Alpengletscher
Bernd Ritschel – Tyrolia Verlag
Bernd Ritschel – Tyrolia Verlag

Schwund der Alpengletscher beispiellos

Das rasante Abschmelzen der Gletscher in den Alpen ist ein historisch außergewöhnliches Ereignis. Der derzeitige Masseverlust ist deutlich höher als der Schnitt der vergangenen 6.000 Jahre, wie Analysen zeigen.

Wie ein Forschungsteam der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Fachjournal „Scientific Reports“ zeigt, ist der derzeitige Masseverlust der Gletscher deutlich höher als der Schnitt der vergangenen 6.000 Jahre. Analysen von Eisbohrkernen und anderer Daten erlauben es den Gletscherforscherinnen und -forschern 6.000 Jahre in die Klimavergangenheit zu sehen.

Die 3.498 Meter hohe Weißseespitze liegt an der Grenze zwischen Tirol und Südtirol. Die Eiskappe des Gipfels sei aufgrund der begrenzten Eisbewegung dort die ideale Stelle für einen Vergleich von Klima und Massebilanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart. „Insgesamt gibt es hier noch zehn Meter Eis, dessen unterste Schicht etwa 6000 Jahre alt ist“, so die Gletscherforscherin Andrea Fischer vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW in einer Aussendung.

Eiskappe in zehn Jahren „komplett verschwunden“

Das Forscherteam rund um Fischer entnahm für die aktuelle Studie Eisbohrkerne von der Weißseespitze und analysierte diese. Sie kombinierten die Ergebnisse mit Daten aus anderen Quellen, etwa historische Aufzeichnungen und instrumentelle Messdaten, die in den Alpen bis 1770 zurückreichen, und zeigten so, „dass der derzeitige Masseverlust deutlich höher ist, als der Schnitt der vergangenen 6.000 Jahre“.

Ein Forscherteam entnimmt Eisbohrkerne von der Weißseespitze in Tirol.
ÖAW

Derzeit verliert der Gletscher der Weißseespitze im Schnitt 0,6 Meter Eis pro Jahr. Zwischen 1893 und 2018 sind in Summe rund 40 Meter Eis abgeschmolzen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rechnen damit, dass in etwa zehn Jahren die Eiskappe komplett verschwunden sein wird.

Gletschereis schmilzt im August

Erstmals durchgeführte meteorologische Beobachtungen an der Eiskappe zeigten, dass in den drei Jahren der Untersuchung der größte Teil der Akkumulation – also der Ablagerung von Schnee – zwischen Oktober und Dezember sowie von April bis Juni stattfand. Zwischen Jänner und März verhinderte allerdings Winderosion diese Schneeablagerung.

Die Schmelze fand zwischen Juni und September statt, wobei dies vor allem den frisch gefallenen Schnee betraf und das Gletschereis nur während kurzer Zeiträume, hauptsächlich im August, betroffen war. Doch heute würden schon wenige Tage Eisschmelze für eine negative Massenbilanzen mit einem vollständigen Verlust der jährlichen Akkumulation ausreichen, schreiben die Forscher. Solche Schmelzereignisse auf dieser Seehöhe seien in der Vergangenheit Einzelfälle gewesen.

„Wichtiges Archiv geht verloren“

Durch das Tauen der Gletscher geht „eines der wichtigsten Archive für extreme Klimaereignisse verloren“, so Fischer. In den Bohrkernen sieht man – ähnlich wie bei Jahresringen von Bäumen – helle Schichten mit lufthaltigem Wintereis und dunkle Schichten mit Staub, Ruß und organischen Ablagerungen von sommerlichen Schmelzereignissen. „Sehr dunkle Schichten weisen auf ungewöhnliche, mehrere Wochen lange Warmphasen hin.“

Solche im Eis gespeicherten Extremereignisse seien von enormem Interesse, weil speziell Ausreißer für die Sicherheit der Siedlungen in den Alpen auch in Zukunft ausschlaggebend sein werden. Die Daten aus den Bohrkernen sollen etwa dabei helfen, Modelle für künftige Hochwasserereignisse zu erstellen. Deshalb versucht das Forschungsteam so viele Bohrkerne wie möglich zu retten, bevor die Eiskappen weg sind, so die Gletscherforscherin. Das sei allerdings eine große Herausforderung, weil die Zielregionen oft unzugänglich sind und die Entnahme viele Ressourcen benötigt".