Eine Frau hält eine Vorlesung vor einem Laptop
AFP – INDRANIL MUKHERJEE
AFP – INDRANIL MUKHERJEE
Online-Studieren

Zwischen Not und Kreativität

Nach zwei Jahren Pandemie häuft sich die Zahl der Studenten und Studentinnen, die Universitäten nur im Onlinemodus kennen. Laptop-Müdigkeit, psychische Probleme und Finanznöte sind dabei gestiegen – aber auch Versuche, kreativ mit der Situation umzugehen, wie Beispiele an mehreren Wiener Unis zeigen.

Studierende und Lehrende sind sich einig: Die Online-Lehre kann die „normale“ Uni nicht ersetzen, höchstens ergänzen. Und doch muss man damit leben – wie lange noch, ist ungewiss. Manche Studierenden sind mittlerweile schon weit fortgeschritten und haben den normalen Uni-Betrieb nie kennengelernt.

Larissa Lojić beispielsweise studiert Politikwissenschaft an der Uni Wien im dritten Semester. Kennengelernt hat sie im Studium fast niemanden. In den ersten beiden Semestern hatte sie nur Online-Veranstaltungen. Begonnen hatte das nun zu Ende gehende dritte Semester für sie relativ vielversprechend – vier Mal hatte sie Veranstaltungen auf der Uni, doch dann stellte man wieder auf online um.

Zoom-Müdigkeit

„Die Vernetzung passiert ja nach den Seminaren und Kursen, wenn man noch mal kurz tratscht oder darüber diskutiert, was gerade Thema war. Das passiert jetzt halt einfach nicht, weil niemand noch Lust hat, im Zoom zu bleiben danach, wenn alle einfach schon so müde sind davon“, so Lojić.

Gerade in einem Fach wie Politikwissenschaft sei das Kommunizieren nebenbei aber ein wesentliches Element des Studierens, ist sie überzeugt. Zuhause vor dem Laptop fühlt sie sich oft einsam und verloren. „Dort bist nur du und dein Laptop“, bringt sie es auf den Punkt.

Universitätsleben nur in Bibliothek und Kantine

„In den ersten beiden Semestern bin ich trotzdem oft zur Uni gefahren, habe mich in die Bibliothek gesetzt und dort gelernt. Einfach, um ein bisschen das Gefühl zu haben, dass ich wirklich eine Studentin bin“, erklärt Lojić.

Auch Jakob Krameritsch, Kulturwissenschaftler an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, unterrichtet momentan nur noch online. Die geringe Teilnehmerzahl von 15 bis 50 Studierenden in seinen Kursen macht ein Mindestmaß an Kennenlernen möglich, er setzt vor allem auf Gruppenarbeit. „Gleichzeitig gehen aber auch sehr viele Informationsformen und Kommunikationsvarianten verloren. Man sieht die Körper nicht im Raum, keine Gestiken, keine Mimik, man hat nicht so ein Gefühl und so einen Sinn für die Gruppe“, meint Krameritsch.

Studieren heißt Zusammensein

Auch er ist der Meinung, dass der Universität durch den Online- Betrieb viel verlorengeht: „Also wenn ich an mein eigenes Studium denke – wo habe ich da viel gelernt? Sicherlich auch in Lehrveranstaltungen, aber den Großteil habe ich durch andere Studierende gelernt, die mich auf dies oder das hingewiesen haben oder Interesse für das oder jenes geweckt haben. Studieren heißt vor allem auch mit anderen Kolleginnen zusammen zu sein und zu diskutieren, über gemeinsame Dinge nachzudenken.“

Das sei etwas, das online nicht oder nur sehr schwer zu erreichen wäre. Die Konzentration sei vor dem Laptop schlechter, die Motivation geringer. Das bestätigt auch Giovanna, die im 7. Semester an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien studiert und den Vergleich zwischen Online- und Präsenzlehre zieht. „Statt einer mündlichen Übung hat man halt dann nur online eine Art Vorlesung. Man bereitet sich dann auch oft weniger auf diese Übungen vor, weil es vielleicht dann doch nicht so gefragt wird“.

