Illustration von drei autonom fahrenden Autos
fotohansel – stock.adobe.com
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Gastbeitrag

Vom Auto zum Auto-Auto

Für die einen sind Autos heute das Zeichen einer untergehenden, fossilen Kultur, für andere noch immer ein Freiheitsversprechen. Diese Freiheit ist allerdings schon durch autonom fahrende Autos bedroht, an der die Industrie bastelt. Wie diese Auto-Autos auch ihre Fahrerinnen und Fahrer verändern, beschreibt der Medienwissenschaftler Christof Windgätter in einem Gastbeitrag.

Wer heute autonome Autos thematisiert, darf sicher sein, dass dazu jeder eine Meinung hat. Dabei ist das Thema weder einfach noch übersichtlich: Kaum eine Institution, ein Netzwerk oder eine Wissenschaft, die sich nicht schon zu selbstfahrenden Autos geäußert hätte. Die Debatten sind vielfältig und nicht immer ist klar, ob noch über Fakten oder schon über Fiktionen gesprochen wird.

Diese Gemengelage kann kaum überraschen, denn die Möglichkeit autonomer Automobilität rührt an fundamentalen Prinzipien unserer Lebens-, Arbeits- und Gefühlswelten. Das Auto, erklärt die Soziologin Katharina Manderscheid, ist ein „Zentralobjekt industrialisierter Gesellschaften“ und ihr britischer Kollege John Urry resümiert die Zeit nach 1900 als „century of the car“.

Porträtfoto des Medienwissenschaftlers Christof Windgätter
IFK

Über den Autor

Christof Windgätter ist Professor für Medientheorie an der Berliner University of Europe for Applied Sciences und aktuell Senior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften | Kunstuniversität Linz in Wien.

Vortrag

Windgätter hält am 17. Jänner 2022, 18:15 Uhr, am IFK einen Vortrag mit dem Titel „Zur Anthropologie des Automobilismus“, er findet hybrid statt.

Historisch eröffnen Autos neue Handlungsspielräume. Sie übertreffen Pferdekutschen an Reichweite und Ausdauer, können schwere Lasten transportieren und sind nicht mehr an Fahrpläne, Schienen oder (wie später Busse) feste Routen gebunden. Entsprechend haben sie Welt- und Menschenbilder mitbegründet, die Individualität, Freiheit und Mobilität als wesentliche Errungenschaften verstehen. Anlass genug, in einer Situation, in der uns buchstäblich das Steuer aus der Hand genommen werden soll, auch Elemente einer Medientheorie (voll)automatisierter Autos ins Spiel zu bringen.

Naturalisierte Erfindung

Automobilität ist nicht selbstverständlich; weder in ihrer klassischen Form mit Verbrenner und Führerschein noch als elektrische oder autonome Zukunft, sondern sie hat sich durch soziotechnische Entwicklungen sowie infrastrukturelle, ökonomische und politische Maßnahmen als dominantes Mobilitätsregime durchgesetzt. „Pfadabhängigkeit“ nennen das Historiker. Sie verweist auf das Gemachtsein von Automobilität, die sich zugleich als unveränderliche Macht inszeniert. So werden geschichtlich kontingente Ereignisse quasi naturalisiert. Am Ende soll man sich Alternativen nicht mal mehr vorstellen können.

Die aktuellen Spektakel der Bilder und Prototypen autonomer Fahrzeuge lassen leicht vergessen, dass ihre Entwicklung keineswegs neu ist. Abgesehen von fliegenden Teppichen (Tausendundeine Nacht) oder federgetriebenen Dreirädern (Leonardo da Vinci) begann sie in den 1920er Jahren auf US-amerikanischem Militärgelände. Wie der Technikhistoriker Fabian Kröger zeigt, gelang es dort durch den Einsatz von Autopiloten aus der Luftfahrt und Radiofunkwellen das erste fahrerlose, weil ferngesteuerte Fahrzeug zu konstruieren. In der Presse wurde es als phantom auto oder magic car gefeiert.

Ab den 1950er Jahren begann man zudem an automatisierten Straßen zu forschen, die Fahrzeuge durch Antennenkabel im Asphalt führen und „hands-free“ lenken konnten. Wenig später war es möglich, auch Motorfunktionen elektronisch zu steuern und daraus ab den 1970er Jahren Fahrerassistenzsysteme zu entwickeln. Etwa zur gleichen Zeit hielten Kamera- und Sensortechniken Einzug in Konzeptfahrzeuge, deren Automatisierungsgrad durch Digitalisierung und Vernetzung neuerdings noch gesteigert werden konnte.

Seither heißt Autofahren immer öfter, sich Wahrnehmungs-, Entscheidungs- und Steuerungsprozesse mit maschineller Intelligenz zu teilen. Ob aber daraus auch vollautomatisierte Autos ohne menschliche Kontrolle und im Alltagseinsatz werden, ist jenseits von PR-Kampagnen und Fortschrittsgläubigkeit eine offene Geschichte.

Autonom fahrendes Auto der Continental AG
AFP – THOMAS LOHNES
Autonom fahrendes Auto

Artefakte, Kult und System

Wer selbstfahrende Autos verstehen will, darf nicht nur auf die Autos selber schauen. Vielmehr wäre, dem Medientheoretiker Florian Sprenger folgend, von „automobilen Kulturen“ auszugehen. Und das in dreifacher Hinsicht:

Erstens, Autos sind immer schon kulturelle Artefakte. In ihnen vergegenständlichen sich soziotechnisch-gestalterische Strategien, die wiederum Gegenstand von Kunstwerken, Filmen, Ausstellungen etc. werden.

