Bub spielt mit Rakete
alphaspirit/stock.adobe.com
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Christmas Edition

Studie: Raketenwissenschaft ist gar keine Raketenwissenschaft

Sind Raketenwissenschaftler wirklich schlauer, wie das der Spruch „Das ist doch keine Raketenwissenschaft“ nahelegt? Nein, sagt eine neue Studie, die heute in der traditionell humorvoll angelegten Weihnachtausgabe des „British Medical Journal“ erschienen ist. Ebenfalls darin enthalten: Studien zu Superhelden, die sich fit halten müssen, und zur lebensrettenden Wirkung von Hip-Hop-Songs.

Die Redewendung „It’s not rocket science“ dürfte in den 1950er Jahren in den USA entstanden sein, als deutsche Raketenwissenschaftler den US-Amerikanern bei ihren Raumfahrt- und Raketenplänen halfen. Diese Aufgaben galten als große Herausforderungen, schreiben die Autorinnen und Autoren um Inga Usher vom University College in ihrer soeben erschienenen Weihnachtsstudie. Seit den 1970ern sei der Spruch in der US-amerikanischen Medien- und Alltagssprache gebräuchlich.

Auch im Deutschen ist der Satz „Das ist doch keine Raketenwissenschaft“ heute längst zum geflügelten Wort geworden. Es beschreibt einen Sachverhalt, der eigentlich keine Hexerei und für jeden verständlich sein sollte.

Im Englischen wird alternativ auch eine andere Phrase zur Beschreibung eines solchen Umstands verwendet: „It’s not brain surgery“ („Das ist keine Hirnoperation“). Vermutlich gehe er ebenfalls auf einschlägige Fortschritte im 20. Jahrhundert zurück, so Usher et al. Ausdrücke wie diese stellen manche Forschungszweige und Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, auf eine Art Podest. Ob das überhaupt gerechtfertigt ist, sei dabei noch nie untersucht worden.

Nicht klüger als „normale“ Menschen

Um diese Frage endlich zu klären, hat das Team die Intelligenz von Ingenieuren aus der Raumfahrt sowie Hirnchirurgen untersucht und sie mit jener der Allgemeinbevölkerung verglichen. Erfasst wurden Daten von 329 Raketenwissenschaftlerinnen und – wissenschaftlern, 72 Neurochirurginnen und -chirurgen und 18.257 „normalen“ Menschen. Der verwendete Intelligenztest (Great British Intelligence Test) soll ein differenziertes Bild der Intelligenz zeichnen, indem er verschiedene Aspekte der menschlichen Denkfähigkeit misst, etwa Planen, Schlussfolgern, Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit und die Verarbeitung von Gefühlen.

Im direkten Vergleich waren Raketenforscher und Neurochirurgen in den allermeisten Kategorien ähnlich begabt: Erstere hatten eine etwas bessere Vorstellungskraft, Zweitere waren besser bei bestimmten Problemlösungsaufgaben. Verglichen mit der Gesamtbevölkerung scheinen jedoch beide Spezialistinnen und Spezialisten nicht außerordentlich begabt zu sein. Lediglich bei der Problemlösung waren die Chirurgen etwas schneller als alle anderen.

Auch wenn die Studie mit einem Augenzwinkern verfasst wurde, betonen die Forscher den realen Hintergrund ihrer Arbeit. Klischeebilder wie das vom smarten – oft auch männlichen – Raketenforscher könnten etwa junge Frauen davon abhalten, eine entsprechende Karriere anzustreben. Wenn man darauf verweisen möchte, wie unkompliziert eine Aufgabe oder ein Sachverhalt ist, sollte man, anstatt an Raketenforschung zu erinnern, daher lieber auf neutrale Phrasen wie „Das ist doch ein Spaziergang!“ setzen.

Forscher schauen Filme

Für eine weitere, ebenfalls in der Weihnachtsausgabe des „British Medical Journal“ erschienene Studie haben die Autoren den Boden der Realität komplett verlassen und ihre Forschungsfragen in den fiktiven Raum verlegt. Schuld daran waren offensichtlich die Lockdowns im heurigen wie im vergangenen Jahr. Denn dadurch hatten die Autorinnen und Autoren um Sarah Fox von der australischen University of Adelaide sehr viel Zeit zum Filmschauen: Zwischen acht und mehr als 50 Stunden Material habe jeder einzelne gesichtet.

