Büste von Kaiser Mark Aurel aus Gold, um 180 n. Chr., aus der 2008 gezeigten der Ausstellung „Rom und die Barbaren – Europa zur Zeit der Voelkerwanderung“ in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn
AP Photo/Hermann J. Knippertz
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Philosophie

Marc Aurels „Sorge um sich“

2021 hat auch an Marc Aurel erinnert. Der vor 1.900 Jahren geborene römische Kaiser verkörperte das Ideal eines philosophierenden Herrschers, der für Selbstdisziplin, Toleranz und Gelassenheit eintritt. Sein Prinzip der „Sorge um sich“ ist nach wie vor aktuell – an ihm hat etwa der Philosoph Michel Foucault angeknüpft.

Die philosophische Gestaltung des menschlichen Lebens war für Marc Aurel ein wesentliches Anliegen. Die Selbstformung der menschlichen Existenz – „die Sorge um sich“, die als stetiger Prozess erfolgte, sollte zu einem tugendhaften Leben führen. Er verstand Philosophie nicht als metaphysische Spekulation über das Wesen des Seins oder als Erkundungen im Bereich der Dialektik oder Logik, sondern als Handlungsanleitung.

Philosophische Lehrjahre

Geboren wurde Marc Aurel am 26. April 121 nach Christus in Rom als Sohn einer vermögenden Senatorenfamilie. Nach dem Tod des Vaters, der früh verstarb, adoptierte der Großvater Marcus Annius Verus, den achtjährigen Knaben. Von kompetenten Privatlehrern erhielt er einen qualifizierten Unterricht, der ihn motivierte, sein Denken und Handeln nach philosophischen Grundsätzen auszurichten. Sie bestanden darin, stets an der Bildung und Besserung des eigenen Charakters zu arbeiten, keine Theorien ohne Praxisbezug zu entfalten, keine dogmatischen Thesen zu propagieren, frei zu denken, sich von der Vernunft leiten zu lassen und Mitgefühl für die Menschen zu empfinden.

Ziel: Die „Meeresstille der Seelenruhe“

Marc Aurel formulierte seine philosophischen Überlegungen in dem in griechischer Sprache verfassten Werk „Selbstbetrachtungen". Darin beschrieb der Autor sein philosophisches Rüstzeug, mit dem er die persönliche Lebensführung und die Anforderungen des politischen Amtes bewältigen wollte. Es handelt sich um eine Form geistiger Übungen, die darauf zielten, Grundsätze der stoischen Philosophie als Maximen einer Lebenskunst zu verinnerlichen und nach ihnen zu leben.

Der Kopf einer zwischen 161 und 165 nach Christus gefertigten Statue des römischen Kaisers Mark Aurel steht nahe seinem Fundort im südtürkischen Sagalassos (Foto vom August 2008).
dpa/Bruno Vandermeulen/A9999

Der Kopf einer zwischen 161 und 165 nach Christus gefertigten Statue von Marc Aurel, die im südtürkischen Sagalassos gefunden wurde.

Sendungshinweis

Die Kunst zu leben. Über den Philosophen-Kaiser Marc Aurel: Ö1 Dimensionen, 15. 11. 2021.

Alles Unglück besteht laut Marc Aurel in der unkontrollierten Erregung der Seele, die von leidenschaftlichen Affekten ausgelöst wird. Das Ziel seiner Lebenskunst ist es, die Affektfreiheit, – die Apathie, die Selbstgenügsamkeit –, die Autarkie und die Unerschütterlichkeit – die Ataraxie – zu erreichen. Sie bewirken „die Meeresstille der Seelenruhe“ und werden von Marc Aurel mit einem Felsen verglichen, an dem sich alle Wogen brechen.

Foucaults Adaption der „Sorge um sich“

Die „Sorge um sich“ war eine zentrale Thematik des französischen Philosophen Michel Foucault, über die er Anfang der 1980er Jahre in seinen Vorlesungen „Hermeneutik des Subjekts“ am Collège de France gesprochen hat. Dabei bezog er sich auch auf die Philosophie der Lebenskunst von Marc Aurel und deren konkrete Auseinandersetzung mit den elementaren Erfahrungen der menschlichen Existenz wie Glück, Umgang mit Lüsten und Schmerzen, Nachdenken über Krankheit und Tod und die Verantwortung für andere Menschen.

Foucault nahm in den Vorlesungen eine Grundunterscheidung zwischen Marc Aurels Konzeption der „Sorge um sich“ und dem sokratischen Grundsatz „Erkenne dich selbst!“ vor. Foucault verstand Marc Aurels Devise der Selbstsorge als ein alternatives Konzept zum sokratischen Postulat der Selbsterkenntnis, die für die abendländische Philosophie eine dominierende Rolle spielte. Das Konzept der „Sorge um sich“ bedeutet laut Foucault, dass „der aufrichtige, gute Mensch sich das Ziel gesetzt hat, dem er unbeirrt und geradewegs zustrebt, ohne sich von einem Wissen von der Welt, das ihm nichts nützt, ablenken zu lassen. Was ist sein Ziel? Er selbst!"

