Blutproben in einem Labor, ein Forscher greift nach einer Eprouvette
AFP – ATTA KENARE
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Pharmakogenetik

Mit Blutproben zur passenden Arznei

Nicht jeder Mensch reagiert gleich auf Medikamente, und das liegt nicht zuletzt am unterschiedlichen Erbgut. Sogenannte pharmakogenetische Bluttests können dabei helfen, geeignete Arzneien für alle zu finden. In Österreich werden sie bisher aber noch zu selten eingesetzt, kritisieren Experten.

Patientinnen und Patienten mit den für sie geeigneten Medikamenten zu versorgen, ist nicht leicht. Wie Arzneimittel wirken, hängt neben den Inhaltsstoffen und der verabreichten Dosis auch vom Stoffwechsel im Körper der Betroffenen ab. Besonders wichtig dafür ist die Leber, die medizinische Substanzen, Drogen, Giftstoffe und vieles mehr um- und abbaut.

„Die Verstoffwechselung der Leber unterscheidet sich aber von Person zu Person“, erklärt der Pharmakologe Markus Paulmichl gegenüber dem ORF. Bei Personen mit einem genetisch bedingten raschen Leberstoffwechsel können bestimmte Arzneimittel schneller abgebaut und ausgeschieden werden, wodurch sie in manchen Fällen weniger gut wirken. Andererseits können sich Arzneimittel bei Personen mit einem langsameren Leberstoffwechsel im Körper ansammeln und es kann unter anderem zu stärkeren Nebenwirkungen kommen.

Über- und Unterdosierungen verhindern

„Mit Hilfe der Pharmakogenetik wird es ermöglicht, jenes Medikament auszuwählen, das optimal für einen Patienten passt“, so Paulmichl. Sowohl Über- als auch Unterdosierungen von Medikamenten könnten so vermieden werden. Anhand einer Blutprobe wird dabei nach Genmutationen Ausschau gehalten, die sich auf die Verstoffwechselung der Medikamente auswirken.

„Aktuell stehen behandelnde Ärzte vor der Qual der Wahl, wenn es darum geht, wie sie ihre Patienten behandeln“, erklärt der Pharmakologe, der ergänzt: „Sehr oft ist es noch so, dass der Arzt jene Medikamente verschreibt, die er am besten kennt, und wenn sie nicht die erhoffte Wirkung zeigen, wird das nächste ähnliche Arzneimittel probiert.“ Mehrere Medikamente auszuprobieren, bis irgendwann das erwünschte Ergebnis erzielt wird, sei aber nicht der richtige Weg, so Paulmichl.

Er erklärt: „Ich habe keine Lust, dass an meinem Körper herumprobiert wird. Mit einer einfachen Blutuntersuchung wäre das nicht nötig.“ Nach der Analyse der Blutprobe im Labor werden den behandelnden Ärzten jene Medikamente aufgelistet, die mit der Genetik der Patienten harmonieren. „Die Ärzte müssen dann nur noch aus der Liste auswählen“, so Paulmichl.

Anwendung nach wie vor selten

Grundsätzlich sei die Disziplin der Pharmakogenetik keine neue. „Die ersten Publikationen zu dem Thema gab es schon in den 1970er-Jahren“, so Paulmichl. Bis heute seien pharmakogenetische Untersuchungen aber immer noch selten. In manchen Bereichen, wie etwa der Onkologie oder der Psychiatrie, sind sie bereits häufiger, der Pharmakologe würde sich aber ein flächendeckendes Angebot in Österreich wünschen.

Diesem Wunsch schließt sich auch Dan Rujescu an, der Leiter der klinischen Abteilung für Allgemeine Psychiatrie am AKH Wien: „Bei uns führen wir pharmakogenetische Untersuchungen ungefähr seit fünf Jahren durch und konnten schon sehr gute Ergebnisse damit erzielen.“ Gerade bei Medikamenten, die gegen Depression oder Stimmungsschwankungen helfen sollen, spiele die Genetik der Patientinnen und Patienten oft eine große Rolle.

Untersuchungsergebnisse lebenslang gültig

Hier komme es häufig vor, dass Arzneien nicht so wirken, wie sie eigentlich sollten, und die Suche nach geeigneten Medikamenten kann in manchen Fällen mehrere Monate dauern. „Pharmakogenetische Untersuchungen sind in Österreich zwar in den letzten Jahren häufiger geworden, von einer ausreichenden Versorgung sind wir aber noch weit entfernt“, so Rujescu.

Dabei würden die Vorteile einer solchen Untersuchung auf der Hand liegen. Rujescu erklärt: „Die Information, die wir daraus erhalten, ist statisch – das heißt, sie bleibt ein ganzes Leben lang gültig.“ Eine einzelne Untersuchung reiche daher aus, um auch bei künftigen Behandlungen geeignete Medikamente verschreiben zu können. Außerdem könne so das Leiden von Patienten verkürzt werden, was laut den Experten der größte Vorteil der pharmakogenetischen Untersuchung sei.

Krankenkassen und Ärzte gefragt

Dass die Untersuchungen in Österreich noch nicht flächendeckend verfügbar sind, habe mehrere Gründe. „Sie werden bis dato nicht von den Krankenkassen gedeckt, was natürlich viele Patientinnen und Patienten davon abhält, die Untersuchungen zu nutzen“, so Rujescu, der ergänzt: „Es wäre aber für den Staat kostengünstiger, diese Tests zu machen, als die oft monatelange Suche nach geeigneten Medikamenten zu finanzieren.“

Der Pharmakologe Paulmichl sieht dabei auch die Ärzteschaft in der Pflicht, sich weiterzubilden. Er erklärt: „Es gibt bereits einige Werkzeuge, um pharmakogenetische Untersuchungen häufiger durchzuführen – viele Ärztinnen und Ärzte kennen sich damit bis jetzt aber noch nicht gut genug aus und bleiben lieber dabei, ihre gewohnten Medikamente zu verschreiben.“

Wie das Röntgenbild?

In Zukunft sieht Paulmichl die Pharmakogenetik als einen Bereich an, der selbstverständlich zum Alltag in der Medizin dazugehört. Er vergleicht die Untersuchung mit dem Aufkommen des Röntgenbilds, weil es auch hier anfangs gedauert habe, bis die Methode flächendeckend verfügbar und in der Medizin angesehen war.

„So wie das Röntgenbild, glaube ich, wird in Zukunft auch die pharmakogenetische Untersuchung selbstverständlich sein“, so Paulmichl. Sowohl der Pharmakologe als auch Rujescu sehen in der Pharmakogenetik jedenfalls die Chance, leidenden Patientinnen und Patienten künftig zielgerichteter helfen zu können.