Bronze-Köpfe als Darstellung Adolf Hitlers, vor 1938
Markus Wörgötter
Markus Wörgötter
Gastbeitrag

Wie man Hitler entsorgt

Was tun mit Überbleibseln des Nationalsozialismus? Ab auf den Mistplatz oder ins Museum? Mit diesen Fragen beschäftigt sich eine neue Ausstellung am Haus der Geschichte Österreich (hdgö). Wie man „Hitler entsorgt“, beschreiben die Ausstellungskuratoren und Historiker Stefan Benedik, Laura Langeder und Monika Sommer in einem Gastbeitrag.

„[…] wo und wie ‚entsorge‘ ich denn Bücher aus der Nazi-Zeit, u.a. auch ‚Mein Kampf‘, die zwar allesamt von meinen Großeltern oder der damaligen Familie sein dürften, aber eigentlich bei uns auch am Dachboden keinen Platz mehr haben sollten. Und dass zwielichtige Sammler damit Geschäfte machen, will ich auch nicht. Ob die Bücher jedoch ‚musealen Wert‘ haben, entzieht sich meiner bescheidenen Kenntnis. Besten Dank im Voraus und freundliche Grüße […]“

Wöchentlich erreichen das Haus der Geschichte Österreich (hdgö) Angebote für mögliche Sammlungszugänge. Auffällig oft betreffen sie Objekte mit Bezug zum Nationalsozialismus, wie auch in dem oben zitierten E-Mail vom 30. August 2021. Daran zeigt sich: Selbst 75 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft ist ihr materielles Erbe immer noch allgegenwärtig. Selten handelt es sich dabei um „gut gehütete Familiengeheimnisse“. Meistens begegnet man NS-Objekten unverhofft, nicht nur in Antiquariaten oder auf (Online-)Flohmärkten, sondern auch in den eigenen vier Wänden. Egal, ob es sich um ein Fundstück in einem gekauften Haus oder in einem geerbten Nachlass handelt, löst die Konfrontation mit einem NS-Objekt öfter starke Reaktionen aus, die von Leidensdruck bis zur Fetischisierung reichen.

Über die Autorinnen

Der Historiker Stefan Benedik und die Historikerin Laura Langeder haben gemeinsam mit der hdgö-Direktorin Monika Sommer die aktuelle Ausstellung kuratiert.

Aus diesen vielen möglichen Zugängen von Objekten mit Verbindung zum Nationalsozialismus erwachsen immer wieder neue Herausforderungen. Welche dieser Objekte sollen aus welchen Gründen für die Zukunft erhalten werden? Die Ausstellung „Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“ zeigt daher nicht nur, wie sich Erinnerungskultur in Objekten spiegelt. Sie ist auch eine Reflexion der Sammlungspraxis des hdgö, indem wir Prozesse, Diskussionen und die zentralen Hintergründe für Entscheidungen offenlegen.

Der Großteil der Objekte im Bestand des hdgö kommt durch Schenkungen von privaten Personen in die Sammlung. Das hdgö hat festgelegt, den Handel mit NS-Devotionalien nicht durch Ankäufe zu unterstützen. Darüber hinaus müssen auch für NS-Objekte gewisse formale Kriterien erfüllt sein, um eine Übernahme in die Sammlung zu rechtfertigen, die ja mit öffentlichen Geldern erhalten wird. Auch wenn es verlockend erscheinen mag, Schenkungsangebote von belasteten Objekten pauschal anzunehmen und dadurch zu verhindern, dass sie zu Geld gemacht werden bzw. in falsche Hände geraten, macht die schiere Menge an vorhandenen Objekten eine wissenschaftliche Aufarbeitung sowie ihre Lagerung und Erhaltung unmöglich.

