Politikwissenschaftlerin Barbara Prainzsack „Im Zentrum“ vom 12.12.2021
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„Beratungspflicht statt Impfpflicht“

Die geplante Impfpflicht soll die Impfquote entscheidend erhöhen. Beraterinnen der Bundesregierung und Expertinnen sind skeptisch, ob dieser Plan gelingt. Für eine Beratungspflicht statt für eine Impfpflicht plädiert etwa die Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack.

Prainsack, die zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie forscht, berichtete Sonntagabend in der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“, dass sie gegenüber der Regierung gegen eine Impfpflicht argumentiert hat. Die Impfung sei ein wichtiger Beitrag, aber: „Wenn man hohe Durchimpfungsraten möchte, dann ist eine Pflicht nicht das erste Instrument der Wahl.“ Denn es bestehe die Gefahr, Menschen zu verlieren, die sich sonst vielleicht doch zu dem Schritt entschlossen hätten.

Verpflichtung führt zu Trotzreaktion

Man könne sich außerdem ausrechnen, dass viele der Betroffenen Ausnahmen geltend machen würden – oder einfach die Strafen zahlen. Die Einführung der Impfpflicht werde als „Symbolpolitik“ verstanden. Prainsack sprach sich für andere Wege, etwa für verpflichtende Beratungsgespräche in Sachen Impfung aus. „Wir sehen aus unseren Studien, dass es viele Menschen gibt, die noch keine gute persönliche Beratung gehabt haben.“ Mit diesen persönlichen Beratungen könne man laut ihren Umfragedaten eine höhere Durchimpfungsrate erzeugen als mit „diesem sehr invasiven und Reaktanz (Anm. Trotz) erzeugenden Instrument einer allgemeinen Impfpflicht.“

IM ZENTRUM: Lockdownfrust und Impfpflichtzwist – Schafft die Regierung eine Wende?

Ab 1. Feber 2022 soll in Österreich eine Impfpflicht gegen Covid-19 gelten. Davon betroffen sind alle Personen mit Wohnsitz in Österreich ab 14 Jahren, ausgenommen sind unter anderem Schwangere. Dieser von der türkis-grünen Bundesregierung vorgelegte Gesetzesentwurf dürfte von SPÖ und NEOS mehrheitlich mitgetragen werden.

“Impfpflicht wird nicht reichen“

„Mir gefällt die Impfpflicht auch nicht, ich sag’s ganz offen“, meinte auch die Generaldirektorin für die Öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium, Katharina Reich: „Ich glaube nicht, dass wir allein mit der Impfpflicht durchkommen.“ Noch gebe es Menschen, die zögern. Diese seien mit einer Pflicht allein nicht zu erreichen.

Sie betonte ebenfalls, dass die Gespräche noch nicht abgeschlossen seien – etwa zum Bereich Arbeit: „Wir haben das in vielen Runden diskutiert, wir sind da noch nicht fertig.“ Die Impfpflicht sei aber jedenfalls eine Form zu zeigen, dass die Weigerung keine „lässliche Sünde“ darstelle und dass es nun „wirklich ernst“ sei.

Viele Begleitmaßnahmen nötig

Heidemarie Holzmann, die Vizepräsidentin der Gesellschaft für Vakzinologie und Mitglied des nationalen Impfgremiums, konstatierte: „Ich glaube, die Impfpflicht ist ein sehr heikles Thema und wie man es macht, macht man es falsch.“ Nötig wären „extrem viel Begleitmaßnahmen“. Der Dialog müsse hier unbedingt wieder aufgenommen bzw. intensiviert werden. Sie kündigte zudem an, dass die Ausnahmen streng gefasst würden. Dies werde derzeit noch ausgearbeitet.

Holzmann verwies außerdem darauf, dass es noch „sehr viele Mythen“ bei jungen Erwachsenen im gebärfähigen Alter gebe. „Hier müssen wir noch ansetzen.“ Schwangere seien von der Pflicht zwar ausgenommen, da es sich um Off-Label-Anwendungen handeln würde, Aufklärung sei aber trotzdem unbedingt nötig. Denn es gebe viele Komplikationen bei an Covid erkrankten Schwangeren.

Was kommt nach Ultima ratio?

Die Rechtsanwältin und Arbeitsrechtsexpertin Katharina Körber-Risak erinnerte daran, dass die Impfpflicht wiederholt als „Ultima Ratio“ bezeichnet worden sei: „Das heißt, wir haben dann nichts mehr.“ Offen sei, wie man dann vorgehen wolle, wenn die Verpflichtung nicht funktioniere. Den Arbeitsplatz hier auszunehmen, suggeriere zudem, dass man ohnehin davon ausgehe, dass es einen hohen Anteil Ungeimpfter geben werde. Das sei auch kommunikativ schwierig.

Konsequent wäre etwa auch am Arbeitsplatz eine Verpflichtung zu 2-G – auch um die Verantwortung nicht an die Arbeitgeber abzuwälzen. „Ich sehe aber keinen Dialog zu dem Thema“, beklagte Körber-Risak.

Lob für Dialogbereitschaft Nehammers

Diskutiert wurden in der Runde auch Anreizsysteme wie etwa finanzielle Zuwendungen bei einer Corona-Impfbereitschaft oder Lotterien. Der Politologe Peter Filzmaier befand, dass man nicht konsequent genug versucht habe, solche Instrumente einzusetzen.

Lob gab es jedoch für den neuen Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Reich berichtete davon, dass dieser an seinem ersten Arbeitstag zu einer Expertenrunde geladen habe. Nehammer habe genau zugehört, Fragen gestellt und sich für Details interessiert. Seine Vorgänger Sebastian Kurz und Alexander Schallenberg hätten dies „nicht in dieser Art und Weise“ getan.