Studentin sitzt in ihrer Wohnung vor dem Laptop
SolisImages – stock.adobe.com
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Videomaterial

Wie gut sich Lernen beschleunigen lässt

Nicht erst seit der CoV-Pandemie absolvieren viele Studierende ihre Vorlesungen nicht mehr live, sondern als Aufzeichnung – um Zeit zu sparen gern in doppelter Geschwindigkeit oder noch schneller. Experimente zeigen, dass der Lernerfolg – bis zu einem bestimmten Punkt – kaum unter dem Tempo leidet.

Das mediale Angebot ist in den letzten Jahren explodiert. Um trotzdem nichts zu versäumen, konsumieren vor allem jüngere Menschen heute einfach in höherem Tempo. D.h., sie schauen z.B. Serien und Youtube-Videos gern im Schnellvorlauf. Diesen Trend gibt es nicht nur beim Unterhaltungsprogramm. Auch beim Lernen versuchen manche, auf diese Weise wertvolle Zeit zu sparen, beispielsweise Studierende.

Seit einiger Zeit bieten viele Lehrende weltweit ihre Vorlesungen auch in aufgezeichneter Form an. Die CoV-Pandemie hat diesen Trend natürlich weiter verstärkt. Viele Lehrveranstaltungen wurden und werden ohnehin nur online abgehalten, der zusätzliche Aufwand für eine Aufzeichnung ist gering.

Für Studentinnen und Studenten hat das auch Vorteile: Sie können das Material sichten, wann und wie sie wollen. Viele versuchen den individuellen Lernprozess durch ein höheres Abspieltempo zu optimieren. Ein Phänomen, das auch den Forscherinnen und Forschern um Alan Castel von der University of California, Los Angeles aufgefallen ist. In einer Stichprobe von 123 Studierenden ihrer Universität gaben 85 Prozent an, dass sie Videokurse beschleunigt laufen lassen.

Begrenzte Aufnahmefähigkeit

Wie gut die vermeintliche Optimierung funktioniert, sei allerdings nicht klar, schreiben sie in ihrer kürzlich im Fachmagazin „Applied Cognitive Psychology“ erschienenen Studie. Denn die Kapazität des Arbeitsgedächtnis – dort werden neue Inhalte zwischenzeitlich abgespeichert, bevor man sie sich dauerhaft merkt – sei begrenzt. Ein Zuviel an Informationen, besonders bei komplexen Zusammenhängen, könnte den Lernprozess anstatt zu beschleunigen letztlich sogar verlangsamen.

Das durchschnittliche Sprechtempo betrage im Englischen etwa 150 Wörter pro Minute, im Deutschen sind es im Schnitt 90 bis 120. Laut früheren Studien könne man das Tempo beim reinen Zuhören auf etwa 275 steigern – also ungefähr verdoppeln. Darüber hinaus werde es schwierig mit dem Verstehen, heißt es in der Studie. Kommt ergänzendes visuelles Material dazu – wie es auch bei vielen Vorlesungen der Fall ist – hilft das beim Verständnis. Insgesamt gebe es jedoch widersprüchliche Ergebnisse, ob und inwieweit eine Beschleunigung beim Lernen hilft. Mit Experimenten hat das Team um Castel nun versucht, diese Fragen zu klären.

Durch Tempo kaum verschlechtert

Beim ersten Experiment wurden 231 Studierende in vier Gruppen für unterschiedliche Abspielgeschwindigkeiten geteilt: Normaltempo, eineinhalbfache, doppelte und zweieinhalbfache Geschwindigkeit. Das Unterrichtsmaterial bestand aus zwei Videovorlesungen: eine zum Römischen Reich und eine zu Immobilienbewertungen, Dauer jeweils etwa eine Viertelstunde, zu sehen waren der oder die Vortragende und Präsentationsfolien.

Direkt danach mussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwei Tests mit jeweils 20 Multiple Choice- oder Ja/Nein-Fragen ablegen. Nach einem Video in normalem Tempo wurden im Schnitt 26 der 40 Fragen richtig beantwortet, bei eineinhalbfachem und doppeltem Tempo waren es 25, beim schnellsten Abspielmodus nur 22 richtige Antworten. Eine Woche später mussten die Studierenden weitere Tests absolvieren. Nun waren jeweils 24, 21 bzw. 20 von 40 Fragen richtig. Also auch bei höherem Tempo waren die Inhalte noch recht gut in Erinnerung.

Lernstrategien durch Tempo

In weiteren Experimenten kombinierten die Forscherinnen und Forscher verschiedene Abspielvarianten. Dabei zeigte sich unter anderem, dass jene Studentinnen und Studenten, die die Videos zweimal hintereinander in doppelter Geschwindigkeit angesehen hatten, bei den anschließenden Tests genauso gut abschnitten wie jene, die sie einmal in Normaltempo gesehen hatten.

Als besonders effektiv stellte sich folgende Lernstrategie heraus: Das Video in doppelter Geschwindigkeit ansehen und nach einer Woche – kurz vor dem Test – noch einmal in doppeltem Tempo. Die Teilnehmer waren besser als jene, die das Video zu Beginn nur einmal gesehen hatten. Auch die Reihenfolge der Geschwindigkeiten machte einen Unterschied: So war es effizienter ein Video zuerst in Normaltempo und erst später beschleunigt anzusehen als umgekehrt.

Insgesamt waren die Forscher sehr überrascht, wie gut die Studierenden den Stoff trotz höherem Abspieltempo behalten konnten. „Studenten können tatsächlich Zeit sparen und effizienter lernen, vorausgesetzt sie nutzen die gesparte Zeit für zusätzliches Lernen oder Üben“, meint Erstautor Dillon Murphy in einer Aussendung. Er und seine Kollegen raten daher das „Speedwatching“ gezielt und lernstrategisch einzusetzen, etwa als Wiederholung des Stoffes kurz vor der Prüfung, wenn die Vorlesung schon länger zurückliegt. Prinzipiell ließe sich das Tempo durch Training wahrscheinlich sogar noch steigern. Bei sehr schwierigen und komplexen Inhalten plädieren sie aber nach wie vor für Normalgeschwindigkeit.