NS-Überbleibsel
Markus Wörgötter

Die Diskussion ausstellen, nicht das Objekt

Transparenz im Hinblick auf interne Entscheidungsprozesse zu schaffen, gehört zu einem der entscheidenden Merkmale eines Museums des 21. Jahrhunderts, das sich als Dienstleistungsinstitution versteht und so offen und zugänglich wie möglich sein möchte. In dieser Ausstellung bildet sich dieser Gedanke konzeptionell ab. Die Objekte werden wie bei ihrer Ankunft im Museum gezeigt, in einem Übergangsstadium zwischen Überbleibsel und Sammlungsgut. Auf einem Arbeitstisch liegend können sie auch von den BesucherInnen von allen Seiten kritisch untersucht werden. Damit rekonstruiert die Gestaltung jenen Moment, in dem wir als Sammlungsteam begutachteten und diskutierten.

Nicht nur das museale Sammeln des Nationalsozialismus, sondern auch das Ausstellen dieser aufgeladenen Objekte birgt Herausforderungen. Die Aura, die Originalen zugeschrieben wird, behindert eine kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen. Auch scheinbar banale Gegenstände stellen eine Verbindung her zu Totalitarismus, extremer Propaganda, Hetze und – zumeist über Umwege – zur Schoah als einem zentralen Bezugspunkt gesellschaftlich-politischer Debatten (im Sinne dessen, was Dan Diner „Zivilisationsbruch“ genannt hat).

Um die Aura, NS-Symbolik und Propaganda zu entwerten, haben wir uns als KuratorInnenteam für einen unaufgeregten und nüchternen Blick auf die Dinge entschieden. Wir geben ihnen nur begrenzten Raum in den Vitrinen, heben sie nicht durch Licht hervor und legen sie ausnahmslos auf den Vitrinenboden, anstatt sie auf Sockel zu positionieren. Eine spezifische architektonische Gestaltung und reflektierte Grafik setzen den Objekten Kommentar, Wissen, Kritik und Diskussion entgegen.

Ausstellungsraum von „Hitler entsorgen“
Klaus Pichler
Ausstellung „Hitler entsorgen“

Nationalsozialismus ausstellen ohne graue Flächen

Durch eine zeitgenössische Farbwelt wird die Debatte um diese Gegenstände ins Hier und Jetzt geholt und die gestalterische Sprache von NS-Propaganda nicht wiederholt. Die wohl am schwersten zu lösende Gestaltungsfrage betraf die Suche nach einer symbolisch neutralen, aber bestimmenden Farbe. Der grau, grün und blau changierende Teppich ist auch ein bewusster Fremdkörper in der späthistoristischen Prunkkulisse des Stiegenhauses der Neuen Burg. Dort schafft er das Setting eines Büros und signalisiert, dass nicht die Objekte der Dreh- und Angelpunkt sind, sondern ihr Zusammenhang und die Diskussion über sie.

Dabei kann das Objekt nicht als Einzelstück diskutiert werden: Viele werden als Teil von Konvoluten übernommen, die meist über die Zeit der NS-Herrschaft hinausgehen. Wir zeigen in dieser Ausstellung den Umfang des gesamten Zugangs durch die Verpackung, in der er ans Haus kam. Das verdeutlicht historische Kontinuitäten und die Beiläufigkeit, mit der viele dieser Objekte aufbewahrt wurden, im Heute auftauchen oder eben verborgen bleiben.

Auf den Punkt bringt das jene Glühbirnenschachtel, die wir als Sujet dieser Ausstellung ausgewählt haben: Eine Schenkerin hat die Gegenstände, die sie unfreiwillig von einem ihrer Großväter als Erbe erhielt, darin gesammelt und mit „Nazi-Dreck“ beschriftet. Damit hat sie die diversen Anstecker nicht nur entwertet, sondern auch zugeordnet. Die vielen vermeintlich unpolitischen und kindlichen Motive könnten ohne entsprechendes Wissen ansonsten auf den ersten Blick gar nicht als Produkte der NS-Propaganda entschlüsselt werden.

