Eine der letzten Aufnahmen von Charles Darwin (Aufnahme ungefähr von 1878)
dpa/RICHARD MILNER ARCHIVE/A2800 epa Richard Milner / Handout
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Partnerwahl

So viel Sexismus steckt in Darwins Thesen

Charles Darwins Ideen zur Entstehung der Arten sind revolutionär gewesen, ohne seine Evolutionstheorie ist die heutige Biologie nicht denkbar. Der einflussreiche Naturforscher war aber auch ein Kind seiner Zeit. Wie sehr das viktorianische Weltbild und eine frauenfeindliche Grundhaltung seine Ansichten zur Partnerwahl bei Menschen und Tieren prägten, haben zwei Wissenschaftler analysiert.

Charles Darwins Bedeutung und Einfluss sind bis heute unstrittig. Dennoch hat das Image des berühmten Naturforschers und Begründers der Evolutionstheorie in den vergangenen Jahren ein paar Kratzer bekommen. Unter anderem wird kritisiert, dass er auch rassistische Thesen vertrat, zumindest war seine Haltung zum Thema gespalten: Denn einerseits betonte er die gemeinsame Abstammung aller Menschen und sprach sich gegen die Sklaverei aus, andererseits hielt er die „weiße“ aber doch für die überlegene „Rasse“.

Ganz und gar nicht ambivalent hingegen war seine Einstellung, was Frauen betrifft, schreiben die zwei Biologen Gil G. Rosenthal von der Universita di Padova und Michael J. Ryan von der University of Texas in einem im Fachmagazin „Science“ erschienenen Review: „In Darwins Weltsicht waren Frauen den Männern unterlegen, und zwar eindeutig.“ In „Die Abstammung des Menschen“ schreibe er das mehr oder weniger wortwörtlich: „…hence man has ultimately become superior to woman.“

„Zimperliche Beschreibung“

Im Mittelpunkt seines zweiten Hauptwerks steht unter anderem die sexuelle Selektion. Durch sie entstehen gut erkennbare Merkmale wie ein buntes Federkleid, Geweihe oder Vogelgesang – diese erhöhen laut Darwin den Fortpflanzungserfolg. Im Tierreich sind es in der Regel die Männchen, die ein auffälliges Äußeres haben bzw. Verhalten zeigen – die Auswahl aber treffen die Weibchen. Diese aktive weibliche Rolle bei der Partnerwahl erkannte bereits Darwin. Für die eigene Art – also für Menschen – ließ er sie allerdings nicht gelten, betonen die beiden Studienautoren.

Aber auch sein Blick auf tierische Paarungen sei von seiner frauenfeindlichen Weltsicht beeinflusst worden: Während Männchen in allen Farben und Formen auftauchen, sind Weibchen nach Darwins Ansicht mehr oder weniger uniform, sowohl was ihre Vorlieben als auch das Aussehen betrifft. Außerdem waren seine Beschreibungen sexueller Vorgänge oft beschönigend und fast „zimperlich“, weibliche Strategien oder Lust kamen darin nicht vor: Weibchen lassen sich von der Schönheit der Männchen blenden, und selbst bei Schmetterlingen endet die Balz mit einer „Eheschließung“.

Was ist Schönheit?

Alle „schmutzigeren“ Aspekte und die wechselseitige Natur von Sexualität habe Darwin ausgeklammert, auch im Tierreich; „Schönheit“ als treibende Kraft der Partnerwahl hingegen überschätzt, schreiben Rosenthal und Ryan. Abgesehen davon, dass das generell ein sehr subjektiver Begriff ist, wisse man heute, dass sich die Vorlieben selbst bei vielen Tieren ändern können, mit den Umweltbedingungen, der Ernährung, den Hormonen oder dem Alter.

Die eindimensionale Sicht auf die Dinge habe auch dazu geführt, dass Darwin tierische Verhaltensweisen außerhalb dieser Vorstellung lieber unter den Teppich gekehrt habe. Immerhin gebe es auch Tiere, bei denen die Partnerwahl wechselseitig abläuft oder bei denen die Männchen wählen – wie sollten sie das tun, wenn alle Weibchen identisch sind? Auch sexuelles Verhalten abseits der heterosexuellen Reproduktion habe er einfach ignoriert, genauso wie Hermaphroditismus.

Komplexe Partnerwahl

Erst seit den 1970er Jahren werde diese von der viktorianischen Weltsicht geprägte Schlagseite von Darwins Ideen nach und nach verwässert, unter anderem deshalb, weil sich die Rollenbilder in der Gesellschaft verschoben haben, es immer mehr Biologinnen gebe und Sexualität heute ganz anders thematisiert werde.

150 Jahre nach Darwin sei klar, dass Partnerwahl – auch bei Tieren – viel komplexer abläuft als in den Vorstellungen des Naturforschers. Die Mechanismen sind weitaus variabler, nicht nur zwischen Arten, sondern häufig auch zwischen einzelnen Individuen – was für das eine Weibchen attraktiv ist, kann für die jüngere Artgenossin sogar abstoßend sein, wie das etwa beim Seidenlaubvogel der Fall ist.

Ehe nichts Natürliches

Wenn er genauer hingesehen hätte, wäre Darwin auch aufgefallen, dass die finale Eheschließung in der Natur eigentlich nicht vorkommt. Vielleicht war er einfach zu gekränkt, um das niederzuschreiben, meinen die beiden Studienautoren. Männchen wie Weibchen paaren sich in der Regel mehrfach. Genetische Analysen zeigen, dass selbst bei vielen monogamen Vögeln der eine oder andere Nachwuchs anderweitig gezeugt wurde. Bei vielen promisken Arten entscheidet sich mitunter erst nach den Paarungen, wer bzw. welches Spermium das Rennen im Genitaltrakt macht.

Auch soziale Aspekte der Partnerwahl habe Darwin übersehen. Der „Sinn für Schönheit“ entwickle sich ja nicht im luftleeren Raum. Vorlieben werden nicht zuletzt auch vom sozialen Umfeld geprägt, den Eltern oder den Artgenossen. Wenn etwa ein potenzieller Partner von anderen für attraktiv gehalten wird, kann das die eigenen Einschätzungen schnell verändern.

Erfahrungen und Vorlieben

Außerdem machen Tiere ähnlich wie Menschen positive wie negative Erfahrungen und lernen dadurch – so können eben ganz unterschiedliche Vorlieben entstehen. Diese können sich jedoch unter bestimmten Umständen blitzschnell wieder ändern, etwa wenn Partner und Möglichkeiten knapp werden. So wisse man, dass die Ansprüche von Menschen auf Partnersuche im Laufe eines Abends in einer Bar sinken, je näher die Sperrstunde rückt. Ähnlich sei das bei manchen Fischen am Ende ihres Lebens.

Laut den Studienautoren hat die zunehmende gesellschaftliche Gleichberechtigung der Evolutionstheorie jedenfalls wesentliche wissenschaftliche Fortschritte beschert. So sei heute klar, dass Partnerwahl bei Tieren wie bei Menschen immer eine Entscheidung von mindestens zwei Individuen ist, die zudem von äußeren Einflüssen abhängt. Weibchen sowie Frauen haben dabei genauso viel bzw. wenig mitzureden wie Männchen und Männer.