National Covid Memorial Wall in London
AFP/TOLGA AKMEN
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Coronavirus

Für Ärmere war Pandemie besonders tödlich

Die CoV-Pandemie trifft ärmere Menschen deutlich härter als reichere. Eine Studie aus Großbritannien hat den Unterschied nun in Zahlen gegossen. In vernachlässigten Regionen des Königreichs gingen 2020 mehr als eineinhalbmal so viele Lebensjahre verloren wie in reichen. Junge Menschen starben dort sogar elfmal häufiger.

Indem man die Todeszahlen aus der CoV-Pandemie mit Statistiken der vergangenen Jahre vergleicht, lässt sich die sogenannte Übersterblichkeit ermitteln, also jene Anzahl an Toten, die über die gewöhnlich zu erwartende Sterblichkeit hinausgeht. Damit lassen sich die Auswirkungen von SARS-CoV-2 auf die Bevölkerungszahlen zwar grob beziffern. Laut den Forscherinnen und Forschern um Evangelos Kontopantelis von der University of Manchester entgehen einem aber so sehr viele Details. Zudem werde die Zahl der verlorenen Lebensjahre grob unterschätzt, wenn man nur die Todeszahlen heranzieht. Sterben etwa viele junge Menschen, gehe weitaus mehr Lebenszeit verloren als bei älteren.

Viele verlorene Jahre

Für seine nun im Fachmagazin „PLOS Medicine“ erschienene Studie hat das britische Team nun Sterbedaten aus dem ersten Pandemiejahr von England und Wales genauer analysiert, aus dem Zeitraum vom 7. März bis zum 25. Dezember 2020. Laut ihrer Hochrechnung gingen in diesen 42 Wochen insgesamt 763.550 zusätzliche Lebensjahre verloren, 15 Prozent davon nicht im Zusammenhang mit Covid-19 oder anderen Atemwegserkrankungen.

Vor allem Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes waren laut den Fachleuten für diese indirekten Verluste verantwortlich, drei Viertel der Betroffenen waren Männer. Teilweise könnte es sich dabei auch um unentdeckte CoV-Infektionen gehandelt haben. Vermutlich waren aber meist Engpässe bei der Versorgung verantwortlich, auch hätten viele bei akuten Vorfällen nicht rechtzeitig Hilfe gesucht – aus Angst vor den überfüllten Krankenhäusern.

Krebsfälle sind laut der Datenauswertung hingegen kaum für die nicht Covid-19-spezifischen Verluste verantwortlich. Wie die Studienautoren vermuten, werden sich diesbezügliche Auswirkungen erst langfristig zeigen, aufgrund verzögerter oder zu später Diagnosen.

Große Ungleichheiten

Bei der Detailauswertung der verlorenen Lebenszeit zeigten sich große regionale und sozioökonomische Ungleichheiten. In den ärmsten Regionen waren es gerechnet auf 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner im ersten Pandemiejahr 1.645 zusätzliche verlorene Lebensjahre, in den reichsten hingegen „nur“ 916. Die größten Verluste waren im Nordwesten Englands und in London zu verzeichnen, im Süden waren sie viel geringer.

Diese Ungleichheiten zeige sich auch in der Übersterblichkeit, vor allem in den jüngeren Altersgruppen, schreiben die Studienautoren: Bei den 15- bis 44-Jährigen gab es in den ärmsten Gegenden elf Mal so viele zusätzliche Todesfälle, bei den 45- bis 64-Jährigen dreimal so viele, bei den 65- bis 74-Jährigen zweimal so viele und 1,4-mal so viele bei den 75- bis 84-Jährigen. Nur in der ältesten Bevölkerungsgruppe fanden die Forscher keine Unterschiede.

Die Studienergebnisse legen nahe, dass die sozialen und regionalen Ungleichheiten bei den gesundheitlichen Folgen der CoV-Pandemie bisher unterschätzt wurden, betonen die Forscherinnen und Forscher. Die Lebenserwartung der betroffenen Bevölkerungsgruppen war schon vor SARS-CoV-2 niedriger als im Schnitt. Die Pandemie habe die Unterschiede im Land weiter verstärkt. Nicht nur als Vorbereitung auf zukünftige Pandemien seien daher umfassende soziale Pläne notwendig, um diese Schieflage bei der Gesundheitsversorgung in den Griff zu bekommen.