Negative aus dem KZ Mauthausen von Francisco Boix
ORF/13 Productions/Arte France/Francesc Boix
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Zeitgeschichte

Wie die KZ-Mauthausen-Bilder bewahrt wurden

Von keinem KZ gibt es so viele Bilder wie aus Mauthausen. Auf Tausenden Fotos hatte die SS ihre Verbrechen dokumentiert. Mutige Häftlinge schmuggelten die Negative aus dem Lager. Die couragierte Nazi-Gegnerin Anna Pointner versteckte sie. Nach der Befreiung wurden diese Bilder zum wichtigen Beweismaterial bei den Nürnberger Prozessen.

Es sind grauenvolle Bilder. Sie zeigen die Arbeit der Häftlinge im Steinbruch, Hinrichtungszeremonien, erzwungene Selbstmorde, die Gaskammer. Auch Besuche von Nazi-Größen wie Albert Speer oder Ernst Kaltenbrunner hielt die SS fest.

Sendungshinweis

„Universum History“: „Widerstand im KZ – Der Fotograf von Mauthausen“, Fr. 21. Jänner, 22.35 Uhr, ORF2

„Es sind wertvolle Dokumente, weil sie den Blick der SS auf ihr Tun und ihre Umgebung zeigen, und Schlüsse zulassen, was im Fokus des Wachpersonals bzw. des Erkennungsdienstes war“, analysiert die Historikerin Martina Gugglberger vom Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte der Johannes Kepler Universität, Linz. Dass es inszenierte Bilder aus der Perspektive der Täter sind, müsse immer bedacht werden.

Fotos aus dem KZ Mauthausen von Francisco Boix
ORF/13 Productions/Arte France/Francesc Boix
Eines der Fotos: Krematorium in Mauthausen

Francisco Boix – der Fotograf von Mauthausen

Francisco Boix war 20 Jahre alt, als er 1941 nach Mauthausen verschleppt wurde. Der in Barcelona geborene Katalane war gelernter Fotograf und wurde als solcher dem Erkennungsdienst der SS zugewiesen. Täglich war er mit den Fotografien der Gräueltaten konfrontiert. Er beschloss, die Negative in Sicherheit zu bringen, um die Täter später überführen zu können.

Internierungsfoto von Francisco Boix im KZ Mauthausen
ORF/13 Productions/Arte France

Francisco Boix

Als ehemaliger Spanienkämpfer hatte er Erfahrung mit der Organisation von Widerstand. Zwei Jahre lang versteckten Boix und einige andere Häftlinge die Negative im Lager und schmuggelten sie nach und nach mit Hilfe der Zwangsarbeiter hinaus. Draußen half ihnen Anna Pointner.

Die kleine Geste des Widerstands

„Auf dem Weg zum Steinbruch haben wir jeden Tag bei einem Haus gesehen, wie jemand vorsichtig an den Vorhängen im Fenster zieht. Anna Pointner hat uns beim Vorbeigehen zugesehen und uns ein kleines bisschen gewunken“, erinnert sich ein Zeitzeuge in der „Universum History“-Doku „Widerstand im KZ – Der Fotograf von Mauthausen“.

Den jungen Zwangsarbeitern aus Mauthausen, die für die Poschacher Granitwerke schuften mussten, gab dieses Zeichen Mut und Hoffnung. Ein winziges Zeichen – doch Anna Pointner riskierte durch diese Geste ihr Leben. Und erst recht durch das, was sie später tat.

Wer war Anna Pointner?

Geboren wurde Anna Pointner 1900 in eine Steinarbeiterfamilie in Mauthausen. 1920 heiratete sie den Eisenbahner Michael Pointner. Die beiden waren Gegner des Nationalsozialismus und Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei.

Anna Pointner
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Anna Pointner

Das Arbeitskommando spanischer Zwangsarbeiter aus dem KZ-Mauthausen kam auf dem Weg zu den Poschacher Granitwerken bei ihrem Haus vorbei. Sie nahm Kontakt auf. Als die jungen Männer für die Widerstandsgruppe um Boix die Negative nach draußen schmuggelten, vertrauten sie sie Anna Pointner zum Verstecken an.

„Sie hat einen Stein aus einer Mauer genommen, die Päckchen hineingelegt und den Stein darauf. Wir haben sie gefragt, ob sie weiß, was sie riskiert und dass wir alle ins Krematorium kommen könnten, aber sie meinte, es sei schon okay, sie übernehme die Verantwortung“, erzählt Zeitzeuge Ramiro Santisteban. Ende 1944 befand sich bereits ein Teil der 20.000 geretteten Negative bei Anna Pointner. Im Jänner 1945 begann die SS, Fotos und Dokumente zu verbrennen.