Politische Umsetzung des humanistischen Programms

Als Kaiser war Marc Aurel bestrebt, seine philosophischen Maximen im politischen Alltag umzusetzen, wobei er Abstriche von seinen rigorosen moralischen Maximen vornehmen musste. Mit seinem Regierungsantritt im Jahr 161 nach Christus endete eine längere, verhältnismäßig friedfertige Periode. Das Römische Reich musste gegen zahlreiche Angriffe von Parthern, Skythen und vor allem von germanischen Stämmen verteidigt werden, sodass der Herrscher gezwungen war, an militärischen Operationen teilzunehmen.

Dennoch ging der Kosmopolit Marc Aurel von der Einheit und Gleichheit aller Menschen, denen man mit Nächstenliebe begegnen sollte, aus. Er verglich das gesellschaftliche Zusammenleben mit einem Theaterstück, in dem jeder Teilnehmer sich bemühen sollte, seine Rolle möglichst gut zu spielen. Seine Rolle als Kaiser verpflichtete ihn, das Römische Reich auch mit militärischen Mitteln zu verteidigen. Das hielt ihn jedoch nicht ab, mit den Feinden menschlich umzugehen; an einer Stelle der „Selbstbetrachtungen“ sprach er von „Feindesliebe“.

Sozialreformer und ökologischer Vordenker

Marc Aurel wandte seine humanen Maximen im Rahmen seiner innenpolitischen Herrschaft an. Es gab Fälle, in denen ihn der römische Staatsrat überstimmte und er auf sein Recht, allein zu entscheiden, verzichtete. Er milderte Strafen und setzte sich für unmündige Kinder, Witwen und Sklaven ein. Der Philosophen-Kaiser engagierte sich nicht nur für soziale Probleme, sondern kümmerte sich auch um ökologische Themen, wie der an der Freien Universität in Berlin emeritierte Althistoriker Alexander Demandt im Gespräch mit science.ORF.at anmerkt.

Porträtfoto von Michel Foucault
AFP
Michel Foucault

„Der Mensch ist ein Naturwesen und muss sich in die Weltordnung der Natur einordnen. Er darf die Natur nicht vergewaltigen, er darf sie nicht ignorieren. Er muss respektieren, was die Natur an Möglichkeiten bietet. Diese „grüne“ Philosophie ist bei Marc Aurel im Kern vorhanden. Die Natur dient nicht, wie im Christentum, dazu, dem Menschen ein angenehmes Leben zu ermöglichen, sondern sie hat eine gleichberechtigte Existenz“, so Demandt, Autor der umfangreichen Studie „Marc Aurel. Der Kaiser und seine Welt“.

Keine Angst vor dem Tod

Ein weiteres zentrales Motiv des “Philosophen-Kaisers" war der Tod. Im Tod sah er weder ein Unheil noch etwas Furchterregendes. Da der Tod nicht zu vermeiden sei, so argumentierte er, habe es keinen Sinn, darüber zu klagen oder sich vor ihm zu fürchten. Seinen eigenen bevorstehenden Tod betrachtete er als unspektakuläres Ereignis im ewigen Kreislauf der Natur, als “Ausruhen von den Widersprüchen der sinnlichen Wahrnehmung, von den Aufregungen der Triebe, von den fortwährenden Arbeiten der Denkkraft und von der Dienstbarkeit gegen das Fleisch".

Selbstmord in Theorie und Praxis

Am 17. März 180 verstarb Marc Aurel. Vor seinem Tod in Vindobona verweigerte er die Nahrungsaufnahme, um sein Ende zu beschleunigen. Der Diskurs über den Selbstmord war in philosophischen Kreisen nicht verpönt, wie Alexander Demandt im Gespräch betont:

„Marc Aurel sagt, in dem Augenblick, wo wir unerträgliche Schmerzen aushalten müssen, haben wir das Recht, unser Leben zu beenden und das hat er ja auch getan in einem Augenblick, wo er am Rande des Grabes stand. Sein Selbstmord im Zustand der schweren Krankheit ist eine Beschleunigung dessen, was ohnehin zu erwarten gewesen war.“

Die Summe seiner Reflexionen über eine gelassene Lebenskunst fasste Marc Aurel selbst so zusammen: „Bleibe ein einfacher guter Mensch, integer, ernsthaft, schlicht, ein Freund der Gerechtigkeit, gottesfürchtig, wohlwollend, liebevoll und standhaft in der Erfüllung deiner Pflichten. Kämpfe darum, dass du so bleibst, wie dich die Philosophen haben wollen."