Blutprobe mit Epstein-Barr-Virus
jarun011/stock.adobe.com
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Infektion

Virus mitverantwortlich für Multiple Sklerose

Manche Viren können schwere Erkrankungen wie etwa Krebs auslösen. Das weit verbreitete Epstein-Barr-Virus ist eines davon. Eine Untersuchung von Millionen Blutproben erhärtet nun den Verdacht, dass es auch für Multiple Sklerose mitverantwortlich sein könnte.

Mehr als 90 Prozent aller Menschen infizieren sich im Lauf ihres Lebens mit dem Epstein-Barr-Virus. Vor allem in den ersten Lebensjahren verläuft die Infektion meist völlig symptomlos. Jugendliche und junge Erwachsene leiden häufiger unter Fieber, Müdigkeit, Halsschmerzen – Symptome des Pfeifferschen Drüsenfiebers, auch bekannt als „Kusskrankheit“, da sich das Virus über Körperflüssigkeiten verbreitet.

Wie alle Herpesviren bleibt Epstein-Barr dauerhaft im Körper. Seit seiner Entdeckung in den 1960er Jahren wird der Erreger mit manchen Krebserkrankungen, beispielsweise Lymphdrüsenkrebs (Morbus Hodgkin), in Zusammenhang gebracht. Mittlerweile kennt man auch andere Viren, die Krebs auslösen können bzw. eine Voraussetzung für eine Entstehung sind: z.B. humane Papillomviren für Gebärmutterhalskrebs – gegen diese gibt es heute eine Impfung.

Aber nicht nur Krebs, auch andere schwere und mitunter unheilbare Krankheiten könnten letztlich die Folge einer Viruserkrankung sein. Das Epstein-Barr-Virus gilt etwa als mögliche Ursache des chronischen Erschöpfungssyndroms – ein vergleichbarer Zusammenhang wird derzeit auch bei SARS-CoV-2 und „Long Covid“ diskutiert. Außerdem gibt es schon länger die Vermutung, dass Epstein-Barr auch bei Multipler Sklerose (MS) eine Rolle spielen könnten. Dafür liefert die soeben im Fachmagazin „Science“ erschienene Studie nach Ansicht vieler Experten die bisher umfassendsten Belege.

Wahrscheinliche Voraussetzung

Für die Arbeit wurden Blutproben von über zehn Millionen US-Militärangestellten untersucht. Diese werden in ihrer Berufslaufbahn jährlich mit einer Blutentnahme routinemäßig auf HIV getestet. Dabei haben die Forscherinnen und Forscher um Alberto Ascherio von der Harvard School of Public Health in Boston 801 Personen identifiziert, die im Lauf ihres Berufslebens mit Multipler Sklerose diagnostiziert wurden. Bis auf eine hatten am Ende auch alle Epstein-Barr-Antikörper im Blut. Am Anfang des Zeitraums waren 35 davon noch negativ gewesen.

Außerdem konnten die Studienautoren zeigen, dass bei den ursprünglich Epstein-Barr-negativen Personen anfänglich auch keine Biomarker für MS nachweisbar waren, nach der Infektion allerdings schon. „Die Studie macht es sehr, sehr wahrscheinlich, dass eine Infektion Voraussetzung für Multiple Sklerose ist“, so Wolfgang Hammerschmidt vom Helmholtz Zentrum München gegenüber dem deutschen Science Media Center zu den Studienergebnissen. Ob Epstein-Barr-Viren tatsächlich die Ursache oder der Treiber sind, bleibe aber offen. Leider sei in der Studie auch nicht zwischen einer symptomlosen Infektion und dem Pfeifferschen Drüsenfieber unterschieden worden. Denn letzteres erhöhe bekanntermaßen das MS-Risiko zusätzlich.

Andere Risikofaktoren

Für Roland Martin vom Universitätsspital Zürich liefert die neue Studie zwar umfassende Belege für den bekannten Risikofaktor, Epstein-Barr-Viren aber als Hauptursache für MS zu sehen, geht ihm zu weit. „Die Daten der vergangenen 20 Jahre zur Ursache der MS besagen, dass es einen komplexen genetischen Hintergrund gibt“, so Martin gegenüber dem Science Media Center. Laut dem MS-Experten haben neben den Genen vermutlich auch eine Reihe von Umweltfaktoren einen Einfluss auf die Krankheitsentstehung: niedriges Vitamin D, Rauchen, Fettleibigkeit im späten Kindes- beziehungsweise frühen Erwachsenenalter, Schichtarbeit beziehungsweise ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus sowie bestimmte Darmbakterien.

Eine Impfung wäre zwar nach Ansicht der Experten ein ideales Mittel, um den Risikofaktor Epstein-Barr-Virus zu eliminieren. Das sei nach derzeitigem Stand allerdings nicht sehr realistisch, erklärt Hammerschmidt. Denkbar wäre es aber, mit einem Impfstoff zumindest einen symptomatischen Verlauf – also Pfeiffersches Drüsenfieber – zu verhindern.

Auch Klemens Ruprecht von der MS-Ambulanz der Charité in Berlin lobt die gut gemachte Studie, betont aber: „Auch wenn eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus somit gewissermaßen eine notwendige Voraussetzung für die Entstehung einer MS darstellt, ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass bei Weitem nicht jeder Infizierte eine MS entwickelt.“ Man könne die Multiple Sklerose aber als eine seltene Spätkomplikation ansehen.