Zweitens, Automobilität ist Kult. Mag sein, dass Viele sie auch für nützlich halten, tatsächlich aber war sie von Anfang an Teil moderner Erregungsgeschichten. Autos werden begehrt und verdammt, sie bedienen (Männlichkeits)Phantasien und ermutigen Emanzipationsbestrebungen. Mit ihnen verbinden sich Reiselust und Unfalltragödien. Nur gleichgültig waren sie nie.

Drittens, Automobilität ist ein System. Der Blick auf einzelne Fahrzeuge, Marken oder Bedienelemente greift zu kurz. Vielmehr sind sie jeweils eingebettet in heterogene Infrastrukturen; menschlich und nichtmenschlich, technologisch, ästhetisch und juristisch, durch Ressourcen, Verkehrsverhältnisse und Wirtschaftsweisen. Autonome Automobilität treibt diese Komplexität ins Extrem. Würde sie Alltag, hätte sie maschinenlesbare Fahrzeuge, Insassen und Umwelten vollständig realisiert.

Autos werden zum Wohnzimmer und Büro

Autonome Automobilität erschafft neue Menschen(-bilder). So jedenfalls ließe sich die aktuelle Eskalation der Fahrerassistenzsysteme deuten, die menschliche Teilnahme von souveränen Aktionen über betreute Interaktionen zur regelmäßigen Delegation verschiebt. Die Konsequenzen sind beachtlich: Etwa, dass zahlreiche Konzeptautos eine radikale Abschirmung des Fahrgastraumes von seiner technischen, städtischen oder natürlichen Umwelt vorsehen. Fahren heißt dann nicht nur Mitfahren, sondern auch „cocooning“, wie der Mobilitätsforscher Gijs Mom schreibt. Das Auto wird zum rollenden Wohnzimmer oder Büro, in das man sich samt Multimediaangeboten zurückziehen kann.

Während assistiertes Fahren die Aufsicht eines Menschen verlangt, ein Monitoring der Armaturen und Verkehrsverhältnisse, um bei Gefahren eingreifen zu können, erlauben vollautomatisierte Autos ihren Insassen neue Passivkompetenzen. Abgekoppelt von der Mobilmachung, kann nun auch private Mobilität konsumiert werden. Vom Historiker Kurt Möser wird das als „Entsportlichung“ beschrieben, als Zähmung automobiler Kraftmeierei, und der Medientheoretiker Stefan Rieger ergänzt, hier seien Merkmale „postheroischer Subjektivität“ zu erkennen.

Dazu passt in autonomen Fahrzeugen die Enthierarchisierung von Fahrer und Beifahrer(in), ebenso wie deren Erwartung, dass Mobilität weniger Abenteuer, Geschwindigkeit und Eleganz als vielmehr Sicherheit und Komfort zu gewährleisten habe. Auch in aktuellen Auto-Visionen führen Souveränitätsverschiebungen zu Werteverschiebung.

Autonomer E-Bus in Wien-Seestadt: nach durchwachsener Bilanz wurde der Testbetrieb nach drei Jahren im Sommer 21 eingestellt
APA/HERBERT PFARRHOFER
Autonomer E-Bus in Wien-Seestadt: nach durchwachsener Bilanz wurde der Testbetrieb nach drei Jahren im Sommer 21 eingestellt

Mensch als Mängelwesen

Gleichzeitig gilt, dass die zahlreichen Bordsysteme (voll)automatisierter Autos nicht nur am Fahr- und Verkehrsgeschehen, sondern auch an Passagieren und Passanten interessiert sind. So führt die Entwertung des Menschen am Steuer zu seiner Wiederverwertung als Datenquelle; zumeist mit kommerziellen Absichten. Indem Autos zu digitalen Plattformen werden, verwandeln auch sie Individuen in Waren. Die Differenz zum Frachtgut schwindet oder: Wer in Zukunft automobil sein will, muss mit seiner Adressierung als logistische Größe rechnen.

Interessant ist zudem, dass dieser Statuswandel mit der Annahme kollektiver Betreuungsbedürftigkeit einhergeht. Assistenzsysteme setzen Menschen über Ausnahmen und Ausgrenzungen hinaus prinzipiell als Mängelwesen voraus. Mit dem Ziel, autonome Autos zu den besseren, weil programmierbaren Verkehrsteilnehmern zu machen: ermüdungsfrei, gesetzestreu und integrativ. Stefan Rieger folgend könnte man sie zu den „anthropophilen Medien“ zählen. Ihre Menschenliebe impliziert ein Menschenbild, das nicht nur umgebungsgesteuerte Mobilität akzeptabel machen will, sondern deren Neuverteilung von Handlungs- und Entscheidungsbefugnissen auch als Fürsorglichkeit versteht.

So geraten schließlich politische Aspekte autonomer Automobilität in den Blick. Deren wachsende Assistenzbereitschaft jedenfalls kann einer „Regierungskunst“ zugeordnet werden, die der Soziologe Ulrich Bröckling mit der Figur des „guten Hirten“ vergleicht. Anstatt auf Repressionen oder Zwang zu setzen, agiert dieser als ebenso sanfte wie wohltätige Macht. Dass sich dann auch Konzerne, Informatiker und Designer einträchtig für „Calm Technologies“, „Shy-Tech“ oder „Ambient Computing“ begeistern, ist fast schon eine Banalität.