Der Versuch, anständig zu bleiben

Widerstand gegen den Nationalsozialismus wurde im deutschsprachigen Raum bis in die 1960er-Jahre in erster Linie als organisierter militärischer oder politischer Widerstand definiert, erklärt Historikerin Martina Gugglberger. Handlungen, die nicht in dieses enge Raster passten, seien lange weder erforscht noch gewürdigt worden.

Der Historiker Karl Stadler definierte Widerstand bereits damals als „jegliche Opposition im Dritten Reich – auch wenn es sich um den vereinzelten Versuch handelt, anständig zu bleiben.“ Seit den 70er, 80er Jahren sind auch Aktionen wie die Verweigerung des Hitlergrußes, ein Rückzug in die „innere Emigration“, oder das vorsichtige Winken hinter dem Vorhang als Widerstand anerkannt. Dieser breite Widerstandsbegriff liegt auch dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands zugrunde.

Beweismaterial in Nürnberg

Francisco Boix konnte nach der Befreiung nicht nach Spanien zurück, wo nach wie vor das Franco-Regime herrschte. Mit Hilfe kommunistischer Franzosen emigrierte er nach Paris. Im Juli 1945 publizierte endlich eine kommunistische Zeitschrift in Frankreich seine Fotos – die Öffentlichkeit erfuhr von den Gräueltaten in Mauthausen.

1946 war Boix Zeuge bei den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen. Dank der Beweisfotos wurden 58 der 61 Angeklagten verurteilt. Auf jedem Bild hatte er Datum der Aufnahme, Namen der Täter, Informationen zu Opfern und Zweck der Aufnahme notiert. Boix starb 1951 an den Spätfolgen seiner Lagerhaft – kurz vor seinem 31. Geburtstag. Vier Jahre hatte er im KZ Mauthausen überlebt.

Häftlinge des Lagers Mauthausen mussten als Zwangsarbeiter in den Steinbrüchen arbeiten
ORF/13 Productions/Arte France
Häftlinge des Lagers Mauthausen mussten als Zwangsarbeiter in den Steinbrüchen arbeiten

Das weibliche Gesicht des Widerstands

Wie das Beispiel Anna Pointner zeigt, waren Frauen genauso wie Männer an allen Widerstandsformen beteiligt. Im politischen Widerstand seien sie jedoch, den zeitgenössischen Geschlechterrollen gemäß, kaum in führender Position tätig gewesen, sondern im Hintergrund, erzählt Historikerin Martina Gugglberger.

Sie leisteten zum Beispiel Kurierdienste, organisierten Verstecke und Lebensmittel, oder nutzten das Stereotyp der „unpolitischen Frau“ oder „Mutter“, um Widerstandshandlungen zu tarnen, so Gugglberger.

Warme Socken und gewaschene Wäsche

Beispiele für den Widerstand von Frauen sind im demnächst erscheinenden Buch „Widerstand und Zivilcourage. Frauen in Oberösterreich gegen das NS-Regime 1938-1945“ angeführt. Ursulinenschwester Kamilla (Margarethe Smolan, geb. 1907) etwa warf im Dezember 1940 aus einem Fenster des Klosters ein Paket mit selbst gestrickten Socken. Aus Mitleid mit den Kriegsgefangenen, die an einem „nasskalten“ Wintertag vor ihrem Fenster arbeiten mussten, wird sie später angeben. Ein französischer Kriegsgefangener fing es auf. Sie wurd denunziert und zu vier Monaten Gefängnis verurteilt.

Warnschild im KZ Mauthausen
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Warnschild in Mauthausen

Ein anderes Beispiel ist Elisabeth R. Sie war als 20-jährige 1941 im Linzer bischöflichen Gymnasium Petrinum als Dienstmagd in der Landwirtschaft tätig. Weil sie neben ihrer eigenen Wäsche auch die zweier polnischer, Kriegsgefangener reinigte, wurde sie zu KZ-Haft verurteilt. Auch sie sprach von Mitleid, weshalb sie auch die Wäsche der beiden Polen mitgewaschen und zum Teil auch geflickt habe. Sie verbüßte ihre Haft in den KZs Ravensbrück und Ausschwitz.

Interaktive Audioskulptur erinnert

Späte Würdigung sollen nun Frauen, die im Widerstand waren, durch eine interaktive Audioskulptur in Oberösterreich erfahren. Das Künstlerduo Sabrina Kern und Mariel Rodriguez hat mit ihrem Kunstprojekt einen von Land Oberösterreich und Kunstuniversität Linz ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen. Jeden Samstag um 5 vor 12 wird die Skulptur mit einem lauten Aufschrei an die Widerstandshandlungen von Frauen in der NS-Zeit und die Wichtigkeit von Zivilcourage und Demokratiebewusstsein aufmerksam machen. Aufgestellt werden soll sie im Sommer 2022 im Linzer Kulturquartier.