In einem Spitalsgang steht ein Bett
APA/BARBARA GINDL
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Gesundheit

„Volkskrankheiten“ den Kampf ansagen

Wenn es um die Eindämmung von Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen und anderen „Volkskrankheiten“ geht, kann man einiges von anderen Ländern lernen, wie eine aktuelle Studie zeigt. Maßnahmen sollte man zuerst regional testen, bevor man sie bundesweit einführt.

Die Lebenserwartung in Österreich ist relativ hoch. Sie liegt für Frauen bei 84 Jahren und für Männer bei 79 Jahren. Statistisch gesehen verbringt man in Österreich jedoch nur rund 60 Jahre in guter Gesundheit. Ein Wert, der deutlich unter dem Europaschnitt von rund 65 Jahren liegt. Schuld daran sind sogenannte „Volkskrankheiten“: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ II, chronische Atemwegserkrankungen oder Depressionen.

Chancengerechtigkeit im Visier

Erfolgreiche, nationale Gesundheitsstrategien zur Prävention dieser „nicht-übertragbaren Krankheiten“ zielen nicht nur auf die Verhaltensebene der einzelnen Person ab, sondern auch auf die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen, erklärt die Public-Health-Forscherin Inanna Reinsperger vom Austrian Institute for Health Technology Assessment. „Denn es ist nicht nur unser Verhalten, das uns gesund erhält oder uns krank macht, sondern es sind vor allem auch die Verhältnisse, in denen wir leben.“

Die Zusammenhänge zwischen sozioökonomischen Faktoren und Gesundheit seien mittlerweile gut belegt. Menschen mit einem geringeren formalen Bildungsgrad oder weniger Einkommen würden eine schlechtere körperliche und psychische Gesundheit und eine niedrigere Lebenserwartung aufweisen. „Deshalb ist es bei all diesen Strategien und Programmen wichtig, dass sie auf gesundheitliche Chancengerechtigkeit abzielen“, sagt Reinsperger.

Potpourri an Maßnahmen analysiert

Gemeinsam mit ihrer Kollegin Lucia Gassner hat die Wissenschaftlerin 18 Gesundheitsstrategien aus acht verschiedenen Ländern analysiert. In Deutschland beispielsweise gibt es für Diabetes oder koronare Herzerkrankungen Programme, bei denen sich Patientinnen und Patienten mit ihren Ärztinnen und Ärzten individuelle Gesundheitsziele festlegen: etwa Bewegungsziele oder Ziele zur Rauchentwöhnung.

Auch Präventionsprogramme wurden analysiert. „Das können zum Beispiel Gruppenvorträge, Schulungen, Bewegungsangebote oder Kochkurse sein, die entweder im Rahmen der Primärversorgung oder bei Apotheken angeboten werden“, berichtet die Sport- und Bildungswissenschaftlerin Lucia Gassner. Denkbar seien aber auch Aktivitäten in Schulen, Medienkampagnen oder strukturelle Maßnahmen, wie etwa die Verschärfung des Tabakkonsum-Gesetzes.

Zur Stärkung der mentalen Gesundheit konnten die Wissenschaftlerinnen zwei innovative Programme identifizieren. Im kanadischen „Stepped Care 2.0“-Programm werden Personen mit Depressionen stufenweise begleitet; von Online-Selbsthilfe über Peer-to-Peer-Unterstützung bis hin zur fachärztlichen Betreuung. „Mental First Aid“ in Australien bietet Interessierten Kurse an, in denen sie lernen, wie sie ihre Freunde, Nachbarn und Arbeitskolleginnen bei psychischen Erkrankungen unterstützen können.

Wirksamkeit und Treffsicherheit

Zwar analysierten die Public-Health-Forscherinnen auch die Evaluierungsergebnisse zu den verschiedenen Strategien, dennoch ließe sich nicht die eine Strategie mit der höchsten Wirksamkeit festmachen. Dafür seien die Evaluierungsstudien zu heterogen und die Evidenzgrade teilweise zu gering.

Zentral sei, die Evaluierung miteinzuplanen, wenn man eine gesundheitsfördernde Maßnahme einführt. In Finnland sei das beispielsweise gut geglückt. Dort hätte man Maßnahmen zuerst in einer Provinz auf ihre Wirksamkeit hin getestet. „Im Idealfall testet man mit einer Kontrollgruppe und kann dann schauen, ob das Programm die gewünschten Effekte zeigt“, sagt Lucia Gassner. Dann könne man die Maßnahme immer noch adaptieren, bevor man das Programm flächendeckend ausrollt.

Die Evaluierung von Präventionsmaßnahmen sei komplex und zeitaufwendig, räumt Inanna Reinsperger ein. „Aber es ist notwendig, damit man sieht, ob das Programm tatsächlich den gewünschten Effekt bringt und ob man die richtigen Menschen damit erreicht.“ Sinnvoll seien Maßnahmen, die im unmittelbaren Lebensumfeld angesiedelt sind, im Wohnviertel, in der Schule oder am Arbeitsplatz. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass nur jene erreicht werden, die bereits die Ressourcen haben, sich um ihre Gesundheit zu kümmern.