Besonders Anfängerinnen betroffen

Sie habe Glück gehabt, weil in ihrem jetzigen Studienabschnitt viele praktische Übungen vorgesehen seien und die Universität versuche, so viel wie möglich davon auch stattfinden zu lassen. Derzeit habe sie etwa 20 Prozent Anwesenheit. Andere Studierende an ihrer Universität hätten aber weit weniger Anwesenheit und gerade die Studienanfängerinnen tun ihr besonders leid.

„Was ich auch mitbekommen habe, ist, dass die Erstsemester Schwierigkeiten haben, einfach durch diese fehlenden sozialen Interaktionen“, erzählt sie. „Die kennen sich nicht. Da gab es keine Ersti-Treffen, die wurden gleich von Anfang an ins kalte Wasser geworfen, online. Da ist es natürlich nicht so einfach wie bei uns, wo du gleich mal eine Gruppe hast und das Ganze mehr oder weniger dann gemeinsam angehst.“

Isoliert zu werden als Studienanfängerin, das sei fatal, findet auch Larissa Lojić : „Ich habe keine Ahnung, wie studieren ist ohne Corona." Beim Lernen sei sie oft unsicher, ob sie das richtige und auf die richtige Art lerne und ob ihr Wissenstand der richtige sei. „Ich glaube, dass Studierende oft dieses Gefühl haben, weil halt Uni oft abstrakt ist, aber es ist etwas anderes, wenn man sich in einem Raum umschaut und jeder ein bisschen verwirrt dreinschaut“. Sie aber klappe nur ihren Laptop zu und fühle sich manchmal sehr verloren.

Studierende gehen eigene Wege

Einige Studierende trotzen der Online-Lehre auf kreative Weise. Sie treffen sich in privaten Lerngruppen, oder nehmen ihre Laptops mit an die Uni, wo sie zwar einsam, aber dafür gemeinsam den Online-Vorlesungen lauschen und anschließend gemeinsam die Uni-Kantine besuchen.

Wer einmal versucht hat, sich bei so manchem schlecht gemachten, langatmigen Online-Vortrag über mehrere Stunden zu konzentrieren, gerät bald in Versuchung, sich die Veranstaltung nicht live anzusehen, sondern später nachzuschauen, und zwar im Schnelldurchgang. Nicht selten stellen die ProfessorInnen auch online Vorlesungen zur Verfügung, die schon vor einem Jahr oder noch früher aufgenommen worden sind. Gerade bei Einführungsveranstaltungen klingt das plausibel, für die Studierenden ist es aber oft fad.

Finanzielle und psychische Probleme werden mehr

Für die angehende Veterinärmedizinerin Giovanna ist die Online-Lehre trotz allem vorteilhaft, denn sie wohnt in Niederösterreich. Für viele andere ist die Einsamkeit ein großes Problem, so Keya Baier von der Österreichischen Hochschülerschaft. Die psychischen Beratungsstellen für Studierende seien völlig überlaufen. Und immer mehr rutschten außerdem in die Armut.

„Studierende verlieren Jobs, werden in Kurzarbeit geschickt oder können gar nicht erst anfangen zu arbeiten, können keine Praktika machen, und auch die Eltern von Studierenden, die vielleicht unterstützt haben, haben vielleicht jetzt nicht mehr so die Möglichkeit.“

Die ÖH präsentiert am Freitag ihren dritten Corona-Härtefonds mit einem Budget von 500.000 Euro. Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung schießt knapp die Hälfte dazu, für die ÖH allerdings eher ein Tropfen auf den heißen Stein.

„Es wurden andere Branchen mit Milliarden unterstützt, und für die Studierenden war kaum was da. Aus unserer Sicht braucht es dringend vom Staat finanzierte Überbrückungshilfen für Studierende“, so Keya Baier. Ab Montag können Studenten und Studentinnen in Not bis zu 1.000 Euro finanzielle Unterstützung bei der ÖH beantragen.