Pflanzen vor Gletscher
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Wärmeresistente Alpenpflanzen schwinden

Alpenpflanzen, die im rauen, kalten Klima des Hochgebirges gut gedeihen, verlieren durch die Erderwärmung zunehmend ihren Lebensraum. Überraschenderweise könnten gerade jene Pflanzen, die sich besser an steigende Temperaturen anpassen, besonders bedroht sein.

„Dieser Trend zeigt sich bei fünf von sechs Pflanzenarten und widerspricht der intuitiven Erwartung, dass ein wärmeres Klima diejenigen Individuen bevorzugen sollte, die mit wärmeren Bedingungen besser umgehen können“, sagt Johannes Wessely vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien. In einer neuen Studie, die im Fachmagazin „Nature Climate Change“ veröffentlicht wurde, zeigt er, dass wärmere Temperaturen gerade jenen Pflanzen zum Verhängnis werden könnten, die besser damit umgehen können.

Pflanzen in der Zwickmühle

Mit einem Forschungsteam aus Wissenschaftlern der Universität Wien und der Universität Helsinki untersuchte Wessely, wie sich die Klimaerwärmung im 21. Jahrhundert auf sechs Alpenpflanzen auswirken könnte: die Alpennelke, das Zwergseifenkraut, das Kopfige Läusekraut, die Dunkle Glockenblume, die Halbkugelige Teufelskralle und das Stängellose Leimkraut. In der Studie wurde die Reaktion der Pflanzen auf verschiedene Szenarien der Klimaerwärmung simuliert.

Stängelloses Leimkraut (Silene acaulis) wächst in den Alpen
Dietmar Moser/Universität Wien
Stängelloses Leimkraut

Das überraschende Ergebnis der Modellstudie lasse sich durch die Konkurrenz zwischen den Vertretern einer Art erklären, so Wessely: „Wenn Arten über einen Berg verbreitet sind, sitzen oben die an Kälte angepassten Individuen und weiter unten die an Wärme angepassten. Durch den Klimawandel verschiebt sich diese Verbreitung nach oben. An Kälte angepasste Individuen haben den Vorteil, dass sie neues Gebiet erobern können.“

Die an Wärme angepassten Vertreter vom unteren, warmen Rand des Verbreitungsgebietes hingegen geraten in eine Zwickmühle: Die Gebiete oberhalb ihres aktuellen Verbreitungsgebietes sind bereits besetzt. Und gleichzeitig wird das Klima am unteren Rand des Verbreitungsgebietes sogar für sie zu heiß.

Ausnahme Alpennelke

Einzig bei der Alpennelke konnten die an wärmere Temperaturen angepassten Individuen leicht zulegen. Die Alpennelke sei allein deshalb die Ausnahme, weil „sie nur ein sehr kleines Verbreitungsgebiet hat und auf dem Berggebiet, auf dem sie sitzt, nach oben einfach kein Platz mehr ist“, so Wessely. Dadurch können sich die an kältere Temperaturen angepassten Individuen nicht ausbreiten, die gesamte Population nehme stark ab und der Trend sei nicht mehr erkennbar.

„Mehr Schutz für alpine Lebensräume“

„Wenn die Pflanzen nach oben wandern müssen, werden genau die falschangepassten Individuen gefiltert, nämlich die, die an Kälte angepasst sind. Und die an Wärme angepassten Individuen, die weiter unten am Berg sitzen, gehen verloren“, so Wessely. Eine Pflanzenart bestehe immer aus einzelnen Individuen, die verschieden gut an klimatische Bedingungen angepasst sind. Und langfristig setze sich entweder jene Variante, die besser an Kälte oder jene, die besser an Wärme angepasst ist, durch.

„Die Ergebnisse der Studie widersprechen der Erwartung, dass eine Selektion wärme-adaptierter Genotypen zu einer relativ raschen und erfolgreichen Anpassung von Gebirgspflanzen an den Klimawandel führen könnte“, so Wessely. Und sie zeigen einmal mehr die starken Auswirkungen der Erderwärmung im alpinen Raum. Es sei dringend notwendig den Klimawandel einzudämmen. „Alpine Lebensräume müssen zudem stärker geschützt werden und es müssen mehr Naturschutzmaßnahmen umgesetzt werden, etwa indem Schutzgebiete ausgeweitet werden“.