Impfstoff Corbevax
Max Trautner, Texas Children’s Hospital
Max Trautner, Texas Children’s Hospital
Coronavirus

Ein „Open Source“-Impfstoff will die Welt erobern

US-Forscherinnen und -Forscher haben einen Impfstoff entwickelt, der sicher, wirksam und günstig ist. Da „Corbevax“ patentfrei zur Verfügung gestellt wird, könnte er die ungleiche globale Impfstoffversorgung verbessern. In Indien ist die Produktion bereits angelaufen. Weitere Länder sollen folgen.

Der Impfstoff erfülle alle Kriterien der globalen Gesundheit, schreibt einer seiner Entwickler, Peter Hotez, auf Twitter: Seine Produktion kann relativ einfach auf Milliarden von Dosen skaliert werden, er ist sicher, leicht zu kühlen, und er gehört dem Süden, denn er wurde patentfrei entwickelt.

Dass der Impfstoff all diese Kriterien erfüllt, ist kein Zufall. Er wurde bewusst mit dem Ziel entwickelt die Impfstoffherstellung zu „entkolonialisieren“. Seit Jahren forscht man am Texas Children’s Hospital Center for Vaccine Development zu sogenannten vernachlässigten Tropenkrankheiten.

Bewährte und günstige Technologie

Beim nun entwickelten Covid-19-Impfstoff handelt es sich um einen proteinbasierten Impfstoff. Er enthält ein Protein von der Oberfläche des Coronavirus, das von gentechnisch veränderten Hefezellen produziert wird. Da auf ein Hefesystem zur Proteinproduktion zurückgegriffen wird, könne man den Impfstoff relativ günstig herstellen, erklärt der Virologe Florian Krammer. So sei der ebenfalls proteinbasierte Novovax-Impfstoff im Vergleich dazu teurer, da für die Proteinproduktion auf Insektenzellen zurückgegriffen wird.

„Der andere große Vorteil ist, dass dieses Protein recht stabil ist“, sagt Krammer, der an der Icahn School of Medicine forscht. Man müsse den Impfstoff nicht einfrieren, sondern könne ihn bei vier Grad Celsius lagern. Zudem habe man sehr viel Erfahrung mit dieser Technologie. Auch der Hepatitis B-Impfstoff beruhe darauf, ebenso wie ein HPV-Impfstoff.

Impfstoff Corbevax
Max Trautner, Texas Children’s Hospital
Peter Hotez und Kollegin vom Texas Children’s Hospital

Produktion in Indien angelaufen

Um rund drei Dollar pro Dosis will das indische Pharmaunternehmen Biological E. den Impfstoff unter dem Namen Corbevax auf den Markt bringen. 150 Millionen Dosen wurden bereits produziert. Ab Februar sollen monatlich weitere 100 Millionen dazukommen. Ende Dezember vergangenen Jahres haben die indischen Behörden dem Impfstoff eine Notfallzulassung erteilt, nachdem der Hersteller die Daten der Phase drei seiner klinischen Studien vorgelegt hatte.

Veröffentlicht wurden die Daten bisher jedoch nicht. Weshalb man sich, was die Wirksamkeit angeht, derzeit auf die Herstellerangaben verlassen muss. In den Vergleichsstudien zeige der Impfstoff eine besser Wirksamkeit als das von der Universität Oxford entwickelte Vakzin von AstraZeneca, das in Indien unter dem Namen Covishield produziert wird – zumindest was die Wuhan- und die Delta-Varianten des Coronavirus betrifft. Über die Wirksamkeit gegen Omikron könne man derzeit noch nichts sagen.

Potenzial einer gerechteren Impfstoffverteilung

Sollte sich die Wirksamkeit bestätigen, hätte der Impfstoff auf Grund seiner einfachen und günstigen Produktion das Potenzial, die globale Impfstoffversorgung zu verbessern. Neben Indien haben auch Impfstoffhersteller in Botswana, Indonesien und Bangladesch bereits die Rezeptur erhalten.

Zwar hätten die reichen Länder viel Geld in die Impfstoffentwicklung investiert, räumt Jürg Utzinger, Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public Health Instituts ein. Da die Pandemie aber nur global bekämpft werden kann, brauche es einen neuen Mechanismus für die Impfstoffverteilung. Über bilaterale Verträge hätten sich die Industrienationen den Großteil der Impfdosen gesichert. „Das war fast anarchistisch.“

Globale Verteilmechanismen, wie sie etwa die Covax-Initative vorsieht, müssten zukünftig verpflichtend sein, sagt der Epidemiologe. „Eine Pandemie ist eine globale Herausforderung. Wir müssen sie auch global lösen.“

Diversifizierung der Impfstoffproduktion

Indien gilt als Apotheke der Welt. Tausende Pharmafirmen sind am Subkontinent beheimatet. Damit gehe auch ein großes Risiko einher, sagt Jürg Utzinger. Als das Land im vergangenen Frühjahr hart von einer Coronavirus-Infektionswelle getroffen wurde, stellte man den Export von Impfstoff ein.

Durch den patentfreien Impfstoff, der zudem noch einfach herzustellen sei, bestehe die Chance, die Impfstoffproduktion stärker zu diversifizieren und auch in anderen Ländern, auch am afrikanischen Kontinent, Produktionsstätten zu etablieren. „Längerfristig müssen wir aber auch die besten Technologien in die ärmsten Länder bringen“, sagt Utzinger. Die mRNA-Impfstofftechnologie hätte nämlich großes Potenzial; auch im Kampf gegen Malaria.

Schwierige Finanzierung eines „Impfstoffes für alle“

Die Entwicklung des texanischen „Open Source“-Impfstoffes wurde durch private Gelder finanziert. Man habe sich an private Philanthropen gewandt, da der Staat kein Interesse an der Entwicklung des Impfstoffes hatte, sagte Peter Hotez gegenüber NPR. Man sei so fokussiert auf Innovation gewesen, dass sich niemand für einen kostengünstigen, leicht handhabbaren Impfstoff interessierte, der auf einer gut etablierten Impfstofftechnologie beruhte.

Eine Erfahrung, die auch Florian Krammer teilt, der selbst an der Entwicklung eines „Impfstoffes für alle“ beteiligt ist, der kostenlos, unter humanitärer Lizenz, an Hersteller in den Ländern Vietnam, Thailand und Brasilien weitergegeben wurde und dort derzeit in klinischen Studien erprobt wird. „Von den großen Fördermengen, die manche Firmen bekommen haben, können wir nur träumen“, sagt der Forscher. Weshalb die Entwicklung dieser einfachen und günstigen Impfstoffe auch länger dauere. „Man hätte das alles auch Warp Speed machen können, hätte es die Fördermenge und den politischen Willen gegeben. Aber das war eben nicht der Fall.“