Enbau von Elektroden in das Hauptspektrometer des KATRIN-Experiments –
Joachim Wolf – KIT
Joachim Wolf – KIT
Physik

Wieviel „Geisterteilchen“ wiegen

Neutrinos gelten als die Geisterteilchen der Physik: Sie sind schwierig zu messen und verfügen nur über eine winzige Masse. Letztere haben Forscherinnen und Forscher nun genauer bestimmt als jemals zuvor.

Die Maßeinheit hierfür lautet nicht Gramm, sondern Elektronenvolt (eV). Mit ihren Experimenten konnten die Fachleute 0,8 eV als Obergrenze für die Neutrinomasse bestimmen, wie sie in der Fachzeitschrift „Nature Physics“ berichten. Damit wurde die sogenannte 1-eV-Barriere durchbrochen – ein großer Erfolg laut Fachgemeinde.

Allgegenwärtig und schwer zu fassen

Neutrinos sind elektrisch neutrale Elementarteilchen und könnten eine wichtige Funktion bei der Bildung des Universums gehabt haben. Sie werden unter anderem bei Kernfusionen in der Sonne freigesetzt und spielen bei radioaktiven Zerfällen von Atomkernen sowie Supernova-Explosionen im Weltall eine Rolle.

Zudem sind sie überall, sie sind die häufigsten Elementarteilchen im Universum: Allein durch einen Finger strömen jede Sekunde Milliarden von ihnen. Weil sie so gut wie nicht mit ihrer Umgebung wechselwirken, merkt man davon nichts. Auch Planeten wie die Erde stoppen Neutrinos nicht.

Das macht es schwer, sie zu erfassen. 1930 postulierte der österreichische Nobelpreisträger Wolfgang Pauli erstmals die Existenz der Teilchen. Hintergrund war, dass beim Zerfall von Atomkernen Messdaten für Neutronen und Elektronen nicht zum Grundsatz der Energieerhaltung in der Physik passten – ein bisschen was fehlte oft.

Messung mit „genauester Waage der Welt“

Erst mehr als zwei Jahrzehnte später wurden die Neutrinos dann nachgewiesen und galten lange sogar als masselos. Wegen ungenauer Messapparaturen konnte man bisher auch kaum mehr über Neutrinos sagen. Sie widersetzen sich gewissermaßen der wissenschaftlichen Beobachtung und werden daher auch „Geisterteilchen“ genannt.

Das 70 Meter lange KATRIN-Experiment mit seinen Hauptkomponenten Tritiumquelle – Hauptspektrometer und Detektor
Leonard Köllenberger/KATRIN Collaboration
Das 70 Meter lange KATRIN-Experiment mit seinen Hauptkomponenten Tritiumquelle , Hauptspektrometer und Detektor

Hier setzt das Karlsruhe-Tritium-Neutrino-Experiment, kurz „Katrin“, an: In der 70 Meter langen Anlage wird im Vakuum die Energieverteilung beim Zerfall von Tritium gemessen. Das ist ein instabiles Wasserstoff-Isotop. Aus den Werten lässt sich die Masse der Neutrinos bestimmen.

2019 wurde „Katrin“ in Betrieb genommen. Im Laufe der Zeit machten die Forscherinnen und Forscher die Instrumente immer präziser. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) spricht von der genauesten Waage der Welt. Zudem musste jeder Einfluss auf die Neutrinomasse detailliert untersucht werden, um störende Effekte auf das Resultat auszuschließen.

Kandidat für Dunkle Materie

„Die Teilchenphysik-Gemeinschaft ist begeistert, dass die 1-eV-Barriere von Katrin durchbrochen wurde“, zitierte das KIT den beteiligten Neutrinoexperten John Wilkerson von der University of North Carolina in einer Mitteilung. Bis Ende 2024 sollen die Messungen zur Neutrinomasse am KIT noch verfeinert werden, hieß es weiter.

Ein neues Detektorsystem soll dann ab 2025 bei der Suche nach sogenannten sterilen Neutrinos helfen. Solche sterilen Neutrinos wären Kandidaten für die mysteriöse Dunkle Materie, die sich schon in vielen astrophysikalischen und kosmologischen Beobachtungen manifestiert haben.