Im Fokus des Forscherinteresse standen 24 Marvel-Verfilmungen, die zwischen 2008 („Iron Man“) und 2021 („Black Widow“) veröffentlicht wurden, bzw. deren Superhelden und ihre Fitness. Denn, so die Forscher: Superhelden werden älter – trotz all ihrer Superkräfte. Um gesund zu altern, müssten sich selbst fiktive Charaktere entsprechend verhalten, z. B. regelmäßig Sport treiben und soziale Kontakte pflegen.

Superhelden im Dienst der Gesundheit

Ob sie das auch wirklich tun, stand im Mittelpunkt des zeitintensiven Rechercheprojekts. Neben den positiven wurden dabei auch riskante Verhaltensweisen untersucht. Tatsächlich scheint Gesundheit den meisten Heldenfiguren ein Anliegen zu sein, schreiben die Autoren. Sie trainieren intensiv („Higher, further, faster, baby“, Captain Marvel) und regelmäßig („I can do this all day", Captain America).

Die meisten hätten ein positives Mindset, rauchten nicht und tränken wenig, abgesehen von Iron Man, der ein Alkoholproblem habe. Insgesamt seien sie aber auch einer ganzen Reihe von Risiken ausgesetzt: Luftverschmutzung, Lärm und Kopfverletzungen – Letzteres erhöhe erwiesenermaßen das Demenzrisiko.

Die Persönlichkeit und das Verhalten von fünf Figuren haben die Forscherinnen und Forscher dann noch genauer analysiert: Iron Man, Hulk, Black Widow, Black Panther und Spider-Man. Manche leben besonders gesund, etwa Black Panther, der Vegetarier ist. Bei anderen treffen hingegen gleich mehrere Risikofaktoren aufeinander, etwa bei Hulk: Ein hoher Body-Mass-Index plus sein cholerisches Gemüt seien schlecht für das Herz.

Die Studienautoren fordern deshalb: Statt sich um die Sicherheit des Multiversums, Zeitreisen und Ähnliches zu kümmern, sollten sich die Superhelden in Zukunft vermehrt profaneren Aufgaben zuwenden, etwa der Gesundheit und der sozialen Versorgung einer immer älter werdenden Gesellschaft.

Wirksame Hits

Dass popkulturelle Inhalte durchaus gesellschaftlich nützlich sein können, untermauert eine weitere Studie in der Weihnachtsausgabe, die einen vergleichsweise ernsthaften Hintergrund hat. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der Song „1-800-273-8255“ des US-amerikanischen Rappers Logic, der 2017 veröffentlicht wurde. Der Titel des Hits ist die Telefonnummer der US National Suicide Prevention Lifeline. Dort können Menschen mit Problemen rund um die Uhr anrufen. Das Lied handelt von einer lebensmüden Person, die dort anruft. Ihr kann geholfen werden.

Ob diese positive Botschaft auch bei den Hörerinnen und Hörern angekommen ist, haben die Studienautorinnen und -autoren um den Wiener Forscher Thomas Niederkrotenthaler von der Medizinuni Wien nun untersucht. Sie analysierten Tweets, die im Monat nach drei vielbeachteten Livedarbietungen des Songs abgesetzt wurden. In diesem Zeitraum wurde der Notruf fast 10.000-mal häufiger gewählt als sonst, berichten die Wissenschaftler. Das waren knapp sieben Prozent mehr Anrufe, als erwartet worden wäre. Auch die Suizide gingen um 5,5 Prozent bzw. um 245 zurück.

Weihnachtliche Botschaft

Die Studienautoren betonen, dass es sich um eine reine Korrelationsstudie handelt und der Zusammenhang noch genauer untersucht werden muss. Dennoch zeigen die Ergebnisse, welche Möglichkeiten in der Unterhaltungsindustrie stecken, wenn es darum geht, Menschen in einer Krise zu helfen.

Die Studie stütze den Papagenoeffekt, schreibt dazu Alexandra Pitman vom University College London in einem begleitenden Editorial unter dem Titel „A Song of Hope“. Laut dieser Theorie profitieren Menschen in der Krise davon, wenn von Menschen berichtet wird, die ebenfalls eine solche erlebt, aber dann erfolgreich überwunden haben.

Der ernste Hintergrund dieser Studie in der traditionell humoristisch angelegten Spezialnummer des „British Medical Journal“ mag den einen oder andern verwundern, betont Pitman, die Weihnachtsausgabe sei aber das ideale Forum, um die positive Kernaussage der Untersuchung zu publizieren.