Modellierung

Wie soziale Stabilität entsteht

Mit einem einfachen Ansatz versuchen Forscher den menschlichen Hang zu sozialer Stabilität zu beschreiben. Daten aus einem Online-Spiel zeigen: Wenn Menschen der einfachen Prämisse „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ folgen, stellt sich automatisch ein soziales Gleichgewicht ein.

Der Mensch ist ein Herdentier und bevorzugt üblicherweise stabile Beziehungen und vermeidet soziale Spannungen. Einer Theorie zufolge, mit der die Entstehung stabiler Gesellschaften beschrieben wird, bevorzugen Personen in ihren Beziehungen andere Personen mit ähnlichen Merkmalen. Zusammenfassen lässt sich diese Theorie der Homophilie mit dem Sprichwort „Gleich und Gleich gesellt sich gern“.

Eine zweite Theorie zur sozialen Stabilität stammt vom österreichischen Psychologen Fritz Heider (1896-1988). In seiner Balancetheorie schlug er das sogenannte „P-O-X-Modell“ vor, das die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen drei Personen beschreibt. Demnach sind solche Verbindungen ausgewogen, wenn sich alle drei Personen gut miteinander verstehen oder wenn sie der Regel „Der Feind meines Freundes ist auch mein Feind“ folgen.

Unausgewogen sind sie dagegen, wenn sich alle drei nicht riechen können, oder wenn sich zwei Freunde einer Person nicht verstehen. Empirische Untersuchungen hätten gezeigt, dass unausgewogene soziale Beziehungen in Gesellschaften sehr viel seltener sind als ausgewogene Beziehungen, schreiben die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Stefan Thurner, Leiter des Complexity Science Hub (CSH) Vienna, in einer Aussendung zu der nun im Fachjournal „PNAS“ erschienenen Studie.

Einfache Regel

Weil ihnen dieses Dreiecks-Konzept sehr kompliziert erschien, hat Erstautor Tuan Minh Pham mit seinen Kollegen vom CSH versucht, nur die Theorie der Homophilie in den Modellen anzuwenden. Dabei benötigen die Akteure nur Informationen über ihre lokalen Nachbarn im Netzwerk und keine – oft unrealistischen – Infos über Dreiecksbeziehungen.

Sie gingen also nach dem Konzept „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ nur von Eins-zu-Eins-Interaktionen aus, wo Akteure nur mit jenen Beziehungen eingehen, die ähnlicher Meinung, Religion oder Bildung sind. In der Computersimulation erzeugte dies eine Gesellschaft, „die sich auf fast magische Weise selbst organisiert und automatisch zu Stabilität führte. Die Gesellschaft sah genauso aus wie eine, die der Balancetheorie folgt, allerdings ohne dass die Individuen Dreiecksbeziehungen berücksichtigen müssen“, betonte Tuan Minh Pham.

Überprüft haben die Forscher das anhand von Daten aus dem Online-Spiel Pardus. Dabei interagieren etwa 100.000 Spieler wirtschaftlich und sozial in einem futuristischen Universum, schließen Freundschaften, bekämpfen Feinde, kooperieren oder konkurrieren. Seit der Wiener Physiker Michael Szell das Spiel 2004 kostenlos zugänglich online gestellt hat, wird jede einzelne Interaktion zwischen den Spielern protokolliert. Bei der Anmeldung geben die Nutzer ihr Einverständnis, dass diese Daten für wissenschaftliche Zwecke genutzt werden können.

Wie im richtigen Leben

Die Forscher untersuchen mit diesen Daten soziale Dynamiken und haben bereits in mehreren Studien gezeigt, dass sich die Spieler online oft genauso verhalten wie im richtigen Leben. Sie wollen ihre Erkenntnisse aber auch mit Daten aus einem großen sozialen Online-Experiment testen, bei dem Probanden sich virtuell treffen und feststellen, wie ähnlich ihre Meinungen zu verschiedenen Themen sind und wie sich im Lauf der Zeit ihre Beziehungen untereinander verändern.

Als interessante Richtung erachten die Wissenschaftler die Verallgemeinerung ihres Ansatzes – denn „soziale Stabilität besteht nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen Staaten“, so Thurner. So drücke sich die „Meinung“ von Staaten zum Beispiel durch ihr Abstimmungsverhalten bei der UN-Generalversammlung aus, wo sich Staaten durch ihre Entscheidungen unterstützen oder behindern. Als die Wissenschafter ihre Modelle mit diesem Abstimmungsverhalten der UN-Mitgliedsstaaten von 1946 bis 2019 fütterten, zeigte sich auch hier das Beziehungskonzept „Gleich und gleich gesellt sich gern“ und ein entsprechender Trend zu Stabilität.

Thurner, ein Physiker, verweist auf sein Fach, wo „wir einfache Formeln lieben – wir nennen sie schön. Mit dieser Arbeit erklären wir scheinbar komplizierte menschliche Interaktionen auf eine sehr einfache Weise. Homophilie als treibende Kraft für soziales Gleichgewicht und Stabilität – das ist eine wirklich schöne neue Erkenntnis in der Soziologie.“