Schachtel mit NS-Überbleibsel, auf der „Nazidreck“ steht
Markus Wörgötter
„Nazi-Dreck“

Objekte stören und nicht zerstören

Auf dem Alma-Rosé-Plateau, wo die Ausstellung stattfindet, sind die Lichtverhältnisse sehr schwer zu kontrollieren. Dort Originale ungeschützt zu präsentieren, würde bedeuten, dass im Extremfall Bilder und Schrift ausbleichen könnten. Die Nachteile sind evident: Jedes Beschädigen eines NS-Objekts hat immer auch den Charakter der Beweismittelvernichtung und vermindert den Wert eines Originals für die Forschung und jede andere Auseinandersetzung. Die Entwicklungen von Vermittlungs- und Ausstellungsstandards in den letzten Jahrzehnten illustrieren, dass es für uns heute unmöglich ist, vorauszusehen, welche Verwendungsformen zukünftige Generationen erschließen werden. Daher muss verantwortungsbewusstes Ausstellen immer den Erhalt von museumswürdigen Objekten sicherstellen. Nicht zuletzt unterliegen die Objekte der hdgö-Sammlung als Teil der Bundessammlungen auch dem Denkmalschutz.

Für diese Ausstellung hat die Restauratorin Petra Süß gemeinsam mit dem Gestaltungsteam Lösungen entwickelt, die den Verhältnissen auf dem Rosé-Plateau entgegenwirken. Das Abwägen zwischen der Notwendigkeit, ein Objekt zu zeigen, und dem Risiko möglicher Schäden (das jede Ausstellung charakterisiert) rechnet im Fall dieser Präsentation dennoch ein, dass nicht alles, was zu sehen ist, nach den höchsten konservatorischen Standards behandelt werden muss: Die meisten präsentierten Verpackungen werden ungeschützt gezeigt und nach Ablauf der Ausstellung entweder entsorgt oder im Fall von zwei Transportkisten der Wehrmacht in einem Zustand in das Depot zurückgebracht, an dem diese Präsentation als Teil der Objektgeschichte auch materiell abzulesen sein wird.

NS-Überbleibsel
Markus Wörgötter

Hitler: Es ist Zeit, eine Metapher zu entsorgen

Schon in der Diskussion unserer frühesten Ideen zu einer Auseinandersetzung mit dem Sammeln und Ausstellen von NS-Objekten lag mit „Hitler entsorgen“ ein umstrittener Titelvorschlag auf dem Tisch. Unsere selbstkritische Abwägung bezog sich auf zwei Fragen: Erstens, ob wir als hdgö eine Begriffskombination verbreiten sollten, die den NS-Führerkult aufgreift; und zweitens, ob dieser plakative Titel durch einen womöglichen „Hitler sells“-Effekt die kritischen Inhalte der Ausstellung in den Hintergrund rücken lassen könnte.

Gerade aber diese Reflexion führte uns zu dem Schluss, dass auch der Begriff „Hitler“ mit seiner emotionalisierenden und skandalisierenden Konnotation eine Metapher ist, die es gilt, hinter sich zu lassen. Die paradoxe Kombination der Worte „Hitler“ und „entsorgen“ ist also wie eine Aufforderung zu verstehen. Für eine demokratische Gesellschaft ist es zentral, Propaganda zu hinterfragen. Es darf nicht mehr relativiert werden, dass die Geschichte des Nationalsozialismus eine kollektive Geschichte ist, die nicht allein anhand von Einzelpersonen erzählt werden kann. Erklärungsversuchen entlang von Charisma, Verführung und Massenwahn muss widersprochen werden, indem Gesellschaften Wege erschließen, wie eine Gewalt- und Propagandageschichte und auch deren Objekte zu einer produktiven Auseinandersetzung in der Gegenwart genutzt werden können. Mit „Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“ laden wir BesucherInnen ein, aktiv an dieser Debatte teilzuhaben, und machen sichtbar, in welcher Verantwortung wir uns als Museum in diesem gesellschaftlichen Diskussionsprozess sehen.