beginn der Pandemie an, dass der Konsum von Nachrichten zum Thema Covid-19 einen negativen Einfluss auf ihr Wohlbefinden hat. Bei den Vermeidern waren es weniger.

„Normalerweise ist es so, dass Medienkonsum, beispielsweise das Ansehen von Serien oder Filmen, immer mit einem positiven Wohlbefinden assoziiert ist,“ so die de Haan. Bei Nachrichten hätte man aber schon in früheren Studien sehen können, dass das anders sei. Diese können auch zu Gefühlen der Machtlosigkeit und der Überforderung führen und in weiterer Folge eben zur sogenannten „News Avoidance“.

Nicht alle News sind „breaking“

De Haan nimmt die einzelnen Redaktionen in die Pflicht: „Natürlich müssen Medien die Öffentlichkeit informieren in so einer Krise, das liegt auf der Hand,“ aber in Zukunft solle es nicht mehr nur um Breaking News gehen. Viele Medien wären demnach seit Beginn der Pandemie dazu übergegangen, Nachrichten quasi live zu berichten. Jede Meldung sei plötzlich eine „Breaking News“, was früher nur für eine eingeschränkte Zahl an Nachrichten entsprach.

„Mein Rat wäre es, nicht über alles zu berichten, nicht über jedes kleine Detail wie zum Beispiel, dass man etwas derzeit noch nicht weiß,“ so de Haan. Denn genau dadurch würde man die Unsicherheit der Nutzerinnen und Nutzer nicht reduzieren, sondern eher befeuern. Sie wünscht sich, dass sich der Journalismus da künftig selbst an der Nase nimmt und Debatten in den Redaktionen etabliert – darüber, was man wirklich berichten soll und was nicht.

„Wir sind bereits an weiteren Studien dran,“ so die Forscherin. Für Frühling 2022 etwa plane man an der Universität Untersuchungen darüber, wer nun eigentlich genau jene Personengruppen sind, die Nachrichten vermeiden, und ob diese dann auch wirklich weniger informiert seien.