Spike-Protein auch im Labor mutationsfreudig

SARS-CoV-2 ist an seiner Andockstelle, dem Spike-Protein, besonders mutationsfreudig. Wie eine Laborstudie zeigt, ändern sich manche Virenlinien dort häufig, selbst wenn sie nicht vom Immunsystem behelligt werden. Das passiert oft an denselben Stellen wie bei Fluchtvarianten, die für Antikörper unsichtbar werden.

Ein Team um Sissy Sonnleitner vom Labor Infektiologie-Tirol in Außervillgraten ließ zehn CoV-Linien, die in der ersten Covid-19-Welle in einem lokalen Labor von Patienten isoliert wurden, Zellen in Kulturfläschchen infizieren. „Dies waren noch sogenannte ‚Wuhan-nahe‘ Stämme vor der Alpha-Variante, denn damals gab es bei uns noch keine anderen“, erklärte Sonnleitner zu der nun im Fachblatt „Virologica Sinica“ erschienenen Studie. Nach zwei Wochen sammelten die Forscherinnen und Forscher die Viren aus den Kulturflaschen und infizierten damit neue Zellen. Dieses Prozedere wiederholten sie zehn Mal.

„Obwohl die Bedingungen für alle Virenlinien gleich waren, haben sie sich sehr unterschiedlich verhalten“, sagte Stephan Koblmüller vom Institut für Biologie der Universität Graz: „Manche veränderten sich kaum, und andere wiesen eine extrem hohe Mutationsrate auf.“ Die mutationsfreudigsten hatten nach diesen vier Monaten 14 Veränderungen alleine in der Spike-Region, so Sonnleitner.

Mutations- und vermehrungsfreudig

Insgesamt passierten beim Spike-Apparat 40 Prozent aller Austausche einzelner Bausteine (Aminosäuren), schrieben die Forscher in dem Fachartikel. Teils handelte es sich um für Menschen unbedenkliche Anpassungen der Viren an das Laborleben. Oft waren sie aber genau an jenen Stellen, die von als bedenklich eingestuften Varianten („Variants of Concern“) bekannt sind, so Koblmüller. Solche Veränderungen könnten etwa das Andocken an die Zellen erleichtern oder die Viren vor dem Immunsystem schützen, und würden sich daher eher etablieren als in anderen Regionen. Die Ergebnisse aus dem Laborversuch würden den Medizinern helfen, solche bedenklichen Mutationen von ungefährlichen zu unterscheiden, meint Sonnleitner.

Auffallend war, dass die mutationsfreudigsten Linien sich viel effektiver vermehrten, als die wenig veränderlichen, sagte Sonnleitner. Die drei mutationsfaulsten waren nach einiger Zeit nicht mehr reproduktionsfähig, die Kulturschalen waren daraufhin im PCR-Test negativ. Die anpassungsfähigen Linien wiederum bescherten den Zellen eine sehr hohe Virenlast.

Starker Schutz bei BioNTech-Impfstoff

Aktuell läuft im Osttiroler Infektiologielabor ein neuer Versuch mit den aktuellen SARS-CoV-2-Linien wie Omikron und Delta. „Wir behandeln sie teils mit Seren von Geimpften und Genesenen“, berichtete Sonnleitner. Die Viren müssen sich nun also mit dem Immunsystem und speziell gegen sie gerichteten Antikörpern (außer beim Kontrollversuch mit „Negativseren“) auseinandersetzen. Die Forscher wollen beobachten, ob sich dadurch zusätzliche Mutationen anhäufen, und ihnen einen Überlebensvorteil verschaffen.

Als Nebeneffekt sehen die Experten auch, wie gut die Impfstoffe gegen die Virusvarianten wirken. „Ich finde es ungemein spannend, dass die Seren von Personen, die drei Mal den BioNTech-Impfstoff verabreicht bekamen, definitiv am stärksten wirken“, sagte Sonnleitner: „Die SARS-CoV-2-Coronaviren, egal um welchen Stamm es sich handelt, replizieren in diesen Zellkulturen signifikant weniger.“