Eine Frau wird in den Oberarm geimpft
dpa-Zentralbild/Hendrik Schmidt
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Viele Nebenwirkungen nur Placeboeffekt

Ermüdung, Kopfschmerzen, Fieber – die Liste an möglichen, eher leichteren Nebenwirkungen nach einer Covid-19-Impfung ist lang. Daten aus Zulassungsstudien zeigen nun, dass auch jene, die nur einen Scheinwirkstoff erhalten hatten, häufig darunter litten. Laut den Forschern könnten daher bis zu drei Viertel der leichteren Nebenwirkungen reine Placeboeffekte sein.

Nicht alle Skeptiker halten Impfungen für überflüssig, schädlich oder gar ein Instrument heimlicher Mächte. Viele haben einfach nur Angst, z.B. vor Nebenwirkungen. Wie die Autoren um Julia Haas vom Beth Israel Deaconess Medical Center (BIDMC) in der soeben im Fachmagazin „JAMA Open Network“ erschienenen Studie schreiben, sei das nicht nur bei den Covid-19-Impfstoffen, sondern auch bei vielen anderen Impfungen – wie z.B. der Influenzaimpfung – ein wesentlicher Grund, der Menschen vom präventiven Stich abhält.

Auf der anderen Seite wisse man vor allem aus Medikamentenstudien, dass auch in der Placebo-Gruppe – also bei jenen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die im Rahmen von Zulassungsstudien nur Scheinpräparate zu sich nehmen – sehr viele Nebenwirkungen auftreten können. Wenn wirkungslose Substanzen negative Wirkungen nach sich ziehen, nennt man das – analog zum Placeboeffekt – auch Nocebo-Effekt. Vermutlich werde er durch Ängste und bestimmte Erwartungshaltungen ausgelöst, schreiben die Forscherinnen und Forscher.

Bei Impfungen sei das Phänomen noch kaum systematisch untersucht. „Die systematische Auswertung von Nocebo-Effekten bei Impfungen ist wichtig, besonders weil Sorgen rund um Nebenwirkungen viele bei der Impfung zögern lassen“, erklärt Haas dazu in einer Aussendung. Für die Überblicksarbeit hat sie nun mit ihrem Team Daten von mehr als 45.000 Probanden und Probandinnen aus zwölf Covid-19-Impfstoffstudien in dieser Hinsicht analysiert. Erfasst wurden dabei Studien zu mRNA-Impfstoffen sowie vektor- und proteinbasierten Vakzinen. Bei der Analyse ging es nicht um schwerwiegende Nebenwirkungen wie etwa die seltenen Fälle von Myokarditis, sondern um allgemeine, oft unspezifische Beschwerden.

Unspezifische Beschwerden häufig

Tatsächlich berichteten auch viele Placebo-Empfänger von solchen unspezifischen Symptomen: Mehr als ein Drittel (35,2 Prozent) meldete nach der ersten Dosis zumindest eine Nebenwirkung, die das allgemeine Befinden beeinträchtigt hat, wie etwa Fieber oder Übelkeit. Am häufigsten litten sie unter Kopfschmerzen (19,6 Prozent) und Erschöpfung (16,7). Mehr als 16 Prozent spürten mindestens eine lokale Nebenwirkung, etwa Schmerzen an der Einstichstelle oder Schwellungen.

In den Impfstoffgruppen waren erwartungsgemäß mehr Nebenwirkungen aufgetreten: Bei 46 Prozent war das ganze Befinden beeinträchtigt und zwei Drittel berichteten von einem lokalen Missempfinden. Auch beim echten Wirkstoff waren unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen und Müdigkeit am häufigsten.

Nocebo-Effekt auch bei Wirkstoff

Es sei gut möglich, dass aufgrund einer bestimmten Erwartungshaltung oder erhöhter Aufmerksamkeit alltägliche Empfindungen für Nebenwirkungen gehalten werden, schreiben die Studienautoren. Infolgedessen gebe es auch in den Impfstoffgruppen Nocebo-Effekte. Laut den statistischen Berechnungen könnten sogar drei Viertel (76 Prozent) der allgemeinen und etwa ein Viertel der lokalen Nebenwirkungen nach der ersten Dosis in den analysierten Covid-19-Studien auf einen Nocebo-Effekt zurückzuführen sein.

Nach der zweiten Dosis sanken die allgemeinen Nebenwirkungen in den Placebo-Gruppen auf 32 Prozent, die lokalen auf zwölf. In den Impfstoffgruppen stieg die Quote der gemeldeten allgemeinen bzw. lokalen Nebenwirkungen hingegen auf 61 bzw. 73 Prozent.

Wie die Forscherinnen und Forscher berechnet haben, war nur mehr die Hälfte der Nebenwirkungen auf einen Nocebo-Effekt zurückzuführen. Vermutlich hat das Immunsystem bei den allermeisten stärker auf die zweite Dosis reagiert, heißt es in der Studie. Auch die allgemeine Erwartungshaltung könnte sich nach der ersten Dosis verändert haben.

Gezielte Information

Wie die Forscherinnen und Forscher betonen, könnte die umfassende Liste – an oft sehr unspezifischen – Nebenwirkungen auf den Aufklärungsbögen die Nocebo-Rate noch weiter erhöhen. Dennoch sei es ethisch absolut notwendig, die Impfwilligen umfassend über alle theoretisch möglichen Nebenwirkungen aufzuklären.

Am besten wäre es aber grundsätzlich auch über mögliche Placebo- oder Nocebo-Effekte zu informieren; etwa auf der Einverständniserklärung von Studienteilnehmern. Um einer ängstlichen Erwartungshaltung entgegenzuwirken, plädieren Haas und Co. außerdem dafür, vor einer Impfung darauf hinzuweisen, dass auch die Möglichkeit besteht, dass man danach gar nichts spürt.