Ein Igel auf einer Wiese
APA/dpa/Julian Stratenschulte
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Vor 200 Jahren

Wie im Igel ein Superkeim entstand

Der antibiotikaresistente Bakterienstamm MRSA ist in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend zum Problem geworden. Ein modernes Phänomen ist der Krankenhauskeim aber nicht. Laut einer aktuellen Studie ist ein MRSA-Typ schon vor 200 Jahren in der Natur entstanden ist – nämlich in Igeln.

In Spitälern wird das Auftreten von Staphylococcus-aureus-Keimen gefürchtet. Denn ein Abkömmling des Erregers, der Bakterienstamm mit der Abkürzung MRSA gilt als „Superbug“: als Bakterienstamm, der gegenüber Antibiotikabehandlung resistent ist. In einem Artikel im Fachmagazin „Nature“ zeigte ein Forschungsteam mit österreichischer Beteiligung nun, dass ein spezieller Typ von MRSA seine Zähigkeit schon vor 200 Jahren in Igeln erworben hat.

1960 erstmals in Patienten entdeckt

Bekannt ist das Bakterium Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA) seit mehreren Jahrzehnten. 1960 wurde es erstmals bei Patientinnen und Patienten festgestellt. Neuen Analysen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um den Erstautoren der Studie, Jesper Larsen vom Statens Serum Institut in Kopenhagen, zufolge hat sich eine solche Resistenz aber schon deutlich früher entwickelt.

Mitbeteiligt an der Arbeit, die die genetische Geschichte des Bakteriums durchleuchtet, waren neben Forschern aus Großbritannien auch Igor Loncaric von der Veterinärmedizinischen Universität Wien und Heidrun Kerschner vom Ordensklinikum Linz Elisabethinen.

Igel von Europa bis Neuseeland tragen „mecC-MRSA“

Der Ausgangspunkt für die weitreichende Studie war die überraschende Erkenntnis, dass bis zu 60 Prozent der Igel, die in Dänemark und Schweden untersucht wurden, den resistenten S. aureus-Typ „mecC-MRSA“ trugen. Im Zuge der anschließenden Analysen stellte sich heraus, dass dies bei Tieren von Europa bis Neuseeland der Fall war, heißt es in einer Aussendung der University of Cambridge.

Etwa eine von 200 MRSA-Infektionen ist auf „mecC-MRSA“ zurückzuführen. Der Erreger stelle somit ein durchaus großes Problem für Menschen und Nutztiere dar, so die Forscherinnen und Forscher. Sie analysierten insgesamt über 1.000 S-aureus-Proben von Igeln und anderen Tieren. Die Untersuchungen der spezifischen Gene, die mecC-MRSA so widerstandsfähig machen, weisen demnach darauf hin, dass sich dieser Typ schon von rund 200 Jahren in Igeln entwickelt haben muss.

Pilzparasit produzierte Antibiotika auf Igelhaut

Diese Tiere werden oft von einem Pilzparasiten namens Trichophyton erinacei heimgesucht. Der Mitbewohner auf der Igelhaut produziert zwei natürliche Antibiotika. Mit diesen Substanzen musste sich S. aureus also herumschlagen, um sich in der Igelpopulation zu halten. Die Studie geht davon aus, dass diese direkte Koexistenz mit einem Antibiotika-Produzenten zur ursprünglichen Entwicklung der Resistenz geführt hat.

Diese Entwicklung hat sich also schon lange vor der mittlerweile vielfach unkontrollierten Verwendung von Antibiotika in der Medizin und Viehzucht zugetragen. „Unsere Studie legt nahe, dass es nicht die Verwendung von Penicillin war, die zur Bildung von MRSA geführt hat. Es war ein natürlicher Prozess“, so Ewan Harrison von der University of Cambridge. Von der Haut der Igel sprang der Erreger dann irgendwann auf Menschen und Nutztiere über.

Resistenzen wohl „kein modernes Phänomen“

Die Ergebnisse der Studie rütteln an der Annahme, dass Resistenzen vor allem ein moderneres Phänomen sind. Trotzdem steigere der unreflektierte und oft unnötige Missbrauch der wichtigen Arzneien die Wahrscheinlichkeit des Auftretens weiterer multiresistenter Keime erheblich, so das Forschungsteam. Denn es gibt vermutlich viele Erreger in der Natur, die dagegen gewappnet sind. Je mehr also Antibiotika eingesetzt werden, umso größer ist deren Überlebensvorteil gegenüber harmloseren Varianten. Die Arbeit sei daher ein Warnsignal, die Medikamente künftig sorgfältiger einzusetzen.