Frau sitzt in der Abendsonne am Wasser und hält sich den Kopf
Lars Gieger/stock.adobe.com
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Gesellschaft

Zwang zum Glücklichsein macht unglücklich

Wenn man glücklich sein will oder soll, weil die Gesellschaft und andere es erwarten, macht das nicht unbedingt glücklicher. Wie eine Studie aus 40 Ländern nun zeigt, ist sogar das Gegenteil der Fall: Der Zwang zum Glück macht manche unglücklich, besonders in „glücklichen“ Ländern.

„Jeder ist seines Glückes Schmied“ – laut der alten Volksweisheit hat jeder und jede sein bzw. ihr Glück selbst in der Hand. Das suggerieren auch moderne Selbsthilfebücher und Lebensratgeber sowie die strahlenden Gesichter in Werbungen und auf diversen Social-Media-Kanälen: Mit der richtigen Einstellung könne jeder glücklich sein. Aus jeder Situation das Beste machen, immer positiv denken; negative Gedanken und Gefühle einfach abschütteln.

Auch im direkten sozialen Umfeld spüren viele einen gewissen „Glücksdruck“. Schlechte Laune und Niedergeschlagenheit sind meist unerwünscht und sollten, wenn sie nicht rasch verschwinden, am besten behandelt werden. In der Praxis ist das mit dem permanenten Glück freilich nicht immer ganz einfach, unter anderem weil manche Lebensumstände und Schicksalsschläge, z. B. Trennungen, Krankheit und Tod, kein Anlass zur Freude sind.

Persönliches Versagen

Aber auch ohne schlimme Lebenserfahrungen gelingt es vielen nicht, immer nur glücklich zu sein. Denn Stress, Ängste und Traurigkeit sind manchmal unvermeidbar und einfach ein Teil der menschlichen Realität, schreiben die Forscherinnen und Forscher um Egon Dejonckheere in ihrer soeben im Fachmagazin „Scientific Reports“ erschienenen Studie.

Wenn die Diskrepanz zwischen dem eigenen Gefühlsleben und dem, was die Gesellschaft bzw. das soziale Umfeld von einem erwartet, zu groß ist, werde das oft als persönliches Versagen empfunden, weil man sich gewissermaßen nicht genug angestrengt hat, um glücklich und zufrieden zu sein. Das löse noch mehr negative Gefühle aus, und das subjektive Empfinden verschlechtere sich zunehmend. Diesen auf den ersten Blick überraschenden Effekt kenne man bereits von Experimenten und aus einigen Korrelationsstudien, schreiben die Studienautoren. Kaum untersucht sei hingegen, ob es sich dabei um ein universales Phänomen handelt und welche Rolle die Kultur und die Gesellschaft dabei spielen.

Gefühlte Diskrepanz

Mit Hilfe des „World Happiness Report“ hat das internationale Team nun analysiert, inwiefern der „Glücksstatus“ eines Landes dieses subjektive Empfinden beeinflussen könnte. Der Bericht erfasst regelmäßig anhand zahlreicher Faktoren – u. a. Wohlstand, Lebenserwartung und sozialer Rückhalt – die Lebenszufriedenheit in einzelnen Ländern. In einem Wert wird zusammengefasst, wie glücklich seine Bürgerinnen und Bürger im Schnitt sind. Auf dieser Basis wird auch ein Ranking erstellt. Österreich liegt dabei derzeit auf dem zehnten Rang, im März erscheint der aktuelle Bericht für 2022.

Laut den Forschern könnte es sein, dass weniger glückliche Zeitgenossen in Ländern mit hohem Glücksindex besonders viel Druck spüren, weil sie nicht den allgemeinen Glückserwartungen entsprechen. Außerdem könnte die gefühlte Diskrepanz noch spürbarer sein, wenn man von lauter glücklichen Menschen umgeben ist, die anscheinend keinerlei Probleme mit dem Glücksimperativ haben.

Wenn diese Annahme stimmt, wirkt sich der Druck zum Glücklichsein paradoxerweise in glücklichen Ländern vermutlich besonders negativ aus. Um das herauszufinden, wurde die Studie in 40 Ländern durchgeführt, darunter so „glückliche“ Länder wie Kanada (bis 2020 unter den Top Ten) und die Niederlande (aktuell Rang 5), aber auch solche, die beim Glücksranking weniger gut abschneiden, etwa Uganda und der Senegal. Aus Europa waren unter anderem auch Menschen aus Deutschland dabei, das im aktuellen Ranking auf Platz sieben liegt. Österreicher und Österreicherinnen waren keine beteiligt.

Insgesamt waren es 7.443 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Sie mussten Angaben zum seelischen Wohlbefinden und zur Lebenszufriedenheit machen. Klinische Symptome wie Ängste und Depressionen wurden ebenfalls erfasst. Gefragt wurde außerdem, wie stark der gesellschaftliche Druck zu einer positiven Grundhaltung empfunden wird.

Subjektiver Druck

Wie die Studienautoren und -autorinnen feststellten, war es um das persönliche Wohlbefinden fast überall schlechter bestellt, wenn der subjektiv empfundene Druck, glücklich und nicht traurig zu sein, höher war. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren unzufriedener und erlebten weniger positive Gefühle. Auch traten vermehrt depressive Verstimmungen, Angst und Stress auf.

Tatsächlich war der Effekt in den allermeisten Ländern mit höherem „Glücklichkeitsindex“ noch stärker ausgeprägt, bei einzelnen Indikatoren war er fast doppelt so deutlich, schreiben die Forscher. Entscheidend sei dabei wohl vor allem die subjektive Einschätzung, denn nicht alle Bürgerinnen und Bürger eines „glücklichen“ Landes scheinen den Druck zum Glück in gleicher Weise zu empfinden.

Ungleiche Glücksverteilung

Die Ergebnisse legen jedenfalls nahe, dass das Glück innerhalb eines Landes – auch wenn es im Schnitt als glücklich gilt – sehr ungleich verteilt sein kann. Die von den weniger glücklichen Menschen empfundene Diskrepanz zur glücklichen Norm könnte die Ungleichheit langfristig noch weiter verstärken, warnen die Autoren. Der Fokus auf nationale Durchschnittswerte könnte also irreführend sein. Auch wenn viele glücklich sind, sind manche vielleicht sehr unglücklich.

Für das Wohlbefinden aller Menschen sei es daher wichtig, die gesellschaftliche Glücksfixierung etwas auszubalancieren und den Wert negativer Gefühle anzuerkennen. Anstatt immer nur dem Glück hinterherzulaufen, sollten Menschen das ganze Spektrum ihres Gefühlslebens zu schätzen lernen.