Eine Schulklasse beim Lernen
APA/HERBERT PFARRHOFER
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Bildung

Schleichende Privatisierung der Schulen

Schulen werden in vielen Ländern privat finanziert und wollen Gewinne machen: Das verschärft die Ungleichheit, warnt die UNESCO in ihrem aktuellen Weltbildungsbericht. In Österreich ist der Großteil des Bildungssektors in staatlicher Hand – doch Privatisierung kann auch schleichend erfolgen.

Der aktuelle Weltbildungsbericht, der am Donnerstag von der Österreichischen UNESCO-Kommission in Kooperation mit der ÖFSE präsentiert wird, widmet sich den sogenannten „nicht-staatlichen Akteuren im Bildungswesen“. Die Palette dieser Akteure ist groß und reicht hierzulande von konfessionellen Anbietern, etwa der katholischen Kirche, über Schulen mit bestimmten pädagogischen Konzepten (Montessori, Waldorf) bis zu profitorientierten.

Grenzen sind schwammig

Auch weltweit betrachtet sind Privatschulen sehr heterogen, schreibt die UNESCO. Manche von ihnen werden staatlich finanziert oder gemanagt, manche sind sogar in staatlichem Besitz, verhalten sich aber dennoch wie Unternehmen und verlangen etwa Schulgebühren. „Die Grenzen zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren sind schwammig“, so die UNESCO, das Ausmaß der Privatisierung ist zum Teil gar nicht bekannt. Wichtiger als die Eigentumsfrage sei deshalb jene, wie Schulen generell Qualität, Gleichheit und Inklusion sichern.

Gewinnorientierung weltweit verbreitet

Dennoch ein paar Zahlen: Laut dem Bericht besuchen weltweit 350 Millionen Kinder und Jugendliche nicht-staatliche Schulen. Etwa 40 Prozent aller Vorschulen und Kindergärten werden von privaten Einrichtungen betrieben, rund 20 Prozent aller Grundschulen und 30 Prozent aller Schulen im sekundären Bildungsbereich (Mittelschulen, AHS). In den vergangenen 30 Jahren ist der Anteil der Privaten stets gestiegen.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 20.1., 13:55 Uhr.

Nur rund ein Viertel aller Länder untersagen laut UNESCO ausdrücklich eine Gewinnorientierung von Grund- und weiterführenden Schulen. Diese stehe dem UNO-Ziel entgegen, allen Menschen zwölf Jahre lang eine kostenlose Schulbildung zu ermöglichen. Hohe Bildungskosten seien vor allem in den am wenigsten entwickelten Ländern ein Problem, die UNESCO warnte deshalb schon im Dezember vor einer zunehmenden Ungleichheit im Bildungssektor weltweit.

ABD0018_20170522 – WIEN – …STERREICH: THEMENBILD – Eine Volksschullehrerin unterrichtet am Dienstag 16. Mai 2017 in Wien in einer Offenen Volksschule (OVS) SchŸlerinnen und SchŸler einer Integrationsklasse. – FOTO: APA/HARALD SCHNEIDER
APA/Harald Schneider

Öffentlich heißt nicht unbedingt sozial

„Die privaten Angebote haben unterschiedliche Funktionen“, sagt der Bildungsforscher Lorenz Lassnigg vom Institut für Höhere Studien in Wien gegenüber science.ORF.at. „Manchmal dienen teure Einrichtungen direkt der sozialen Privilegierung und Unterscheidung. Aber oft bieten Privatschulen auch eine Kompensation für mangelnde oder zu selektive staatliche Einrichtungen, wenn auch meist mit einigen Kosten.“

Denn die Gleichung „öffentlich = inklusiv und sozial durchmischt“ stimme oft nicht. „Auch öffentliche Schulen tragen zur Segregation bei“, sagt Lassnigg. Langwierige Diskussionen besorgter Eltern über das „richtige Umfeld“ und die „richtige Schule“ für Tochter oder Sohn bezeugen das.

Schweden: Private öffentlich finanziert, aber inklusiv

In Österreich ist der Anteil der Privatschulen überschaubar, er liegt laut UNESCO-Statistik bei 13 Prozent. Die öffentliche Finanzierung der konfessionellen Privatschulen liege im internationalen Trend, sagt Lassnigg. „Die OECD empfiehlt das als bestes Modell.“ Der hohe Anteil an privaten Kindergärten wird oft vergessen.

Schweden ist noch einen Schritt weiter gegangen und hat schon vor dreißig Jahren die öffentliche Finanzierung profitorientierter Privatschulen ermöglicht. „Dadurch sind internationale Schulketten, zum Teil auch rein digitale, in den Markt eingetreten“, so Lassnigg. Damit das nicht zu mehr Ungleichheit führt, habe Schweden die Finanzierung an Bedingungen geknüpft. „An den öffentlich finanzierten Privatschulen dürfen keine zusätzlichen Beiträge der Eltern eingefordert werden, und es darf auch keine Auswahlverfahren für die Kinder geben“, so Lassnigg.

Dadurch sei eine stärkere soziale Segregation der Schüler und Schülerinnen vermieden worden – so wie von der Politik gewünscht. Schweden sei in dieser Hinsicht ein Vorbild für Österreich, denn hierzulande dürfen auch an den öffentlich finanzierten Privatschulen Schulgelder eingehoben werden – was die sozialen Unterschiede verstärke, so Lassnigg.

Eine Schülerin lernt mit technischen Hilfsmitteln wie Smartphone oder Laptop im elterlichen Wohnzimmer, da die Schulen in Österreich aufgrund der Coronaviruskrise geschlossen werden.
APA/ERWIN SCHERIAU

Schleichende Privatisierung: Von Digital bis PISA

Privatisierung an Schulen hat aber nicht nur etwas mit der Struktur der Einrichtung zu tun, sondern auch mit privaten Leistungen im Umfeld des Unterrichts. „Ein gutes Beispiel sind digitale Instrumente, die von Unternehmen stammen – gerade jetzt in der Pandemie“, sagt der Bildungsforscher. „Viele Firmen bieten Leistungen zuerst unentgeltlich im non-profit-Bereich an. Und wenn diese dann weit verbreitet sind, muss man sie bezahlen – und damit werden sie zur Quelle von Profit.“

Mittlerweile sei eine globale Bildungsindustrie entstanden, die derartige Leistungen anbietet. Weitere Beispiele sind Lehr- und Lernmaterialien und nicht zuletzt Schultests wie der bekannte PISA-Test. „Regierungen und Staaten kaufen in großem Stil bestimmte Testverfahren, etwa vom Educational Testing Service, das auch in die Entwicklung der PISA-Tests eingebunden war “, so Lassnigg, „Diese Vermischung von öffentlicher Politik und privaten Interessen hat im globalen akademischen Bereich zu starken Protesten gegen die OECD geführt“.

Folgen für die Demokratie

Globale Unternehmen, darunter auch börsennotierte, investieren in diese Industrie. Die Staaten kaufen diese Leistungen, und das schwächt das öffentliche System. Warum das zum Problem werden kann? Lorenz Lassnigg formuliert es so: „Bildung ist eines der wichtigsten Felder der Demokratie. Wenn nicht mehr die öffentliche Hand, sondern der Markt die Bildungspolitik bestimmt, hat das gesellschaftliche und politische Folgen.“

Er selbst hat seine Tochter übrigens an öffentlichen Schulen lernen lassen. „Weil Kinder ein breites Spektrum an sozialen Erfahrungen machen sollen – und auch ihre Eltern.“