Frau sitzt auf Bank, Wolken, Einsamkeit
Farknot Architect – stock.adobe.
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„Weit verbreitet“

Weltatlas der Einsamkeit

Schon vor der Coronavirus-Pandemie haben weltweit viele Menschen Einsamkeit erlebt. Daten aus fast 20 Jahren und 113 Ländern zeigen nun: Einsamkeit kennt keine Altersgrenzen und ist besorgniserregend weit verbreitet – allerdings mit geografischen Unterschieden.

Einsamkeit ist ein Thema, das oft mit älteren Menschen verbunden wird. Spätestens in den vergangenen zwei Jahren zeigte sich aber: Einsamkeit gibt es in jeder Altersgruppe. Wie sehr Einsamkeit auf globaler Ebene verbreitet ist, war bisher unklar. Forscherinnen und Forscher unter der Leitung der Universität Sydney machten sich deshalb daran, Daten zur Einsamkeit zu analysieren.

Sie durchsuchten zahlreiche Forschungsdatenbanken und fanden 57 Beobachtungsstudien aus 113 Ländern und Regionen. Der Zeitraum umfasst die Jahre 2000 bis 2019 – die Coronavirus-Pandemie, die die Problematik wohl noch einmal drastisch verschärfte, findet also noch keinen Niederschlag in der Studie, die nun im „British Medical Journal“ veröffentlicht wurde. Die Erkenntnisse stellen dennoch eine wichtige Ausgangsbasis dar, auf der zukünftig aufgebaut werden könne, so das Forschungsteam.

Österreich im europäischen Mittelfeld

Die Daten zeigen erhebliche geografische Unterschiede: So wurde etwa innerhalb Europas die niedrigste Prävalenz von Einsamkeit in nordeuropäischen Ländern beobachtet – nämlich zwischen 2,7 Prozent bei Erwachsenen mittleren Alters und 5,2 Prozent bei älteren Erwachsenen. Eine sehr hohe Prävalenz zeigte sich hingegen in osteuropäischen Ländern – zwischen 7,5 Prozent bei jungen Erwachsenen und 21,3 Prozent bei älteren Erwachsenen. Österreich liegt laut Studie ungefähr dazwischen: Unter den 18- bis 29-Jährigen sind 9,5 Prozent, unter den 30- bis 59-Jährigen 6,4 Prozent und unter den über 60-Jährigen 10,4 Prozent von Einsamkeit betroffen.

Ein älterer Mann sitzt alleine auf einer Parkbank, neben ihm steht eine Bierflasche.
APA/zb/Patrick Pleul

Aus Ländern mit höherem Durchschnittseinkommen, insbesondere aus Europa, standen deutlich mehr Daten zur Verfügung als aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Eine Metaanalyse für Erwachsene konnte daher nur für europäische Länder durchgeführt werden. Gerade auch diese Datenlücken in vielen Regionen der Erde stellen ein Problem und eine Ungleichheit dar, so das Forschungsteam, die es zu beseitigen gelte. Weil die vorhandenen 57 Beobachtungsstudien aus unterschiedlichen Jahren stammen und sich die Altersgruppen nicht immer decken, ist eine weltweite Rangliste der Einsamkeit schwierig.

Einsamkeit kennt keine Altersgrenze

Dennoch lasse sich eindeutig feststellen: Einsamkeit ist weltweit in vielen Ländern besorgniserregend weit verbreitet. Und sie kennt keine Altersgrenze. Afghanistan scheint in der Studie etwa mit einer Prävalenz von 28,5 Prozent bei Jugendlichen auf, die Malediven mit 18,4, Marokko mit 17 und Brasilien mit 11,5 Prozent. Im südostasiatischen Raum konnte für die Altersgruppe der Zwölf- bis 17-Jährigen aufgrund ausreichend vorhandener Daten eine Metaanalyse durchgeführt werden: 9,2 Prozent sind in dieser Region demnach von Einsamkeit betroffen. Im östlichen Mittelmeerraum sind es laut einer weiteren Metaanalyse 14,4 Prozent.

Die beträchtlichen Unterschiede zwischen einzelnen Ländern und Regionen zeigen laut den Forscherinnen und Forschern die Notwendigkeit auf, die Ursachen der Einsamkeit auf struktureller Ebene zu erkennen. Nur so könnten geeignete Gegenmaßnahmen entwickelt werden. Die vorliegende Studie soll „Entscheidungsträgern dabei helfen, den Umfang und die Schwere des Problems einzuschätzen“.

„Pandemie hat mit Mythos aufgeräumt“

Die Coronavirus-Pandemie habe mit dem Mythos aufgeräumt, dass Einsamkeit ein Problem älterer Menschen sei, betonen Roger O’Sullivan vom Institute of Public Health in Irland und seine Koautoren in einem Artikel, der zeitgleich mit der Studie im „British Medical Journal“ veröffentlicht wurde. Einsamkeit sei für den Einzelnen und die Gesellschaft kostspielig: „Sie beeinträchtigt nicht nur die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden, sondern ist auch mit einer Reihe körperlicher Gesundheitsprobleme und einer kürzeren Lebenserwartung verbunden.“

Um Einsamkeit zu bekämpfen, müsse das Gesundheitswesen einen Zugang verfolgen, der alle Altersgruppen und alle Lebensphasen einbeziehe. Das bedeute, „soziale und strukturelle Faktoren anzugehen, die das Einsamkeitsrisiko beeinflussen, wie Armut und Ungleichheiten im Bereich Bildung und Wohnen“. O’Sullivan und seine Koautoren plädieren zudem für öffentliche Sensibilisierungskampagnen, die sich mit Vorurteilen rund um das Thema Einsamkeit und mit der Stigmatisierung der Betroffenen befassen.